Die EU-Finanzminister haben sich auf eine Reform der gemeinsamen Schuldenregeln geeinigt, die eine stärkere Berücksichtigung der individuellen wirtschaftlichen Situationen der Länder vorsieht, Investitionen und Strukturreformen fördert und einen schrittweisen Schuldenabbau mit flexiblen Zeiträumen einführt, um «Stabilität und Wachstum» zu gewährleisten. Was gut tönt kann die Staatsfinanzen gefährden – «Greek Statistics» für alle.
Ein wichtiger Grund für den griechischen Staatsbankrott im März 2010 waren die irreführender Haushaltsstatistiken. Es wurde zum Beispiel versäumt, laufende Verteidigungsausgaben im Budget zu vermerken. Aufgrund der sehr hohen Rüstungsausgaben handelte es sich um erhebliche Beträge. Als das Haushaltsdefizit scharf nach oben korrigiert werden musste, entstand eine Vertrauenskrise, die Zinsen stiegen steil an und Hellas konnte seine Schulden nicht mehr refinanzieren. Das Land war bankrott.
Die «Greek Statistics» oder das Pippi-Langstrumpf-Prinzip
Dies führte zur Entstehung des Begriffs «Greek Statistics», Buchführung nach dem Pippi-Langstrumpf-Prinzip («Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt»). Die Kritik an Griechenland nahm extreme Ausmasse an. Gerade in deutschen Medien überschritt sie jedes erträgliche Mass und war oft nahe am Rassismus. Dies, obwohl die Hilfsprogramme für Griechenland den deutschen Steuerzahler bisher nicht nur nichts gekostet, sondern kräftige Einnahmen beschert haben.
Sollte man vielleicht nun die Griechen um Entschuldigung bitten? Die EU will nämlich «Greek Statistics» für die gesamte EU einführen.
Um im Wettrüsten mit Russland mitzuhalten, haben sich die EU-Finanzminister auf eine Reform der gemeinsamen Schuldenregeln geeinigt, wie von der spanischen EU-Ratspräsidentschaft auf der Plattform X (ehemals Twitter) bekannt gegeben wurde. Die Einigung wird als Schutz für «Stabilität und Wachstum» betrachtet, muss jedoch noch von den einzelnen Ländern angenommen und mit dem EU-Parlament verhandelt werden.
Die Reform sieht vor, dass die individuellen wirtschaftlichen Situationen der Länder stärker bei den Vorgaben zur Staatsverschuldung berücksichtigt werden sollen. Der deutsche Bundesfinanzminister Christian Lindner bezeichnet die neuen Fiskalregeln als realistischer und wirksamer, da sie klare Ziele für niedrige Defizite und sinkende Schuldenquoten mit Anreizen für Investitionen und Strukturreformen verbinden.
Die Einigung basiert auf einem deutsch-französischen Vorschlag, auf den sich die Finanzminister Bruno Le Maire und Christian Lindner geeinigt hatten. Zuvor hatten Deutschland und Frankreich in der Debatte unterschiedliche Positionen eingenommen. Der Vorschlag beinhaltet effektivere Richtlinien für den Abbau von Haushaltsdefiziten und Staatsverschuldung, wobei Investitionen und Strukturreformen stärker berücksichtigt werden sollen.
Ab 2025 sollen Schuldenwerte in Zeiträumen von vier oder in Ausnahmefällen sieben Jahren stetig abgebaut werden. Dieser längere Zeitraum gilt für Staaten, die bestimmte Reformen oder Investitionen durchführen, die den Prioritäten der EU entsprechen. Die individuellen Pläne für den Schuldenabbau werden mit der EU-Kommission ausgehandelt.
Die Einigung wird heute von den Medien als positive Nachricht für Europa betrachtet, da sie gesunde öffentliche Finanzen und Zukunftsinvestitionen garantieren soll.
Die bisherigen Schuldenregeln des Maastricht-Vertrages, die eine Obergrenze von 60 Prozent der Wirtschaftsleistung für Staatsschulden und Defizite von weniger als drei Prozent vorsehen, wurden oft nicht eingehalten. Die neuen Vorgaben bieten mehr Flexibilität, während beide Kennzahlen beibehalten werden.
Aufgrund der Auswirkungen der Corona-Krise und des russischen Krieges gegen die Ukraine wurden die bisherigen Regeln bis 2024 ausgesetzt. Eine Rückkehr zu den alten Vorgaben könnte die wirtschaftliche Entwicklung gefährden, weshalb nun ein Minimum von nur noch einem Prozentpunkt pro Jahr für den Schuldenabbau vorgeschlagen wird. Die neuen Vorgaben sollen voraussichtlich vor der EU-Parlamentswahl im Juni 2024 beschlossen werden.
Chatzidakis triumphiert
Ist das aber tatsächlich die positive Nachricht des Tages, als die sie verkauft wird? Zweifel sind angebracht. Denn obwohl die EU das nicht offen sagt, gelten auch Verteidigungsausgaben als Investitionen. Selbst wenn sie sich niemals rechnen oder einen Gewinn abwerfen und auf Pump finanziert werden. Die entsprechenden Schulden werden aber irgendwann bezahlt werden müssen – von der nächsten oder der übernächsten Generation. Und in der Zwischenzeit werden Zinsen und Zinseszinsen fällig.
Der griechische Finanzminister Kostis Chatzidakis freut sich darüber, dass seine hohen Verteidigungsausgaben nun Investitionen sind und nicht mehr in die Defizit- und Schuldenberechnung der Währungsunion einfliessen. Er brachte es auf den Punkt: «Allem Anschein nach gibt es einen Konsens für die schon seit langem von Griechenland geäusserte Forderung, die Verteidigungsausgaben aus dem Verfahren des exzessiven Haushaltsdefizits herauszunehmen.»
Die Lehren sind vergessen
Die Lehren aus dem griechischen Staatsbankrott scheinen vergessen: Kein Land sollte sich in Versuchung führen lassen, politische Notstände durch unehrliche Buchführung zu beheben.