Es gibt Politiker (und Medien), die heben immer häufiger den linksextremen und den rechtsextremen Terror auf das gleiche Niveau. Das ist gefährlich.
Einige Statistiken besagen, dass die Zahl der linken Gewalttaten höher ist als jene der rechten Gewalttaten. Doch Zahlen sagen in diesem Fall wenig aus. Wichtiger ist: Wie sieht linksextreme Gewalt heute aus, und welche Qualität hat rechtsextreme Gewalt?
Wenn einige superlinke Anarchisten oder Mitglieder des Schwarzen Blocks eine Schaufensterscheibe einschlagen, zählt das als „eine linksextreme Gewalttat“. Wenn aber ein Rechtsextremist in einer Synagoge Juden erschiessen will, zählt auch das als „ein rechtsextremer Gewaltakt“. Hier Sachbeschädigung, dort Mord. Laut Statistik also: eins zu eins.
Kann man linksextremes Wüten, das Anzünden von Autos, die Schmierereien an Banken, das Aufschlitzen von Pneus und anarchistische Aufrufe vergleichen mit der Mordserie der NSU? Oder mit dem Anschlag in Halle und dem versuchten Massenmord an Juden? Oder dem Terror in Hanau, bei dem ein rassistischer Täter neun Personen tötete? Oder mit dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der von einem Neonazi erschossen wurde?
Wo ist heute ein linksextremes Pendant zur „Gruppe S.“, dieser rechtsextremen Terrorzelle, die die deutsche Polizei kürzlich in sechs Bundesländern ausgehoben hat? Die Rechtsterroristen wollten nach Angaben der Bundesanwaltschaft „bürgerkriegsähnliche Zustände“ herbeiführen und planten offenbar Attentate auf Politiker, Asylsuchende und Muslime.
Zahlen und Statistiken sind das eine. Wichtig ist auch, welches politische und gesellschaftliche Klima die Rechtsextremisten und Rechtspopulisten schaffen.
Das Gefahrenpotential der Linksextremen soll keineswegs bagatellisiert werden. Sicher gibt es unter ihnen einige aus der Zeit gefallene Möchte-gerne-Revolutionäre, die mit allen Mitteln für die „Weltrevolution“ kämpfen. Doch das sind wenige. Viele sind anarchistische Radaubrüder mit wirren Vorstellungen.
Andererseits wollen viele rechtsextreme Demonstranten mehr: Sie haben einen konkreten, nicht wirren Plan. Sie wollen die Demokratie in der heutigen Form abschaffen, sie wollen die Regierung stürzen und den Rechtsstaat liquidieren. Anders sind die Angriffe und Aggressionen gegen die demokratisch gewählte Regierung nicht zu interpretieren. Pegida, Teile der AfD, Björn Höcke, die Identitären, die NPD, die anderen Neonazis und andere wollen einen anderen Staat.
Und schon mischen sich in ihre Parolen Ausfälle gegen Juden, Zigeuner und Homosexuelle – und gegen Dunkelhäutige und Flüchtlinge sowieso. Hört man einigen Rechtsaussen-Politikern und -Anhängern genau zu, überkommt einem ein Grauen. Und wühlt man sich durch ihre Accounts in den sozialen Medien, stockt einem der Atem. Da schaukeln sich Rechtsextreme hoch, befeuern sich in ihrem Hass gegen das heutige System und geben sich gar Anweisungen für Anschläge. „Youtube ist einer der Hauptnährböden für Rechtsextremismus im Internet“, schreibt die österreichische Terrorismusforscherin Julia Ebner *).
Bewusst wird die Autorität des Staates untergraben. Rechtsextreme und Rechtspopulisten verbreiten gezielte Falschmeldungen, versuchen aufzuwiegeln. Politiker werden aufs Hässlichste angeschwärzt. Merkel wird als „Blutkanzlerin“ oder „Adolfina Ferkel“ bezeichnet. Wahlen werden als Wahlbetrug verunglimpft. Verleumdungen und Hate Speech grassieren, auch Verschwörungstheorien. Der Holocaust wird geleugnet oder verharmlost („Ein Vogelschiss der Geschichte“). Die meisten „wirkungsmächtigen Falschmeldungen“ würden in Deutschland vor allem von Rechten, Rechtspopulistischen und Rechtsextremen verbreitet, schreibt der ARD-Journalist Patrick Gensing **). Dabei bilde „die AfD die Speerspitze“.
Natürlich handelt sich bei den ultrarechten Hardlinern um eine kleine Gruppe. Auch die Aufmärsche von glatzköpfigen Neonazis, die mit gestreckten Armen durch die Strassen grölen, sind Ausnahmeerscheinungen. Natürlich sind der Staat und die Demokratie stark und gefestigt, und Deutschland ist heute nicht Weimar.
Und natürlich kann man auch vornehm sagen, die Ausfälle der Rechtsextremisten seien Randerscheinungen. Sicher, doch die Randerscheinungen häufen sich in beunruhigendem Masse. Und sie schaffen ein Klima, in dem der Antisemitismus und Rassismus schreckliche Blüten treiben. Nicht zu unterschätzen ist zudem, dass dank der neuen Technologien, dank der sozialen Medien ein breiter Nährboden für Hass und Gewalt geschaffen wird.
Und die Partei „Die Linke“, die SED-Nachfolgepartei? Manche sprechen heute vom „linken und vom rechten Rand“ und setzen Rechtsextreme und die Linkspartei ins gleiche Boot. Sicher kann man nur den Kopf schütteln, wenn Anhänger der Linken die DDR wieder hochleben lassen, den Mauerbau rechtfertigen, und wenn Linke-Politiker zu Nicolás Maduro nach Venezuela pilgern. Und dennoch.
Friedrich Merz, CDU-Politiker, Möchte-gern-Kanzler und frei von jedem Verdacht, ein Linker zu sein, spricht vergangene Woche in einem Spiegel-Interview Klartext: „Ich habe massive und grundsätzliche Vorbehalte gegen die Linkspartei, und es gibt viele gute Gründe für die CDU, eine Zusammenarbeit mit ihr auszuschliessen. Aber der Rechtsradikalismus in Deutschland hat eine ganz andere Qualität und Dimension als jede andere Form von politischem Radikalismus.“ Und er fügt hinzu: „Ja, wir haben ein Problem mit wieder zunehmendem und gewaltbereitem Linksradikalismus, aber die Sicherheitsbehörden haben das zurzeit weitgehend im Griff. Aus dem rechtsradikalen Spektrum hingegen haben wir in den letzten Jahren rund 100 Mordopfer zu beklagen. Das ist gerade in Deutschland besonders furchtbar.“
Wer die linken Gewalttaten im gleichen Atemzug nennt wie die rechtsextreme Gewalt und die rechtsextremen Umtriebe, der verharmlost – bewusst? – den Rechtsextremismus.
Ralph Brinkhaus, Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Bundestag – auch er alles andere als ein Linker –, sagte letzte Woche im Bundestag: „Der Feind unserer Demokratie steht in diesen Tagen rechts – und nirgendwo anders.“
*) Julia Ebner: Radikalisierungsmaschinen, Suhrkamp, 2019
**) Patrick Gensing: Fakten gegen Fake News, Dudenverlag, 2019