Am Wochenende haben israelische Kampfflugzeuge die nordjemenitische Hafenstadt Hodeida angegriffen. Dabei wurden vor allem Öltanks und Hafenanlagen getroffen, aber auch Wohnhäuser zerstört.
Offiziell handelt es sich um einen Vergeltungsschlag für den Drohnenangriff auf Gebäude in Tel Aviv, den Militäreinheiten des nordjemenitischen Huthi-Regimes am vergangenen Freitag durchgeführt hatten. Ziel war vermutlich das amerikanische Konsulat in der Stadt, getroffen wurde ein Wohnhaus. Eine Person wurde getötet, mehrere verletzt.
Die israelischen Streitkräfte hatten schon seit längerem Angriffe auf Einrichtungen der Huthi geplant, so dass sie am Samstag recht gezielt zuschlagen konnten. Die Bilder der gewaltigen Explosionen und der Feuerfront im Hafengebiet hatten einen Zweck: Sie sollten vor allem den Huthis und ihren Verbündeten in Syrien, Libanon und Irak vor Augen führen, wie hart Israels Vergeltung ausfällt.
Ob sich die Hoffnung auf Abschreckung erfüllt, darf bezweifelt werden. Der Anführer der Ansarullah-Bewegung, Abdalmalik al-Huthi, liess verlauten, der Angriff auf «Jaffa» (so die Huthi-Bezeichnung für Tel Aviv) bedeute eine neue, die «fünfte Stufe» im Kampf um Gaza im Besonderen und Palästina im Allgemeinen. Die Gegner, so die Huthi-Propaganda, seien «Amerikaner und Israeli». Ähnlich wie die Hisbollah im Libanon erklärten die Huthi, dass nur ein Ende des Krieges in Gaza und ein Rückzug der IDF ihre Angriffe beenden könnten.
Propagandaerfolg der Huthi
Für die Huthi war der Drohnenangriff in Tel Aviv ein grosser propagandistischer Erfolg: Sie betonen, dass es ihnen gelungen sei, «ein Ziel im Herzen des Feindes anzugreifen». Das liest sich fast wie eine triumphierende Kritik an der iranischen Militäroperation vom 13. und 14. April dieses Jahres, als die iranischen Revolutionsgarden rund 350 Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen erfolglos gegen Israel einsetzten.
Gleichzeitig wurde betont, dass es sich, wie auch bei den Drohnen gegen die internationale Schifffahrt am Tor der Tränen, um eine Drohne aus jemenitischer Eigenproduktion gehandelt habe. Diese Behauptungen sind nicht überprüfbar, deuten aber darauf hin, dass die Huthi eine eigenständige Rolle in der gegen Israel gerichteten Allianz betonen und gleichzeitig sicherstellen wollen, dass der Iran nicht direkt verantwortlich gemacht werden kann.
Sowohl die israelische Seite als auch das Huthi-Regime drohen mit einer weiteren Eskalation. Vertreter der IDF fordern ein noch härteres Vorgehen im Jemen, die Huthi versprechen, ihre Angriffe auch und gerade gegen die Schifffahrt fortzusetzen.
Iranische «Passivität»?
In einer Fernsehansprache sprach Abdalmalik al-Huthi davon, dass die «jemenitischen Streitkräfte» (der Huthi-Bewegung) die Führung einer «Front der al-Aqsa-Achse» übernehmen würden. Diese werde unter anderem durch die Hisbollah im Libanon, den Islamischen Widerstand im Irak und die Ansarullah im Jemen repräsentiert. Den Iran erwähnte er nicht, betonte aber den arabischen Hintergrund dieser «Achse». Es kann natürlich sein, dass al-Huthi hier nur ein arabisches Publikum bedienen will, aber es ist nicht auszuschliessen, dass der Ansarullah-Führer den Iran in den Hintergrund drängt, sei es auf Geheiss des Regimes in Teheran oder als Folge einer tatsächlichen Loslösung von der iranischen Hegemonie. Immerhin ist auch bei der Hisbollah und dem Islamischen Widerstand im Irak eine gewisse Ungeduld angesichts der iranischen «Passivität» festzustellen. Al-Huthi jedenfalls hat nun eine arabische «al-Aqsa-Achse» ins Spiel gebracht, die fast wie ein Gegenmodell zur Achse des Islamischen Widerstands wirkt, die die iranischen Revolutionsgarden als Bündnis ihrer arabischen Proxies aufgebaut haben.
Erwartungsgemäss verurteilt die iranische Regierung die israelischen Angriffe auf Hodeida als «terroristischen Akt» und Bruch des Völkerrechts. Sie warnt erneut vor einer Eskalation des Krieges, lässt aber offen, ob sie mehr als rhetorisch und propagandistisch intervenieren wird. Sicher ist, dass die iranische Führung um Khamenei die Amtseinführung des gewählten iranischen Präsidenten Beseschkian und dessen Regierungsbildung abwarten wird, bevor eine Entscheidung über die zukünftige strategische Ausrichtung des Iran getroffen wird.
Die Reaktion der arabischen Anrainerstaaten ist eher verhalten: Saudi-Arabien hat sich de facto für neutral erklärt und droht mit militärischen Gegenmassnahmen, sollten Israel oder die Huthi seinen Luftraum nutzen. Ägypten und Jordanien fordern «Zurückhaltung» von allen Seiten und rufen nach internationaler Vermittlung. Nur das syrische Regime stellt sich voll hinter das Vorgehen der Huthi und folgt dabei fast wörtlich den bekannten Mustern iranischer Propaganda. Die Regierung des Sultanats Oman, die seit langem einen eher pro-iranischen Kurs fährt, verurteilte die israelische Militäraktion als «unverantwortliche Eskalation».
«Iranisierung» des Huthi-Regimes
Aus der Sicht des Huthi-Regimes sei der Nordjemen nun zu einem «Frontstaat» geworden, der nun weitere Ziele wie Haifa ins Visier nehmen werde. Selbst Angriffe auf die Gasförderanlagen vor der Küste Haifas werden nicht mehr ausgeschlossen. Offenbar hofft das Regime auch auf die Lieferung russischer Raketen.
Von einer militärischen oder gar politischen Deeskalation kann keine Rede sein. Das Huthi-Regime wird versuchen, seine Verbündeten im Libanon, in Syrien und im Irak militärisch zu koordinieren, um Alleingänge wie zuletzt den gescheiterten Raketenangriff des Islamischen Widerstands im Irak auf Eilat zu verhindern. Es ist zu erwarten, dass, je prekärer die Lage der Hamas in Gaza wird, die Milizen der «al-Aqsa-Achse» versuchen werden, militärisch zu intervenieren.
Das Huthi-Regime argumentiert in diesem Zusammenhang, dass es politisch und militärisch mit der Hisbollah gleichgezogen habe und daher berechtigt sei, eine führende Position unter den Verbündeten der «Achse des Islamischen Widerstands» einzunehmen. Dieser Anspruch dient ebenso wie derjenige der Hisbollah vor allem der Stabilisierung der innergesellschaftlichen Hegemonie und der Legitimation ihrer Herrschaft.
Seit gut vier Jahren arbeitet das Huthi-Regime an einer «Iranisierung» seiner Staatsmacht. Dies bedeutet nicht nur eine Anpassung an die ideologisch-theologischen Rechtfertigungsstrategien, mit denen das iranische Regime die klerikale Macht zementiert, sondern auch die Übernahme staatlicher Organisationsmuster der Islamischen Republik. Abdalmalik al-Huthi, der seit zwanzig Jahren die Ansarullah-Bewegung anführt, möchte die Rolle eines jemenitischen Khamenei übernehmen, die Machtstellung der Huthi-Familie sichern und damit das traditionelle zaiditische Verständnis von legitimer politischer Herrschaft über Bord werfen. Gegen die damit verbundene Anpassung der zaiditischen Tradition an die im Iran dominierende zwölferschiitische Theologie regt sich unter den zaiditischen Familien im Nordjemen zunehmend Protest. Die Kriegsführung gegen Israel ist somit auch als Instrument zur Durchsetzung der neuen staatlichen Machtordnung der Huthi im Nordjemen zu verstehen.