Manuel Gasser wurde gelesen und diskutiert, bewundert und angegriffen. Er war als Buchautor, Mitbegründer und Feuilletonchef der „Weltwoche“, dann als Chefredaktor des „Du“ ein Entdecker, Förderer und Richter. Sein Wort, ob es Zustimmung fand oder Ablehnung, hatte Gewicht. In der kulturellen Schweiz und darüber hinaus war Manuel Gasser, 1909 in Zürich geboren und dort 1979 gestorben, eine Geistesgrösse und eine Grösse, an der sich die Geister schieden. Das nahm er, noch zur Generation der mit aller Selbstverständlichkeit herrschenden Chefredaktoren gehörend, souverän hin. Im Urteil von Friedrich Dürrenmatt war Manuel Gassers „Liebe zur Kunst eine Kunst der Liebe“.
Intensive und spürsinnige Recherche
Leben und Wirken drängten sich für eine Biografie auf. Mit einem Geleitwort von Klara Obermüller liegt sie nun aus der Hand von David Streiff vor.
Es wird hier die lebensbeschreibende Arbeit gewürdigt und allenfalls indirekt Manuel Gasser. Was David Streiff nach seinem Rücktritt als Direktor des Bundesamtes für Kultur in neunjähriger Anstrengung leistete, verdient höchste Anerkennung: für die Ausdauer, das Streben nach Genauigkeit der Fakten, für den Willen, eine starke, facettenreiche und widersprüchliche Persönlichkeit zu erfassen.
Aus der Haltung, die David Streiff einnahm, wurde es eine leseleichte Hommage, aus der Pflichterfüllung als Kunsthistoriker eine klar geordnete, Licht und Schatten gerecht verteilende Biografie.
Er zog das veröffentlichte Werk Manuel Gassers heran, das Klara Obermüller und Manfred Hoppe nachgelassene, nicht purifizierte und jetzt erstmals ausgewertete Privatarchiv samt einer ausgedehnten Privatkorrespondenz, schliesslich die Gerichtsakten des Ehrverletzungsprozesses, den der Schriftsteller Bernard von Brentano gegen Manuel Gasser obsiegend führte, und Sekundärliteratur. Zur immensen Recherche kamen an die dreissig Gespräche mit Zeitzeugen und Detailnachforschungen hinzu.
Gesellschaftlicher Wandel im Blick
Als sich David Streiff, Präsident der Fotostiftung Schweiz, mit dem fotografischen Schaffen des Bildhauers Karl Geiser befasste, stiess er immer wieder auf Manuel Gasser als dessen Förderer und Auftraggeber. Das war der Auslöser, sich für ihn, dem er persönlich nie begegnete, näher zu interessieren. Gasser mit dem von ihm verantworteten „Du“ sei zudem, schreibt Streiff in der Einleitung zur Biografie, entscheidend gewesen für die Wahl der Kunstgeschichte als Studienfach.
Streiff fasziniert zudem wie Gasser die männliche Schönheit. Das Buch sei deshalb „nicht nur ein Beitrag zu einem Kapitel der Schweizer Medien- und Kunstgeschichte, sondern eben auch – vielleicht sogar in erster Linie – die Nacherzählung einer aussergewöhnlich offen gelebten schwulen Biografie im gesellschaftlichen Wandel zwischen den Zwanziger- und den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts“.
Entstanden sei, legt die mit Manuel Gasser befreundete Klara Obermüller im Geleitwort dar, „ein umfassendes, mit ebenso viel Sachverstand wie Empathie geschriebenes und gleichwohl nicht unkritisches Lebensbild“.
Informationstiefe von aktueller Gültigkeit
Beizufügen ist lediglich, dass das mit schlichter Eleganz überzeugend gestaltete Buch einen Schatz von Fotografien bietet, der seinerseits Manuel Gasser und dem mit ihm verbundenen Personenkreis spannende Anschaulichkeit verleiht.
Der bedeutende Publizist starb vor bald vierzig Jahren. Die Resonanz, die sein Name einst erreichte, ist schwächer geworden. Der Griffe zu einem Buch, das schlicht „Manuel Gasser – Biografie“ heisst, dürften heute wohl weniger sein als zwei, drei Dezennien zuvor. Das ist bedauerlich. Denn David Streiff schildert mit Informationstiefe eine Zeit, die zu kennen dem besseren Verstehen der Gegenwart hilft.
David Streiff, Manuel Gasser. Biografie, mit einem Geleitwort
von Klara Obermüller, 732 Seiten, gebunden, 180 Fotos und Abbildungen,
Limmat Verlag, Zürich 2016