Lissabon ist vom 1. bis 6. August Gastgeber des katholischen Weltjugendtags (WJT) mit mehr als einer Million junger Leute – und Papst Franziskus als Hauptperson. Nie zuvor hatte die Stadt in einem so kurzen Zeitraum einen solchen Andrang erlebt. Für einigen Dissens sorgt die finanzielle Unterstützung des laizistischen Staates für das Ereignis.
In Portugal gibt es in diesen Tagen am Geldautomaten einen Vorgeschmack auf päpstlichen Segen. «Estou contigo» («Ich stehe bei Dir») begrüsst Papst Franziskus vom Bildschirm aus die Kunden, ehe sie ihre Geheimzahlen eingeben, um Geld abzuheben oder um Rechnungen zu bezahlen. Lissabon steht in diesen Tagen ganz im Zeichen des katholischen Weltjugendtages, zu dem vom 1. bis 6. August mehr als eine Million junger Leute aus aller Welt in die Metropole am Tejo-Fluss strömen dürften.
Der bipolare Staat
Am letzten Wochenende vor dem Grossereignis herrschte Hochbetrieb bei der Strassenreinigung im Wohnquartier des Schreibenden – und wohl nicht nur dort. Eigens eingestelltes zusätzliches Personal sorgte dafür, dass kein Mülleimer überquoll, auf dass sich die Stadt von ihrer besten Seite zeigen kann. Alles soll perfekt ablaufen – mit jener Perfektion, die Portugal wenigstens dann an den Tag legt, wenn das internationale Prestige auf dem Spiel steht. Mega-Events wie Lissabons Weltausstellung Expo ’98, die Fussball-Euro 2004, die Web Summits oder EU-Gipfel gingen nämlich stets absolut glatt über die Bühne. Im Raum steht wieder die Frage, warum der offenbar bipolare Staat den eigenen Menschen im Gesundheitswesen, in der Bildung oder bei anderen öffentlichen Dienstleistungen oft bestenfalls Mittelmässigkeit bietet.
Im Interesse der Sicherheit lässt die Regierung schon seit dem 22. Juli (und bis inklusive 7. August) an seinen Landesgrenzen und Flughäfen wieder die Pässe von Reisenden aus dem Schengen-Raum kontrollieren. Während des Grossereignisses sollen täglich rund 10’000 Polizisten und 1’000 Gendarmen im Einsatz sein, vor allem im Raum Lissabon, aber auch im rund 140 Kilometer nördlich gelegenen Wallfahrtsort Fátima, den Franziskus am 5. August zu besuchen gedenkt (dies schon zum zweiten Mal, nach dem ersten Besuch im Jahr 2017, damals zum 100. Jahrestag der ersten Marienerscheinung von 1917). Es wurden Flugverbotszonen eingerichtet. In Lissabon ist die Sperrung ganzer Strassenzüge und, an einigen Tagen, die von einigen U-Bahn-Stationen vorgesehen. Zeitweise soll auch der Betrieb der unter Touristen so beliebten alten Standseilbahnen ruhen.
«Habemus pasta»
Gab es bei der Sicherheit nicht vielleicht doch schon eine Panne? Im fernen Nordosten von Lissabon liess die Stadtverwaltung den «Parque Tejo» für den abschliessenden Gottesdienst des Papstes am 6. August anlegen, mit einem eigens errichteten Altar, den sich die Stadt ursprünglich mehr als 4 Millionen Euro kosten lassen wollte. Nach Protesten gelang es, den Altar gegenüber den anfänglichen Plänen zu verkleinern und die Kosten auf unter 3 Millionen Euro zu drücken. Für den Maler und Aktionskünstler Artur Bordalo – bekannt als Bordalo II – war das immer noch zu viel. Ihm gelang es vor einigen Tagen, in das Gelände einzudringen und die Stufen des Altars mit einem «Teppich» von überdimensionalen 500-Euro-Noten auszulegen. «Passeio da vergonha», englisch «walk of shame» nannte er das Werk, um dann zu verkünden «habemus pasta».
Am finanziellen Aufwand des laizistischen Staates für das Grossereignis scheiden sich die Geister. Auf 161 Millionen Euro belaufen sich die Kosten insgesamt, 80 Millionen trägt die katholische Kirche, 81 Millionen der Staat sowie die Stadt Lissabon und, zu einem kleinen Teil, die benachbarte Gemeinde Loures. Mehrere Medien hoben dieser Tage kritisch hervor, dass ein grosser Teil der öffentlichen Aufträge nicht über Ausschreibungen erfolgt sei, sondern per Direktvergabe.
Der Papst als «Rebell» und Fussball als Religion
Wer die Hilfe des Staats für dieses religiöse Ereignis kritisiere, müsse auch den viel höheren Aufwand der Öffentlichen Hand für die Euro 2004 vor 20 Jahren beanstanden, ist nicht nur von konservativer Seite zu hören. Vor den damals errichteten Stadien sollten ebenfalls «walks of shame» ausgelegt werden, fand der bekannte linke, oft provokative und nach eigenen Worten nicht gläubige Liedermacher Pedro Abrunhosa. Aber die wahre Religion in Portugal sei der Fussball. Abrunhosa sah in Papst Franziskus mit seinen sozialen und humanitären Überzeugungen und Kritik am Kapitalismus derweil einen Rebellen, einen Revolutionär. Er bringe Licht dorthin, wo zu viel Dunkel sei. Und weil er so viele Menschen mobilisiere, solle man ihm zuhören.
Dem finanziellen Aufwand des Staates stehen zudem Einnahmen gegenüber, argumentierte unter anderem der Bürgermeister Lissabons, Carlos Moedas, vom bürgerlichen Partido Social Democrata, dem oft vorgeworfen wird, dass ihm der Tourismus wichtiger sei als das Wohl der Bevölkerung. Auf 411 bis 564 Millionen Euro schätzte die Consulting-Gesellschaft Pricewaterhouse Coopers den wirtschaftlichen Impakt des religiösen Ereignisses.
Erinnerungen an sexuelle Missbräuche
Andere kritische Stimmen erinnern an jahrelange sexuelle Missbräuche von Kindern und Jugendlichen durch Angehörige der Kirche. Erst im Februar dieses Jahres hatte eine von ihr selbst eingesetzte unabhängige Kommission für die Jahre 1950 bis 2022 nicht weniger als 4’815 Opfer registriert. Mit der Aufarbeitung dieses Skandals tat sich die Kirche aber schwer. Anders als im Frühjahr angekündigt, wird ein geplantes Denkmal für diese Opfer nicht rechtzeitig zum WJT fertig. Immerhin ist vorgesehen, dass sich der Papst mit einer kleinen Gruppe von Missbrauchsopfern trifft – offenbar in einem diskreten Rahmen, der auch deren Anonymität gewährleistet.
Wie klug ist die Kirche aus dem Skandal geworden? Im Frühjahr fand der Schreibende in seinem Briefkasten ein Formular der Kirchengemeinde seines Wohnquartiers. Sie suchte nach Gastfamilien für die Aufnahme junger Gläubiger während des WJT und fragte erst nach allen möglichen Charakteristika der Unterkunft und dann nach der Zahl der Schlafplätze, mindestens zwei müssten es sein. Eine Vorsichtsmassnahme?
Zustrom aus fast allen Ländern der Welt
Im Vorfeld des WJT hat sich die Kirche – vertreten durch Bischof Dom Américo Aguiar – als locker und offen gegeben. 360’000 junge Leute bis 30 Jahre haben sich bisher angemeldet, sagte er am Sonntagabend in einem TV-Interview. Sie kämen aus fast allen Ländern der Welt, sogar aus Nordkorea, nur nicht von den Malediven (wichtigste Herkunftsländer sind Spanien, Italien, Frankreich, Portugal und die USA). Inklusive der nicht angemeldeten jungen Leute seien beim WJT insgesamt 1,2 Millionen Personen zu erwarten.
Sie logieren zu einem grossen Teil nicht in Hotels, deren Preise für diese Tage brutal gestiegen sind, sondern in Gemeinschaftsunterkünften wie etwa Sporthallen. Aber auch gut 7’000 Familien nehmen Gäste auf. Sogar Altentagesstätten beteiligen sich irgendwie an der Organisation. Mehr als 22’000 freiwillige Helferinnen und Helfer sollen zum reibungslosen Ablauf beitragen, nicht zu vergessen die zahlreichen Anlaufpunkte für ärztliche Hilfe, die schon angesichts der sommerlichen Hitze nötig sein kann. Fast 5’000 Medienleute haben sich akkreditiert. Während sich Lissabon mit Gläubigen in gelben T-Shirts füllt, werden etliche Unternehmen ihrem Personal die tägliche Anfahrt zur Arbeit ersparen und sie von zu Hause aus arbeiten lassen – wie während der Covid-Pandemie. In Gesprächen kommt derweil nicht nur Akzeptanz für das Ereignis zum Ausdruck. Zu hören sind auch Klagen über ein befürchtetes Chaos in der Stadt. Medien hoben hervor, dass sich 80 Prozent der Bevölkerung zwar zum Katholizismus bekennten, die Zahl der praktizierenden Katholiken aber gering sei.
Nicht nur himmlische Gnade
Zum Auftakt des WJT findet an diesem Dienstagabend ein Gottesdienst im Lissabonner Parque Eduardo VII statt, abgehalten von Dom Manuel Clemente, Kardinal-Patriarch von Lissabon. Papst Franziskus soll erst am Mittwochmorgen in der portugiesischen Hauptstadt eintreffen. Auf seinem Programm stehen unter anderem auch Treffen mit Angehörigen der politischen Führung und dem diplomatischen Korps und ein Besuch in einem sozialen Wohnviertel. Nach dem Besuch in Fátima am 5. August hält der Heilige Vater am 6. August in Lissabon die abschliessende Messe, ehe er nach Rom zurückfliegt.
Die sozialistische Regierung nahm den Papstbesuch derweil zum Anlass, nicht nur himmlische Gnade walten zu lassen. Auf ihren Vorschlag hin billigte das Parlament eine teilweise Amnestie für junge Leute, die Haftstrafen mit einer Dauer von bis zu acht Jahren verbüssen und zur Tatzeit maximal 30 Jahre alt waren (also so alt wie die Gläubigen beim WJT). Sie sollen nun jeweils ein Jahr der Strafe erlassen bekommen, ausser bei Verurteilungen wegen Straftaten wie Handel mit menschlichen Organen, Mord, häusliche Gewalt, Genitalverstümmelung von Mädchen und Frauen, Sexualdelikte, Geldwäsche und Korruption. Unter Juristen ist umstritten, ob die Altersgrenze nicht gegen das Verfassungsgebot der Gleichbehandlung verstösst. Aber die Klärung dieser Fragen wird wohl bis nach dem WJT warten müssen.