Als Ausdruck der Solidarität, im Rahmen übergeordneter Werte, zur Unterstützung des Völkerrechts und nicht zuletzt, um dem Vorwurf zu entgehen, aus Umgehungsgeschäften zu profitieren, soll die Schweiz die EU-Sanktionen übernehmen. Diese Forderung schallt aus dem Ausland herüber, sie hat auch in der Schweiz ihre Unterstützer. Dabei ist wie immer viel verlogene Heuchelei im Spiel.
Keine Regel ohne Ausnahme
Man könnte meinen, dass die EU-Sanktionen natürlich und in erster Linie Waffenlieferungen an Russland verbieten. Nun ja. Das wirtschaftlich wankende Frankreich hat aber einen milliardenschweren Auftrag, zwei Helikopterträger zu liefern. Das schwer angeschlagene Land will auf diese Einnahme nicht verzichten. Also wurde die Ausnahme geschaffen, dass vor dem 1. August 2014 geschlossene Verträge eingehalten werden dürfen. Die dumme Schweiz hat dagegen ein Waffenembargo beschlossen, ohne Ausnahmen.
Der estnische Präsident, ausgerechnet, warf in einem vielbeachteten Interview der Schweiz vor, sie übernähme die Sanktionen nicht, weil sie ihren Finanzplatz für Umgehungsgeschäfte bevorteilen wolle. In Wirklichkeit hat die EU, mit Rücksicht auf Mitgliedstaaten, in denen Niederlassungen russischer Banken eine wichtige Rolle spielen, diese Institute von den Sanktionen ausgenommen. Sie gelten nur für Banken in Russland selbst – sowie für Filialen ausserhalb der EU – also zum Beispiel in der Schweiz.
Also können Umgehungsgeschäfte problemlos in der EU selbst ausgeführt werden, ein Umweg über die Schweiz würde die Sache höchstens komplizieren. Wie dumm muss da jemand sein, der lauthals fordert, die Eigenossen dürfen ja nicht Rosinenpicker, Profiteure der EU-Sanktionen sein? Wenn diese Forderung aus der EU erschallt, ist sie nicht dumm, sondern clever – und reine Heuchelei. Wer sie in der Schweiz aufnimmt, ist allerdings nur dumm.
Weitere Umgehungsgeschäfte
Nun könnte ein Produzent von Lebensmitteln in der EU auf die Idee kommen, die Sanktionen zu umgehen, indem er sie via Schweiz nach Russland exportiert. Und geldgierige Eidgenossen verdienten sich einen schnellen Franken daran. In Wirklichkeit ausgeschlossen, denn auch Russland fordert natürlich eine Herkunftsdeklaration. Also keine Chance für EU-Lebensmittel. Ausser, es würde getrickst und gefälscht, aber das ist sowohl innerhalb wie ausserhalb der EU kriminell und würde im Rechtsstaat Schweiz bestraft werden.
Nun erfreuen sich aber nicht nur Schweizer Käseproduzenten einer erhöhten Nachfrage aus Russland. Ha, da haben wir also endlich die Profiteure. Kriegsgewinnler, Sanktionsbrecher. Amoralische Zyniker, die dafür sorgen, dass es nach der Auslieferung genügend Milchprodukte und Lebensmittel auf den französischen Kriegsschiffen gibt, wenn die dann vom «Brandstifter», vom «Paria» Putin für seine aggressive, völkerrechtswidrige Politik eingesetzt werden. Kann das jemand wirklich ernst nehmen?
Beiseitestehen, nicht wegducken
Schweizer Neutralität, soweit da noch ein Wesenskern erkennbar ist, bedeutet in erster Linie, sich nicht in fremde Händel einmischen. Schweizer Staatsräson ist, peinlich genau alle Beschlüsse internationaler Organisationen mitzutragen. Aber nur, wenn die Schweiz auch Mitglied ist. Und glücklicherweise ist die Schweiz weder Mitglied der EU noch Bundesstaat der USA. Und auch mit Russland bestehen keinerlei engere zwischenstaatliche Bindungen.
Also befindet sich die Schweiz in der glücklichen Lage, nicht entscheiden zu müssen, ob die westliche oder die russische Sicht übergeordneten Werten wie Völkerrecht, internationalen Regeln oder der Verteidigung der Zivilisation gegen Barbarei entspricht. Ob hier eine Seite eine postfaschistische Putschregierung ist, die ihre eigene Bevölkerung in Grossstädten bombardiert und aushungert. Oder der Hort von Freiheit und Demokratie, der sich gegen die militärische Aggression eines Drittstaates zur Wehr setzt.
Statt sich ernsthaft auf Diskussionen über eine teilweise oder vollständige Übernahme der löchrigen, verlogenen und heuchlerischen Westsanktionen einzulassen, sollte es die Schweiz hier wie mit den russischen Gegensanktionen halten: gar nicht erst ignorieren. Beiseitestehen, nicht wegducken.
Reine Machtfrage
Wie allerdings nicht zuletzt Schweizer Banken schmerzlich erfahren mussten, gibt es hinter der hohlen Fassade von hehren Worten wie Völkerrecht, fundamentale Werte der Völkergemeinschaft, reine, nackte Macht. Als Macht wie immer amoralisch, nur auf den eigenen Vorteil und die Durchsetzung eigener Partikularinteressen bedacht. Diese Macht materialisiert sich in erster Linie heutzutage im Besitz von Weltwährungen.
Es ist kaum anzunehmen, dass die USA – oder die EU – der Schweiz mit militärischen Strafaktionen drohen sollten, erfüllte die Eidgenossenschaft nicht «freiwillig» die westlichen Sanktionen. Aber die Benützung von US-Dollar oder Euro bei der Erfüllung abgeschlossener Verträge wird das Problem sein. Was wird passieren, wenn zum Beispiel Frankreich problemlos 1,2 Milliarden Euro für die Ablieferung seiner Kriegsschiffe an Russland kassiert, ein Schweizer KMU für die Lieferung von Käse dummerweise Zahlung in Euro vereinbarte – und die blockiert werden? Die Firma könnte natürlich, welche Absurdität, Zahlung über eine russische Bankfiliale in der EU verlangen. Dann ginge das, würde ein russisches Institut in der Schweiz auszahlen wollen, gäbe es Probleme.
In diesem Fall ist die Schweizer Regierung gefordert. Entweder hält sie an ihrem Schlingerkurs – es möglichst allen recht machen – fest, oder sie tut das, was jede Regierung eines souveränen Staates machen muss. Sie beschützt ihre Bürger und Unternehmen, die sich im Rechtsrahmen der Schweiz nichts haben zuschulden kommen lassen. Da sind wir aber mal gespannt.