Das Wortpaar stach mir in die Augen, als ich nach zwei Monaten Abwesenheit die ersten indischen Zeitungen überflog. Für einen Augenblick leuchtete ein Funken Freude auf. Ich bin zurück in Indien – wo sonst würde der düstere ‚Jihad’ durch das Gegengift der ‚Liebe’ entschärft?
Die Honigfalle
Beim Weiterlesen erlosch diese Sternschnuppe dann rasch. Nicht ein ‚Krieg der Liebe’ wurde hier angekündigt, der dem wahllosen Schlachten von Menschen im Namen der Religion ein Ende setzen sollte. Im Gegenteil: Dem ‚Love Jihad’ selber wurde der Krieg erklärt. Denn es ging – und nun war ich endgültig wieder zuhause – darum, unschuldige Hindu-Mädchen vor der gefährlichsten Geheimwaffe der Muslime zu schützen – ihrer Männlichkeit. Sie ziehen die zutraulichen Kleinen in ihre ‚Honigfallen’, überreden sie zur Heirat – und machen aus ihnen Musliminnen.
Der RSS, ideologischer Kaderverband der Hindu-Nation, wittert mit der Machtübernahme durch ihr langjähriges Mitglied Narendra Modi Morgenluft. Warum nicht der schleichenden Angst um lockere Moral und Vergewaltigungen eine anti-muslimische Spitze geben? Beherrscht von alten unverheirateten Männern gründete er einen ‚Verein zur Rettung unserer Schwestern und Töchter’. Die Sozialmedien der Hindutva-Bewegung machten aus dem umständlichen Namen kurz und bündig einen ‚Love Jihad’, den es zu bekämpfen gilt.
„Rächt Eure Ehre!“
Den ersten erfolgreichen Feldversuch hat dieser Kampf bereits hinter sich. Genau vor einem Jahr, und ein halbes Jahr vor Beginn von Narendra Modis Wahlkampf, brachen in Uttar Pradesh unerwartet Religionsunruhen aus. Ihr Auslöser wurde in der Freundschaft zwischen einem jungen Muslim und einem Hindu-Mädchen ausgemacht. Deren Bruder widersetzte sich der Liaison, es kam zum Streit, dieser artete in Schlägereien zwischen Gruppen beider Seiten aus. Der Bruder kam ums Leben, worauf der junge Muslim und sein Freund an der Reihe waren. Die bekannte Gewaltspirale begann sich immer schneller zu drehen. Als Brandbeschleuniger diente ein Video, das angeblich die brutale Hinrichtung des Bruders des Hindumädchens zeigte. Als es als Fälschung aufgedeckt wurde (es setzte eine Exekution der pakistanischen Taliban in Szene) war es zu spät. Nach zwei Monaten von Messerstechereien, Brandschatzung und Vergewaltigung waren 62 Menschen umgekommen, zwei Drittel von ihnen Muslime. 50'000 waren auf der Flucht, unzählige Häuser lagen in Schutt und Asche.
Die Flüchtlingszelte waren noch nicht abgebrochen, da begann bereits der Wahlkampf. „Rächt Eure Ehre!“, rief Modis Wahlkampfleiter Amit Shah in Uttar Pradesh seinen Zuhörern zu. Falls er mit ‚Rache’ den demokratischen Gang zur Urne meinte (wie er sich später erklärte), dann hatte er Erfolg. Die BJP gewann in UP nicht nur wie im Rest des Landes wegen Modis Charisma. In der Unruheregion fuhr er einen Erdrutschsieg ein. Die religiöse Polarisierung der Wählerschaft hatte gewirkt, ebenso wie der Ruf, die Hindufrauen vor dem ‚Love Jihad’ der jungen Muslime zu retten.
Das Wahlkampfthema Mobilisierung
Warum dieselbe Strategie nicht für eine Reihe von Nachwahlen in den Provinzparlamenten einsetzen? In mehreren Bundesstaaten stehen zudem Landtagswahlen an; Wahsiege würden der BJP den Weg zu einer Mehrheit auch im Oberhaus ebnen – und damit zur Kontrolle über alle Schaltstellen der Macht. Amit Shah, inzwischen zum Präsidenten der Partei avanciert, ernannte einen der Angeklagten der Religionsunruhen zum Parteileiter im Westteil von Uttar Pradesh; und in Ost-UP gab er den Posten Swami Adityananth, bekannt für seine Hetzkampagnen gegen Indiens grösste Minderheit.
Die Mobilisierung gegen den ‚Love Jihad’ der Muslime wurde zum wichtigsten Wahlkampfthema. Ueberall entstanden Komitees des ‚Rettet unsere Schwestern&Töchter’-Vereins. Sie boten sich als Notfunkzentralen an, die bedrängten Mädchen bewaffnete Retter schickten, und den Jihadi-Romeos eine saftige Lektion erteilen würde. Ob es sich dabei um leere Gerüchte handelte, war nicht von Belang.
Auch in Gujerat und Maharashtra werden die Hindu-Jihadis nun aktiv. In Maharashtra stehen ebenfalls Landtagswahlen an und schon warnen die Aktivisten düster, Tausende armer Hindu-Mädchen schwebten in Gefahr. Die Polizei ist anderer Meinung. In den letzten fünf Jahren seien im ganzen Staat gerade 22 Klagen eingegangen – vernachlässigbar bei einer Bevölkerung von der Grösse Deutschlands.
Kein Anlass zur Unruhe
Die Zahl allein beweist, wie unbegründet die ganze Kampagne ist. Dass sie dennoch auf so viel Resonanz stösst, erklären meine Zeitungens mit der cleveren Rezeptur, in die emotionsgeladene Themen unter die süffige Formel des ‚Love Jihad’ gemischt werden. Da ist die routinemässig wiederholte Hochrechnung, dass die Muslime (Bevölkerungsanteil: 13%) dank Fertilität und Polygamie die Hindus (83%) bald überholt hätten. Diese Angst wird gekoppelt mit der weitverbreiteten Unruhe über die Welle von Vergewaltigungen, als seien alle Muslime potentielle Vergewaltiger.
Die Kampagne stärkt zudem die brüchig gewordenen patriarchalischen Strukturen: Männliche Hindus können sich als Beschützer der Frauen in Szene setzen, und damit gleichzeitig die Hilflosigkeit der Frauen unterstreichen. Die unausgesprochene Botschaft: Mädchen sollen ihre traditionellen Rollen von gehorsamer Tochter, Hausfrau und Mutter nicht über Bord werfen, sie sollen zuhause bleiben, sich züchtig kleiden, und möglichst rasch im sicheren Hafen der Ehe unterkommen.
Derweil hält sich der Premierminister bedeckt und begnügt sich mit der Rolle des Landesvaters und Biedermanns. Narendra Modi spielt sie gut, er ist voller vernünftiger Ratschläge, sei es zum sparsamen Umgang mit Wasser, zur körperlicher Hygiene, oder dem Wert handwerklicher Bildung für Mädchen und Jungen. Sogar für die Muslime findet er von Zeit zu Zeit ein gutes Wort, wenn es die diplomatische Finesse verlangt.
Der Hoffnungsschimmer
Aber er weigert sich, die Hindutva-Brandstifter in die Schranken zu weisen, nicht nur die ‚Love Jihadis’. Ein BJP-Politiker erklärte etwa, Madrassen seien Schulen des Terrors; die Familienministerin fand, Exporte vom Fleisch der heiligen Kuh dienten der Finanzierung von Terrorzellen, eine Lokalpolitikerin verlangte, dass bei den Anlässen der anbrechenden Festzeit Muslime nur noch mit Ausweis (und weiblicher Familienbegleitung) zugelassen werden. Der Rektor der Universität in Ujain wird zusammmengeschlagen, sein Büro verwüstet. Er hatte vorgeschlagen, kaschmirischen Studenten, die den Überschwemmungsopfern in ihrer Heimat zu Hilfe geeilt waren, die Miete zu schenken. Modi schweigt, so beharrlich, dass man nicht weiss, ob er die üble Kampagne klammheimlich begrüsst; oder ob er seine radikalen Gesinnungsgenossen gewähren lässt (dies die Meinung eines Freundes), damit sie vom Wähler selber blossgestellt werden und er sie loswird.
Sollte Letzteres zutreffen, dann kann man Modi einmal mehr ein gutes Gespür attestieren. Drei Monate nach dem überwältigenden Wahlsieg musste die BJP bei den Nachwahlen in sechs Gliedstaaten nämlich empfindliche Verluste hinnehmen. In Uttar Pradesh gewann sie trotz – oder vielleicht wegen – ihrer Hassrhetorik gerade drei der zehn Mandate. Natürlich ist dies noch kein Trend; aber ein Warnruf ist es allemal. Und für mich ein Hoffnungsschimmer, dass der indische Wähler reif genug ist, um den ‚Love Jihadisten’ nicht auf den Leim zu gehen.