Der russische Ministerpräsident Michail Mishustin hat am Donnerstag Minsk besucht. Lukaschenko erklärte bei dieser Gelegenheit, es habe keine Vergiftung Nawalnys gegeben. Die ganze Aufregung sei ein westlicher Trick.
Unter dem Druck anhaltender Protestdemonstrationen in Belarus gegen die gefälschten Präsidentschaftswahlen vom 8. August sucht Lukaschenko durch demonstrative Servilität verstärkten Schutz unter den Flügeln des mächtigen Nachbarn im Osten. Nach einem Besuch des russischen Ministerpräsidenten Michail Mischustin in Minsk am Donnerstag liess er auf seiner offiziellen Webseite eine längere Erklärung verbreiten, in der von bedeutenden Fortschritten bei den Verhandlungen über erweiterte Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern die Rede ist.
Angebliche Beweise über antirussische Intrigue
Am deutlichsten kommt dabei Lukaschenkos neue Unterwürfigkeit gegenüber dem Putin-Regime durch seine Äusserungen zur Vergiftung des russischen Oppositionellen Alexei Nawalny zum Ausdruck. «Nawalny ist nicht vergiftet worden», heisst es bündig auf der präsidentiellen Webseite in Minsk. Der ganze Lärm um diese Affäre sei nichts anderes als ein «neuer Trick» des Westens, um Putin davon abzuhalten, «seine Nase in die belarussischen Angelegenheiten zu stecken». Diese Worte, behauptet Lukaschenko, gingen aus einem Gespräch hervor, das zwischen Berlin und Warschau geführt worden sei und das der militärische Geheimdienst von Belarus abgefangen habe.
Den Mitschnitt dieses Gesprächs und alle damit verbundenen Unterlagen werde man an die zuständigen Stellen in Russland weiterleiten. Offenkundig, fährt Lukaschenko in seiner Erklärung weiter, ziele diese Affäre um die Vergiftung Nawalnys auch darauf ab, die noch in diesem Monat fälligen Regionalwahlen in Russland zu beeinflussen. Solche Manöver passten genau zum Stil des Westens.
Diese Art von Verschwörungstheorie wird man in Moskau gewiss gerne hören und weiterverbreiten. Doch auch die Propaganda-Spezialisten im Kreml werden sich keine grossen Hoffnungen machen, dass solche anbiedernden Behauptungen des um sein politisches Überleben zitternden Minsker Machthabers selbst im eigenen Machtbereich nennenswerte Glaubwürdigkeit finden könnte.
Fortschritte zur bilateralen Union
Ausserdem lassen auch die übrigen Ausführungen Lukaschenkos im Zusammenhang mit dem Besuch des russischen Ministerpräsidenten erkennen, dass ihm das Wasser am Hals steht und er deshalb dringend auf das Wohlwollen und die Hilfe des grossen Nachbarn angewiesen ist. Nachdem sich der belarussische Machthaber jahrelang dagegen gesträubt hat, den vor mehr als 20 Jahren im Grundsatz vereinbarten Unionsvertrag mit Moskau mit konkreter Substanz auszufüllen, spricht er nun plötzlich von grossen Fortschritten bei der Lösung von Problemen, die «für uns schmerzhaft sind».
Im Klartext heisst das offenbar, dass Lukaschenko nun bereit ist, Putins schon länger signalisierten Wunsch nach einer vertieften Integration der beiden ehemaligen Sowjetrepubliken zu akzeptieren. Ob bei diesem Projekt sogar die Zusammenlegung der beiden Führungsspitzen angedacht wird, ist nicht völlig auszuschliessen. Dass in einem solchen Fall Lukaschenko höchstens noch eine untergeordnete Rolle neben dem Unionspräsidenten Putin spielen könnte, liegt auf der Hand.
Bevorstehendes Treffen mit Putin
Definitive Entscheidungen über einen engeren institutionellen Zusammenschluss zwischen Belarus und Russland sollen nach Lukaschenkos Darstellung bei einer direkten Begegnung mit Putin in Moskau gefasst werden, die offenbar in Kürze stattfinden soll.
Ob eine Konkretisierung des bisher praktisch nur Papier gebliebenen Unionsprojekts auch von der belarussischen Opposition akzeptiert werden würde, ist eine völlig offene Frage. Die Demonstrationen in Belarus richten sich in allererster Linie gegen die Person Lukaschenkos und seinen Verbleib an der Macht, nicht aber – wie im Falle der Ukraine – gegen eine grundsätzliche Abkehr von den engen historischen und wirtschaftlichen Bindungen an Russland. Vielleicht machen die Taktiker im Kreml sich auch Gedanken darüber, wie sich im Zuge eines institutionellen Zusammenschlusses mit dem Nachbarland gleichzeitig ein glimpflicher Abgang Lukaschenkos von der Minsker Bühne orchestrieren liesse.