Es ist nicht einfach, den 69-jährigen Henry Goldmann nach seiner Biografie zu befragen, denn er hat so viel erlernt, unternommen und erreicht, dass für eine nähere Beschreibung nur schon der wichtigsten Stationen viel Platz beansprucht würde. An der Universität St. Gallen und an der Freien Universität Berlin studierte er Betriebswirtschaft, doktorierte und absolvierte darnach eine Ausbildung zum Psychologen an der Universität Zürich. Er therapiert, unterrichtet ausgesprochen gern in vielen Sparten, bildet sich jedoch ständig weiter.
Zwei Millionen Tonnen aussortiere Lebensmittel jährlich
So eröffnete er 2003 zum Beispiel ein immer noch bestehendes Beratungsportal für kaufmännische Lehrlinge. Als einer der ersten versuchte er, die vielen Hilfesuchenden auch mittels einer noch aktuellen Onlineplattform zu unterstützen. In unserer Leistungsgesellschaft, so erfuhr er dabei, seien sehr viele menschliche Probleme beruflicher Art.
Seit dem Rentenalter arbeitet er freiwillig für die 2001 gegründete Organisation Schweizer Tafel. Das Unternehmen sammelt mit 37 Kühlfahrzeugen mit je zwei Freiwilligen überschüssige, jedoch einwandfreie Lebensmittel und verteilt diese gratis an Gassenküchen, Asylzentren, Frauenhäuser, Schlafstätten usw. Zu den Spendern gehören etwa 600 Lebensmittelfilialen.
In unserem Land werden zwei Millionen Tonnen brauchbare Lebensmittel jedes Jahr weggeworfen, das sind 117 Kilogramm pro Einwohner. Es handelt sich um Lebensmittel, bei welchen das Verkaufs-, nicht aber das Verbrauchsdatum abgelaufen ist.
Grossverteiler machen mit
Es existieren bereits ähnliche Organisationen wie Schweizer Tafel, Tischlein deck dich etwa, die sich alle dafür einsetzen, überflüssig gewordene Lebensmittel einzusammeln und unter die Ärmsten unter uns zu verteilen. Und es sind wichtige Lebensmittelspender da, Migros, Coop, Aldi, Lidl, Globus, aber auch rein finanzielle Gönner wie Crédit Suisse, Schindler Aufzüge AG, um nur wenige zu nennen.
Henry Goldmann fährt ungefähr dreimal monatlich von einem Zentrum der Schweizer Tafel in Dietikon aus viele Kilometer in einem der Kühlfahrzeuge mit – und er arbeitet schwer. Das heisst, er schleppt um die 20 Kisten à 20 kg, lädt bei den Spendern ein, bei den Empfängern aus, wobei diese aus den gesammelten Lebensmitteln aussuchen können, was sie am dringendsten brauchen.
Kein Geld und doch bereichert
Henry Goldmann möchte sich nicht als wohltätig darstellen. Er verdiene gerne Geld, aber mit dem Einsatz für Schweizer Tafel, der kein Geld einbringe, werde er auf wunderbare Weise bereichert. Obwohl er nicht direkt mit den Menschen zu tun hat, die in den Genuss der gespendeten Lebensmittel kommen, erfahre er viel über zuvor unbekannte Armut bei uns.
Er gehört zu den Glücklichen, die auch im Rentenalter körperlich kräftig und fit sind. Er tut etwas dafür, treibt Ausdauersport, fährt Velo, Ski, besucht einen Fitness-Club. Aber er ist sich sicher, dass sein Interesse und sein Einsatz für das soziale Leben genauso wichtig sind wie seine körperliche Beweglichkeit.
Er und seine Frau wohnen in Kilchberg im Kanton Zürich. Sie haben einen 32-jährigen Sohn, der Gastronom ist. Es erfüllt ihn mit Genugtuung, dass er sich mit seiner sporadischen freiwilligen Arbeit für eine sinnvolle Verwendung eines Grundpfeilers der menschlichen Existenz, der Nahrung , einsetzen kann. Damit wird einerseits eine abstossende Vernichtung gebrauchsfähiger Esswaren verhindert und andererseits die Hilfstätigkeit zahlreicher sozialer Einrichtungen in der Schweiz nützlich und wirksam unterstützt.
*Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Hausen am Albis