Die Schau über die amerikanische Malerin Lee Krasner (1908-1984) im Berner Paul-Klee-Zentrum hängt wohl mit langfristiger internationaler Planung zusammen: Das Unternehmen ist eine Wanderausstellung mit Stationen im Londoner Barbican Center, in der Schirn-Kunsthalle in Frankfurt, im Guggenheim-Museums in Bilbao und eben im Klee-Zentrum, das sich in die internationale Tournee einfügen musste.
Die internationale Retrospektive Lee Krasner ist hochbedeutsam, denn die Künstlerin im Zentrum des abstrakten Expressionismus war in Europa bisher nicht in Einzelausstellungen zu erleben.
Die 1924 in Japan geborenen Teruko Yokoi, die in den 1950er Jahren in New York mit den berühmtesten Vertretern der Action Painting zusammentraf, zog 1962 nach Bern. Sie lebt hier seit Jahrzehnten zurückgezogen und ist kaum im Bewusstsein der kunstinteressierten Öffentlichkeit der Schweiz verankert. Trotzdem ist es mehr als angezeigt, dass das Kunstmuseum Bern der hochgetagten Malerin endlich eine Retrospektive ausrichtet.
Zweimal späte Berühmtheit
Das Zusammentreffen der Ausstellungen in den Häusern der vereinten Institution – im Klee-Zentrums draussen an der Autobahn und im Stammhaus im Stadtzentrum – ist, auch wenn‘s Zufall sein mag, höchst spannend.
Lee Krasner ist wohl 16 Jahre älter als Teruko Yokoi, doch beide Malerinnen waren Schülerinnen des in die USA ausgewanderten deutschen Malers Hans Hofmann, der den amerikanischen expressionistischen Strömungen in den 1950er Jahren entscheidende Impulse gab. Und beide waren mit herausragenden Künstlerpersönlichkeiten dieser Szene verheiratet – Lee Krasner mit Jackson Pollock (1912-1956), der mit seinem Drip-Painting-Verfahren eine Revolution der Malerei heraufbeschwor, Teruko Yokoi mit Sam Francis (1923-1994), einem der „Stars“ der Malerei der grossen Geste. Die Beziehung Krasner-Pollock war allerdings, was die Kunst betrifft, weit folgenreicher als jene Yokoi-Francis. Was wiederum beiden Malerinnen gemeinsam ist: Sie erreichten lange Jahre bei weitem nicht jenes Echo und jene Berühmtheit, die ihrem Schaffen angemessen wäre.
Lee Krasner ohne Jackson Pollock
Lee Krasner begegnete Jackson Pollock im Jahr 1941 und blieb mit ihm bis zu seinem Unfalltod verheiratet. Die Beziehung der bestens geschulten und erfolgreichen Malerin, die als eigenständige Künstlerpersönlichkeit in der New Yorker Kunstwelt eine wichtige Rolle spielte, mit dem aufbegehrenden Exzentriker und Alkoholiker Jackson Pollock war ambivalent und schwierig. Da sich Krasner intensiv um das „geniale Naturkind“ Pollock kümmerte, ihn förderte und in ihren Bekanntenkreis einführte, trat sie, obwohl sie ihr eigenes Schaffen konsequent vorantrieb, lange Zeit auch in der öffentlichen Geltung hinter ihren Partner zurück – ein typisches Künstlerinnen-Schicksal.
Die Berner Ausstellung klammert Pollock praktisch aus. Es gibt im Katalog ein Interview mit Lee Krasner über ihn und Hinweise in den Saaltexten, doch keins seiner Werke. Das ist gut so: Erstens thematisierte 1989/90 im Kunstmuseum Bern eine ausgezeichneten Ausstellung, deren Katalog immer noch greifbar ist, die Partnerschaft Krasner-Pollock. Zweitens gehört Pollock zum eisernen Bestand der wichtigen europäischen Museumssammlungen: Seine Werke sind jederzeit einsehbar. Und drittens besteht in der Berner Ausstellung nie die Gefahr, dass Lee Krasner als Anhängsel des berühmteren Pollock wahrgenommen werden könnte: Lee Krasner tritt durchwegs als potente und ausgeprägt kreative Künstlerin in Erscheinung. Allerdings bleibt es so den Besucherinnen und Besuchern überlassen, nach der Qualität der künstlerischen Beziehung und den gegenseitigen Beeinflussungen zu fragen.
Das Selbstbewusstsein der Künstlerin
In drei Selbstporträts, die um 1930 entstanden sind, zeigt sich die Malerin als energiegeladen in die Welt blickende junge Frau von ausgeprägtem Selbstbewusstsein, mit vollem Haar, sinnlichen Lippen und grossen Augen, die ihr Gegenüber scharf fixieren. Das Schaffen Lee Krasners der nächsten Jahre, das dem damals in den USA vorherrschenden Realismus verpflichtet ist und sich in der Folge mit dem Kubismus Europas auseinandersetzt, wird in der Ausstellung übergangen – bis auf einige Aktzeichnungen, die während des Unterrichts bei Hans Hofmann entstanden sind.
Den eigentlichen Beginn ihres eigenständigen Arbeitens markieren die „Little Images“, kleinformatige Malereien, in denen Lee Krasner die Bildfläche mehrschichtig mit Musterungen und Zeichen übersät (1946 bis 1950): Jeder Anklang an Gegenständlichkeit verschwindet, der Bildraum ist aufgebrochen und wirkt trotz der eher kleinen Formate weit. Die Malereien lassen kleine intensiv farbige Flecken wie Edelsteine im schwarzen Grund flimmern und vibrieren. Ähnlich experimentiert Krasner in den mit Malerei vermischten grossen Collagen mit Aufsplitterungen der Formen und Schichtungen der Farben. Mitte der 1950er Jahre kehren Gegenstandsbezüge zurück in organischen Formen und im Inkarnat: Es sind Bilder von fleischiger Körperlichkeit und direkter Sinnlichkeit – vielleicht mit Anklängen an Picassos „Demoiselles d’Avignon“, doch ohne die Sprödheit des Kubismus. All das zeigt: Lee Krasner setzt nicht auf einmal Errungenes. Sie weicht jedem Markenzeichen aus und erschliesst sich mit ihrer Kunst immer wieder neue Welten.
„Ich bin Künstler…“
Der Bezug eines grösseren Ateliers im Jahr 1957 ermöglicht Krasner ein Ausweiten ihrer Formate. „The Eye is the First Circle“ von 1960 zum Beispiel ist beinahe fünf Meter breit: Die Malerei lebt von ausgreifender Gestik. Ockerfarbene Kreise und Rundungen überziehen die riesige Leinwand in organischem Rhythmus. Dieses Werk, aber ebenso weitere Malereien dieser Zeit zeichnen sich aus durch ihre kraftvolle und energiegeladene Präsenz. Sie haben den direkten Vergleich mit Werken der bekanntesten Vertretern des abstrakten Expressionismus jener Zeit, auch mit jenen Jackson Pollocks, nicht zu scheuen – im Gegenteil, und sie helfen uns, den (späteren) Ausspruch der in feministischem Sinne selbstbewussten Lee Krasners zu verstehen, in dem sie eine Art Universalitätsanspruch anmeldet: „Ich bin Künstler, kein weiblicher Künstler, kein amerikanischer Künstler.“
Die Weite des Hangars von Renzo Piano
Warum ist Lee Krasner im Zentrum Paul Klee zu sehen? Eigentlich gehörte sie ins Umfeld, welches das Kunstmuseum bietet. Mit Klee und seinem Werk, dem das Zentrum schon wegen seines Namens verpflichtet ist, hat ihr Schaffen wenig zu tun. Möglich, dass die Kunstmuseums-Leitung das Monothematische des Zentrums mit Lee Krasner entschiedener, als bisher geschah, aufbrechen will. Die Weite der Ausstellungshalle eignet sich zudem gut für die Präsentation vor allem der Grossformate. Dass Renzo Pianos grosser zentraler Raum wie ein Flugzeug-Hangar wirkt, in dem man sich leicht verloren vorkommen kann, und dass die in den Raum gehängten Scheinwerfer die Besucherinnen und Besucher oftmals blenden – das sind Folgen der Architektur des „Stars“, die mit ihren drei sanft fliessenden Wogen vor allem von der Landschaft her gedacht ist und sich weniger eignet, Werken der Malerei eine Heimat zu geben.
Teruko Yokoi
„Tokyo – New York – Paris – Bern“: Dieser Titel der Ausstellung über Teruko Yokoi, die Marta Dziewańska im Kunstmuseum Bern kuratierte, nennt die Eckpunkte der Biographie der Malerin, die als Hochbegabte in Japan die erste Ausbildung geniesst und 1954 in die USA auswandert, intensive Kontakte zu bedeutenden Exponenten der New Yorker Kunstszene unterhält und von 1959 bis 1962 mit Sam Francis verheiratet ist. 1960 zieht das Paar nach Paris. Sam Francis hat in Europa Erfolge, Arnold Rüdlinger, Direktor der Kunsthalle Basel und wichtiger Pionier in der Vermittlung der amerikanischen Kunst in Europa, stellt ihn aus. Es gibt bald Ankäufe durch das Kunstmuseum Basel. Dass Yokoi Malerin ist, verschweigt Sam Francis gegenüber Rüdlinger, der trotzdem ihre Werke entdeckt und sie in einer Gruppenausstellung zusammen mit Walter Bodmer und Otto Tschumi zeigt. Nach der Trennung von Sam Francis sucht Teruko Yokoi in Japan Fuss zu fassen, zieht aber, da das nicht gelingt, 1962 nach Bern. Hier treibt sie ihre Arbeit konsequent und stetig voran und wird Mitglied der GSMBA (heute Visarte). Ihr Werk findet trotz einiger Galerie-Ausstellungen aber keine grössere Resonanz. Das Biographische Lexikon der Schweizer Kunst des Schweizerischen Instituts für Kunstwissenschaften (1998) widmet ihr ganze drei Zeilen. In der Online-Ausgabe fehlt ein Eintrag.
Üppig-sinnlicher Farbauftrag
Nun bietet das Kunstmuseum Bern anhand von knapp 40 Malereien – mehrheitlich mittlere Formate und stets Öl auf Leinwand – und rund 50 Arbeiten auf Papier erstmals Einblick in Teruko Yokois Schaffen von den 1950ern bis in die frühen 1970er Jahre. Yokoi beginnt mit gegenständlichen Arbeiten, Stillleben vor allem. Doch bald macht sich das Klima New Yorks der Nachkriegsjahre mit dem Auflösen fester Strukturen und mit dem Drang zu expressiver Freiheit bemerkbar. Teruko Yokoi bleibt aber eigenständig, und es sind kaum künstlerische Einflüsse von Seiten Sam Francis‘ festzustellen. Die Malerin bevorzugt einen pastosen, oft geradezu üppig-sinnlichen Farbauftrag. Vorerst herrschen, vor allem, wenn sie die Atmosphäre von Landschaften oder Jahrzeit-Stimmungen einfängt, gebrochene Töne wie Ocker, Olivgrün oder Grau in vielen Varianten vor. Bald werden die Farben aber leuchtend. Yokoi setzt intensive Rot-Formen in weites Dunkelblau, oder sie fügt zerfliessende Farbknäuel als Kontrastelemente neben grosse monochrome Farbflächen. Oft brechen in Farbauftrag und Pinselstrichen intensive Emotionen durch, die Teruko Yokoi allerdings zu kontrollieren weiss. Eine Verfestigung des expressiven Flusses ihrer Farben erreicht sie auch mit dem Einbezug grosser übers Eck gestellter dunkler Quadrate oder Rauten. Die Malerei Teruko Yokois vermeidet das Aggressive und sucht bei aller Expressivität Harmonie und Ausgewogenheit.
„Ich möchte, dass meine Bilder schön sind“
Insgesamt präsentiert das Kunstmuseum Teruko Yokoi als Malerin, die ihre Lebensenergie mit beeindruckender Beständigkeit zu Malerei werden lässt und an ihre Mitmenschen weitergibt. 1983 formulierte sie in einem Brief ihr künstlerisches Anliegen mit folgenden schlichten Worten: „In meinen Gemälden suche ich einen Raum zu gestalten, in dem die Leute spazieren gehen können. Ich möchte, dass sie eine schöne Aussicht und eine ruhige Stimmung geniessen, sich ausruhen, singen und meditieren können. Ich möchte, dass sie Anmut finden und die kleinen bescheidenen Blumen am Wegrand lieben. Ich möchte, dass meine Bilder schön sind.“
Zentrum Paul Klee: Lee Krasner. Bis 10.5. Katalog ca. CHF 50.40
Kunstmuseum Bern: Teruko Yokoi. Bis 10.5. Katalog ca. CHF 45.-