Bis 29. Januar 2023 werden in der Kornschütte Luzern die zwölf prämierten Entwürfe für ein neues Theater Luzern ausgestellt. Die Ergebnisse des Wettbewerbs, an dem sich 128 Teams, darunter auch zahlreiche ausländische, beteiligten, werfen einige Fragen auf.
Gegeben war in der Stadt Luzern ein 1839 errichtetes und seither mehrfach umgebautes Theater im klassizistischen Stil, das den heutigen Ansprüchen nicht mehr genügt. Es weist zwei Schaufassaden auf, eine zur Reuss hin und eine mit dem Haupteingang gegenüber der Längsseite der Jesuitenkirche. Dazwischen eine Strasse mit einer kleinen Wiese.
Blickt man von der gegenüberliegenden Flussseite auf die Abfolge der Gebäude, so fällt einem natürlich die Lücke zwischen Theater und Jesuitenkirche auf, eine Lücke, die früher von einer dreiteiligen Häusergruppe, dem Freienhof, belegt war und die nach dem Abriss der alten Bausubstanz im Jahre 1949 für den Neubau der Zentralbibliothek bestimmt wurde. Der hierfür ausgeschriebene Wettbewerb blieb folgenlos, sodass die «Wunde» schon seit über siebzig Jahren unverarztet ist. Man hat sich aber inzwischen daran gewöhnt.
Nun versucht man es mit einem neuen Bebauungsvorschlag. Die meisten Projekte für das neue Theater schliessen den Leerraum mit einem kompakten und massiven Bau, wobei die Palette der Fassadenbehandlung von auffällig spektakulär bis dezent verhalten reicht.
Interessantes Siegerprojekt
Gewonnen wurde der Wettbewerb vom Zürcher Architekturbüro Ilg Santer, das in der Tat eine interessante Alternative anbietet. Der Altbau wird beibehalten und mit einem niedrigen langen Trakt ergänzt, aus dem zwei giebelständige Körper herausragen. Der erste ist auf den Sockel gesetzt und kragt über diesen vor, der zweite – der Schnürboden – durchschneidet die Basis.
Diese Lösung erinnert an die Ausstellungsräume auf dem Vitra Gelände in Weil am Rhein, wo Herzog & de Meuron nicht weniger als zwölf Häuser aufeinanderstapelten. Die Flucht der Gebäude von der Seebrücke bis zur Jesuitenkirche wird zwar mit einem auffälligen Eingriff verändert, aber durch das Aufbrechen der Silhouette wird die Schaufassade der Jesuitenkirche in ihrer Wirkung nicht wesentlich beeinträchtigt.
Gleichwohl seien hier ein paar kritische Bemerkungen erlaubt. Den Teilnehmenden wurde offengelassen, ob der Altbau bewahrt oder abgerissen werden sollte. Damit drückte man sich im Vorfeld vor einer notwendigen Entscheidung. Wer sich auf ein solches Abenteuer einlässt, ist stets mit der Ungewissheit konfrontiert, wie denkmalpflegerische Aspekte in der Jury gewichtet werden und damit die Entscheidung beeinflussen.
Einladung zur Mauschelei
Rund zwanzig Projekte sehen eine Beibehaltung des Altbaus vor, und davon kamen drei in die letzte Runde, in der noch zwölf Vorschläge zu beurteilen waren. Es bleibt der Verdacht, dass Ilg Santer Architekten nicht zuletzt auch wegen der Integrierung des Altbaus obenauf schwangen. Eigenartig ist die Art und Weise, wie das alte Theater für den Neubau genutzt wird. Es verliert eine der Hauptfassaden und ist fortan nicht mehr ein Solitär. Schlimmer noch – das Innere wird komplett umgebaut, vom alten Saal wird man nichts mehr sehen. Mit anderen Worten, man hat es schon fast mit einem potemkinschen Denkmal zu tun.
Die Verfasser hingegen interpretieren ihren Vorschlag im Sinne einer Spolie, die das Potenzial hat, «die Geschichte im Neuen Luzerner Theater als Identitätsstifter weiterzuschreiben». Und als ob man auf gewisse politische Strömungen in der Stadt Rücksicht nehmen wollte, wird darauf verwiesen, dass «allein die substantielle Einsparung an grauer Energie [...] aus Nachhaltigkeitsüberlegungen ein weiteres wichtiges Argument für den Erhalt» sei. Mit solchen kunsthistorischen Mauscheleien und offensichtlichen Anbiederungen wird der Altbau nicht glaubwürdig gerettet. Es wäre ehrlicher gewesen, diesen zu opfern, aber hierfür hätten die Organisatoren im Voraus klare Rahmenbedingungen schaffen sollen.
Nötig?
Braucht die Stadt Luzern ein Theater dieser Grösse? Luzern ist in erster Linie die Stadt der Musik. In diesem Bereich ist einiges investiert worden, und dies zu Recht. Das Mehrspartentheater (Schauspiel, Oper, Tanz und Figurentheater) kämpfte in den letzten Jahren mit knappen Budgets und stand immer mehr im Schatten der Musik sowie zusätzlich in Konkurrenz einerseits zu den Orten der alternativen Kultur, andererseits zu den Häusern in den grösseren Städten Zürich und Basel, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestens erreichbar sind. Ob es für einen solch opulenten Neubau einen Bedarf gibt, ist mehr als nur fraglich.
Doch man ist in Luzern allen Widrigkeiten zum Trotz frohen Mutes und hofft auf den Baubeginn im Jahr 2026. Es kann aber auch alles ganz anders kommen, vielleicht sogar am Ende mit einer kapitalen Bruchlandung. Auf alle Fälle kann man sich auf rege Diskussionen freuen.
Ausstellung in der Kornschütte Luzern bis 29. Januar 2023
Sämtliche Projekte unter: https://neuesluzernertheater.ch/alle-projekte/