Seit Jahren schreibe ich ab und zu einen Beitrag zur bekanntesten „Dunkelkammer“ der Schweiz: dem National- und Ständerat. Hegte ich einst die Hoffnung, im Zug der omnipräsenten Transparenzforderungen kehre allmählich – mit gebührender Verspätung – auch dort etwas mehr Licht in den Politikalltag ein, habe ich diese naive Erwartung längst abgeschrieben. Ja, die bürgerfeindliche Dunkelheit nimmt zu statt ab – zwar nach aussen beklagt, jedoch gleichzeitig innen gewollt.
Lobbying ist Teil unseres politischen Systems
Wenn wir davon ausgehen, dass „Lobbying Teil unseres politischen Systems“ ist, wie Economiesuisse kürzlich verlauten liess, dann ist das weder neu noch eine besondere qualitative Auszeichnung. Wenn der Gewerbeverband nachdoppelt und der Bevölkerung kundtut, „eine Revision des heutigen Zugangssystems sei gar nicht nötig“, ist ihm diese Sicht nicht abzusprechen. Nur, beide Stellungsnahmen zum Versuch der Ständeratskommission, den Lobby-Badges-Basar im Bundeshaus wenigstens ansatzweise zeitgemässer zu gestalten, zeigen eines: Offiziell dreht sich ja alles um die Volksvertreter und wer weiterhin privilegierten Zugang zu diesen haben soll – vor allem nur noch eine statt zwei Personen pro Ratsmitglied. Doch längst haben wir zur Kenntnis nehmen müssen, dass für diese beiden Lobby-Organisationen ihre „Delegierten“ das Mass der Dinge sind. Mehr noch: das Volk soll dabei draussen bleiben und Wirtschaft und Politik möglichst nicht stören bei ihrer verantwortungsvollen Aufgabe.
Das Feigenblatt „Register der Interessenverbindungen“
Selbstverständlich kann auch jederzeit im öffentlichen „Register der Interessenbindungen“ eingesehen werden (auch im Internet), welche Ratsmitglieder bei welchen Interessen- und Beratergruppen, Führungs- und Aufsichtsgremien, sowie Beiräten von Körperschaften, Anstalten und Stiftungen sitzen. (Die entsprechenden Listen sind beeindruckende rund 70 Seiten umfassend). Es heisst dort sogar: „Die Offenlegung der Interessenbindungen soll der Transparenz über die politischen Interessenverflechtungen zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft dienen; sie ist Voraussetzung dafür, dass die Bürgerinnen und Bürger erkennen können, welche privaten Tätigkeiten die Entscheidungsfindung der Ratsmitglieder beeinflussen können.“ Genau darum geht es: wie stark wird deren Entscheidungsfindung im Sinne dieser Interessenbindungen mehr oder weniger sanft gelenkt? In wessen Sinne? Des Volkes oder der Wirtschaft, resp. Gewerkschaft?
Alles wie gehabt, schön im Dunkeln
Man braucht keine hellseherischen Qualitäten, um vorauszusagen, dass der Gesetzesvorschlag unter diesen Bedingungen im Parlament kaum eine Mehrheit erzielten dürfte. Alles wird beim Alten bleiben. Was die Antikorruptionsorganisation Transparency International im TA veranlasst, diese Manöver mit scharfen Worten zu kommentieren. „Der Gesetzesvorschlag ist zum wiederholten Male eine verpasste Chance, das Lobbying auf Bundesebene endlich wirkungsvollen Transparenz- und Verhaltensregeln zu unterstellen.“
Entscheidet Geld über die Politik?
Wie der Politologe Michael Hermann einmal treffend bemerkte, sitzen im Übrigen die grössten Lobbyisten nicht in der Wandelhalle, sondern in den Ratssälen. „Es ist viel einfacher, ein paar wenige Meinungsmacher im Parlament mit einseitigen Informationen und Geld zu beeinflussen, als das Volk“ (Sonntagszeitung). Diesbezüglich wissen wir ja alle, dass – wer am meisten Geld für Lobbying aufbringt – im Bundeshaus auch mehr bewegen kann. Nicht überraschend: Geld entscheidet. Wer welche Sitzungsgelder wo und für wie viele (wenige?) Sitzungen kassiert, darüber liegt weiterhin der Teppich des Schweigens.
Besonders der Einsitz in Kommissionen macht National- und Ständeräte attraktiv für Lobbyarbeit. Sie werden deshalb mit Mandaten überhäuft, war kürzlich in der Bilanz zu lesen. Diese Sitzungen sind nicht öffentlich, deren Protokolle geheim. Ob, als Beispiel, ein Politiker in der Energiekommission Einsitz nimmt und gleichzeitig VR bei Energiefirmen ist, oder ein Gesundheitspolitiker ein Mandat innehat als Krankenkassen-VR – Interessenskonflikte noch und noch. Doch einzelne Parteien blockieren alle Reformvorschläge. So kassiert etwa FDP-Ständerat Josef Dittli für das Präsidium des Kassenverbands Curafutura stolze 140‘000 Franken, das sind aber immer noch 40‘000 Franken weniger als sein Vorgänger Cassis erhielt…Ende Mai 2018 stimmten die Mitglieder der SVP und der FDP praktisch geschlossen gegen mehr Transparenz bei ihren eigenen Mandaten.
Scheinheilige Politiker
Wenn sich also viele Kräfte, darunter auch die PR-Branche selbst, seit Jahren vergeblich um eine zeitgemässe Regelung des Lobbyismus im Bundeshaus bemühen, warum bewegt sich nichts? Es sind die Parlamentarierinnen und Parlamentarier, die mehr Transparenz fürchten. Alle Anläufe in den letzten Jahren scheiterten kläglich an deren Widerstand. Warum also soll denn unser „Götti-System“ à toux prix überleben? Gemeint ist damit, damit das ganz klar ist, das Badge-System, mit dem jeder Parlamentarier zwei Zugangsausweise zum Parlamentarierbetrieb zu vergeben hat. Dieses System ist intransparent und anachronistisch und öffnet zudem Abhängigkeiten Tür und Tor. Unser Parlament will nichts wissen von der staatspolitisch wichtigen Bedeutung vermehrter Transparenz, wofür zum Beispiel in den USA oder der EU gesorgt ist. Die Argumente sind fadenscheinig.
Wie die NZZamSonnatag vermutet, stören sich die Verantwortlichen National- und Ständeräte an zwei Dingen: Vermehrte Transparenz bei den Lobbyisten würde auch eine genauere Durchleuchtung der Parlamentarier-Mandate selbst nach sich ziehen. Eine Akkreditierungslösung für Lobbyisten würde zudem ganz offiziell bestätigen, was längst Fakt ist: „Die professionellen Interessenvertreter sind im politischen Meinungsbildungsprozess im Bundeshaus nicht mehr wegzudenkende Akteure.“
Dies lässt die Frage aufkommen, ob viele Mitglieder unseres „Milizparlaments“ nicht selbst „sowohl, als auch“ praktizieren – einerseits Parlaments- resp. Volksvertreter, andererseits externe Interessenvertreter – alles in Personalunion. Indem sie immer häufiger selbst - neben der Parlamentsarbeit und deren nicht zu knappen Vergütung - gut dotierte Mandate annehmen, erweisen sie sich in dem Sinne polyvalent, als sie gleich beide „Berufe“ (und deren finanziellen Abgeltungen) zusammenlegen. Wo liegt also das Problem?
Ein helvetischer Sonderfall ist und bleibt die Agrar-Lobby, die sich immer wieder unzeitgemäss in Szene setzt mit ihren rückwärtsgerichteten Auftritten im Bundeshaus. Darüber mehr in meinem nächsten Beitrag in zehn Tagen