Hinweis zur Transparenz: Der Autor dieses Beitrags ist Mitglied des Initiativkomitees der Justiz-Initiative.
Am 26. August werden bei der Bundeskanzlei in Bern rund 128‘000 beglaubigte Unterschriften für die Eidgenössische Volksinitiative «Bestimmung der Bundesrichterinnen und Bundesrichter im Losverfahren (Justiz-Initiative)» eingereicht. Ziel der Justiz-Initiative ist die Unabhängigkeit der Bundesrichterinnen und Bundesrichter von den politischen Parteien.
Um es mit den Worten der Journalistin Brigitte Hürlimann in der Republik zu formulieren: «Die Justizinitiative sticht in ein Wespennest. Es geht um nicht weniger als die grundsätzlichen Fragen einer modernen Demokratie, welche die Flagge von Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung hochhält.» [https://www.republik.ch/2019/08/14/der-politische-kluengel-in-der-schweizer-justiz]
Der Artikel zeigt, dass sich (noch) keine klare Gegnerschaft gebildet hat. Die politischen Parteien haben noch keine klare Meinung, allenfalls fürchten sie um die Mandatssteuer. Das sind Abgaben von bis zu 20'000 Schweizer Franken, welche die Bundesrichterinnen und Bundesrichter ihren Parteien bezahlen müssen, damit sie alle 6 Jahre wiedergewählt werden.
Dieses System, welches die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter in Frage stellt, wird denn auch in wissenschaftlichen Beiträgen und von Expertinnen und Experten kritisiert; allen voran von der Staatengruppe gegen Korruption des Europarats (Greco) [https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/sicherheit/kriminalitaet/korruption/grecoberichte/ber-iv-2016-5-d.pdf] , aber auch von der Richtervereinigung [http://www.svr-asm.ch/de/index_htm_files/2019-08-02%20Medienmitteilung%20SVR-ASM.pdf ] und deren Exponenten. [https://www.aargauerzeitung.ch/schweiz/nach-ubs-urteil-und-abwahldrohung-jetzt-spricht-der-involvierte-bundesrichter-thomas-stadelmann-135331015]
Abschaffung der Wiederwahl kaum bestritten
Dieses Anliegen der Justiz-Initiative (Abschaffung der Wiederwahl) wird denn auch kaum bestritten. Die Initiative verlangt, dass Richterinnen und Richter für eine feste Amtszeit bis fünf Jahre nach der Pensionierung in ihr Amt eingesetzt werden. Dadurch wird die für eine Demokratie ausserordentlich wichtige Gewaltentrennung erreicht. Die Einflussnahme von mächtigen Institutionen wird massiv erschwert.
Allerdings möchte die Justiz-Initiative die Einflussnahme auf Richterinnen und Richter nicht nur erschweren, sondern möglichst ganz verhindern.
Neu: Das Losverfahren
Zu diesem Zweck schlägt sie ein Losverfahren vor. Der Bundesrat erhält als erstes die Aufgabe, ein hochkarätiges, unabhängiges Gremium zusammenzustellen. Es wird ein gemischtes Gremium aus Expertinnen und Experten geschaffen, welches eine professionelle Personalrekrutierung garantiert. Um die Beeinflussung dieses Gremiums zu minimieren, werden die Mitglieder nur für 12 Jahre gewählt.
Sind dann jeweils Richterstellen am Bundesgericht zu besetzen, schreibt das Expertengremium diese Stellen aus und stellt aus den kandidierenden Personen die qualifiziertesten Juristinnen und Juristen in das Los. Aus diesen fähigsten Anwärterinnen und Anwärtern werden die Bundesrichterinnen und Bundesrichter ausgelost.
Wie das Verfahren im Detail ausgestaltet wird, wird auf Gesetzes- und Verordnungsstufe geregelt werden müssen. Auf Verfassungsstufe verlangt die Initiative nur, dass die Landessprachen gemäss Bedarf berücksichtigt werden (weil Bürgerinnen und Bürger das Recht haben ein Anliegen in der eigenen Landessprache vorzubringen). Weitere Kriterien spielen keine Rolle. Insbesondere ist eine Parteizugehörigkeit keine Voraussetzung mehr – was heute der Fall ist und eine grosse Zahl von qualifizierten parteiunabhängigen Juristinnen und Juristen verunmöglicht, Bundesrichterinnen und Bundesrichter zu werden.
Denn heute bestimmen allein die Parteispitzen, wer ein solches Amt erhalten soll… und kassieren dafür. Faktisch verkaufen die Parteien Ämter, die ihnen nicht gehören.
Eine fixe Amtszeit und die Abschaffung der Ämterbezahlung sind wie gesagt kaum umstritten, obwohl interessanterweise bis jetzt niemand Anstalten machte diese undemokratischen Eigenheiten des Schweizer Justizsystems zu ändern.
Zwei Forderungen der Justiz-Initiative werden kritischer diskutiert. Einerseits die Dauer der Amtszeit, anderseits das Losverfahren, welches den Auswahlprozess durch die politisch und wirtschaftlich unabhängigen Expertenkommission abschliesst.
Amtszeit bis zur Pensionierung
Die Abschaffung der Wiederwahl ist zentral für die Sicherung der Unabhängigkeit, um jegliche Druckversuche von Politikern auszuschliessen. Die Initiative schlägt vor, Richterinnen und Richter für eine feste Amtszeit bis fünf Jahre über das gesetzliche Rentenalter hinaus zu bestimmen. Experten schlagen zwar ebenfalls feste Amtszeiten vor, einige allerdings mit einer Amtszeitbeschränkung von zum Beispiel 12 oder 15 Jahren.
Damit würde das Problem der Abhängigkeit von der politischen auf die wirtschaftliche Bühne verschoben. Denn mit einer solchen Amtszeitbeschränkung ist zu befürchten, dass sich Bundesrichterinnen oder Bundesrichter einige Jahre vor dem Ende ihrer richterlichen Laufbahn nach beruflichen Alternativen umsehen, was ihre Unabhängigkeit schwerwiegend beeinträchtigt. Jeder Anschein von Abhängigkeit und jede Möglichkeit von wirtschaftlichen Druckversuchen soll vermieden werden. Mit der Lösung der Justiz-Initiative ist diese Gefahr gebannt, die politische und wirtschaftliche Unabhängigkeit sichergestellt.
Garantierte Unabhängigkeit durch das Losverfahren
Die Unabhängigkeit kann nur gewährleistet werden, wenn die Richterinnen und Richter im Losverfahren bestimmt werden. Nur ein Losverfahren verunmöglicht es, dass aus machtpolitischen Überlegungen planmässig Personen als Bundesrichterinnen oder Bundesrichter installiert werden können.
Das Losverfahren wird teilweise mit dem Argument kritisiert, der Zufall könne zu einer einseitigen politischen Ausrichtung des Richtergremiums führen. Solche Szenarien sind aus statistischer Sicht völlig unwahrscheinlich, wie ein Gutachten des Statistischen Beratungsdienstes der ETH Zürich zeigt, das die Justiz-Initiative in Auftrag gegeben hat. [https://www.justiz-initiative.ch/initiative/nachrichten/bundesrichterinnen-frauen.html]
Wer Argumente gegen den Losentscheid vertritt, ignoriert, dass das heutige System, im Gegensatz zum Losverfahren, viel anfälliger für extreme Lösungen ist. So lässt es die heute gültige Verfassung ohne weiteres zu, dass eine politische Mehrheit in der Bundesversammlung ganz allein alle Posten des Bundesgerichts besetzen kann. Die Parteileitung dieser Partei könnte ohne Änderung der Verfassung 100 % aller Bundesrichterinnen und Bundesrichter bestimmen. Wie gross eine solche Gefahr ist, zeigen Länder, in welchen eine Mehrheitspartei die ganze Macht übernommen hat.
Unbeachtet bleibt auch, dass Bundesrichterinnen und Bundesrichter Teil der «classe politique» sind. Sie sind nicht repräsentativ für das Volk. Sie geraten unter Druck, wenn sie die Parteiinteressen nicht in die Gerichtsurteile einfliessen lassen.
Zudem: viele Bundesrichterinnen und Bundesrichter wählen oder wechseln die Partei mit dem einzigen Ziel, ihre Chancen auf ein Richteramt zu verbessern. Dass die Parteizugehörigkeit etwas über die politische Ausrichtung sagt, ist nur beschränkt oder überhaupt nicht gültig. Völlig ungültig ist die Aussage, diese parteigebundenen Richterinnen und Richter würden das Volk repräsentieren. Höchstens 5% der Schweizer Bevölkerung sind Parteimitglieder. Viele gesellschaftliche Strömungen werden weder von den Parteien noch den Richtern vertreten und wenn, dann zum Teil völlig untervertreten. So besteht das Volk beispielsweise aus 50% Frauen – am Bundesgericht sind es nur 30%.
Somit würde mit der Justiz-Initiative nicht nur die Unabhängigkeit der Richterinnen und Richter gestärkt. Zudem würden breitere Gesellschaftsschichten am Bundesgericht vertreten, denn im Gegensatz zur «Classe Politique» ist ein statistisches Losverfahren völlig neutral und gerecht.