Zuerst die Spielregeln: Wir berichten über zwei Schweizer Unternehmen. Beide tragen «Swiss» in ihren Firmennamen. Beide gehören zu mindestens 51% dem Bund oder Kantonen. Und beide erwirtschaften mindestens 80% ihres Umsatzes in der Schweiz. Es geht bei dieser Geschichte nicht darum, dass Leistungen im Ausland billiger zu haben sind. Es geht darum, dass diese Unternehmen mit ihrem Verhalten eigentlich einen Verrat an der Leistungsfähigkeit der Schweiz begehen, unnötig Geld ins Ausland verschieben, das hier genau so gut investiert werden könnte, und darüber hinaus noch Arbeitsplätze sichern würde. Und es geht darum, dass beide Unternehmen nicht einsehen wollen, wie töricht ihr Verhalten ist.
Schweizer können keine sicheren Lose drucken
Beginnen wir mit Swisslos. Die interkantonale Landeslotterie ist eine Genossenschaft, im Besitz der Kantone der Deutschschweiz und dem Kanton Tessin. Die «Happy Day» Lose von Swisslos wurden seit Beginn bei einer Druckerei in Zürich gedruckt. Die Druckerei richtete dafür ein spezielles Stockwerk ein mit erhöhten Sicherheitsvorkehrungen. Im Januar 2015 tauchten Fälschungen der Lose auf. Swisslos entzog der Druckerei den Auftrag und druckt die Lose seither in Deutschland. «Swisslos hätte den bisherigen Auftragnehmer gerne weiter berücksichtigt. Er konnte aber die erhöhten Sicherheitsanforderungen nicht in geeigneter Weise erfüllen, so dass Swisslos gezwungen war, den Auftrag an eine auf Sicherheitsdruck spezialisierte deutsche Druckerei zu vergeben. Dieser Wechsel war und ist für Swisslos mit erheblichem Aufwand verbunden und führt nicht zu Kosteneinsparungen. Er basiert ausschliesslich auf der Notwendigkeit, unsere Produkte mit der höchstmöglichen Sicherheit zu versehen.» So lautet die Antwort von Josef Dittli, Verwaltungsratspräsident Swisslos und Urner FDP-Ständerat, auf unsere Frage nach den Gründen für die Auftragsvergabe ins Ausland.
Wertpapier-Standard
Journal 21 liegt das Mail des Forensischen Instituts Zürich vor. Die Zürcher Druckerei hatte natürlich alles unternommen, um die Sicherheit der Lose zu verbessern. Das Institut hatte für die Druckerei Anfang April 2015 diese neuen Lose sicherheitstechnisch überprüft. «Die neu konzipierten Lose hätten einen Level erreicht, welcher nach Ansicht von uns Urkundenexperten einem ‚Wertpapier‘ entsprechen.» fassten die Urkundenexperten ihre Untersuchungsergebnisse zusammen.
Das nützte aber nichts mehr. Swisslos hatte den Auftrag bereits nach Deutschland vergeben. Und dabei auch sichergestellt, dass möglichst viel Wissen der Druckerei in Zürich über die Grenze an die neu beauftragte Druckerei geht. Mitte Februar wies nämlich eine Mitarbeiterin von Swisslos per Mail die Druckerei an, mit einer Firma in Deutschland zu kooperieren. Diese sei auf Sicherheitsdrucke spezialisiert und habe ein enormes Wissen. Sie werde nun ein Sicherheitskonzept erstellen. «Für das Verständnis vom heutigen Prozess wird sich die Firma mit Euch in Verbindung setzen. Um ein ideales Ergebnis zu erhalten, könnt Ihr absolut offen sein, wir haben keinerlei Geheimnisse.», steht in einem Mail von Swisslos an die Druckerei in Zürich, das Journal21 ebenfalls vorliegt. Was damals nicht gesagt wurde: es ist dieselbe Firma, welche seither die Happy Day Lose von Swisslos druckt.
Verstärkte Sicherheit – ein Schweizer Patent
Das Beste kommt noch: Auf hübschen Flyern wirbt Swisslos dieses Jahr für die Happy Day Lose. Besonders erwähnt wird dabei die «verstärkte Sicherheit» Ein neuer Verschluss mache das Los noch attraktiver. Patentiert hat diesen Verschluss die Druckerei in Zürich. Das Patent ist inzwischen abgelaufen, und die Druckerei in Deutschland nutzt nun die Technik zum Nulltarif. Währenddessen musste in Zürich ein Drittel der Belegschaft entlassen werden, der Stock mit der aufwändigen Sicherheitsabteilung für den Losdruck wurde aufgelöst.
Willkommen im Land der Möglichkeiten
Swisscom ist unser zweites Beispiel: zu 51% im Besitz des Bundes, 80% Umsatzanteil in der Schweiz. der Grossteil der übrigen 20% wird in Italien erwirtschaftet. «Willkommen im Land der Möglichkeiten» lautet einer der neuen Claims von Swisscom. Aber Werbung für Swisscom – made in Switzerland? Unmöglich. Dafür braucht es schon eine Werbeagentur in Berlin. Swisscom dürfte damit das wohl einzige nationale Telekom-Untenehmen Europas sein, das seine Werbung für den heimischen Markt im Ausland entwickeln lässt.
Martin Vögeli, Leiter Group Strategy bei Swisscom, mag die Frage nach den Gründen und der Strategie hinter solchen Entscheiden nicht beantworten, sondern lässt den Leiter Mediendienst, Sepp Huber, die dafür passende Antwortkonserve aus der Schublade ziehen: «Swissness gehört klar zum Kern der Swisscom-Marke und unseren Kommunikationsplattformen. Wir setzen auf einen ausgewogenen Agenturmix und arbeiten mit verschiedenen Schweizer Werbeagenturen zusammen resp. den Schweizer Niederlassungen von international tätigen Agenturen.» Freilich wird bei dieser Antwort hübsch geflunkert. Denn die Swisscom-Werbung wird in Berlin entwickelt. Schon seit über einem Jahr. Die dortige Agentur hat nun seit Mai auch in Zürich eine Filiale. Grund dafür ist jedoch vor allem, dass sie inzwischen auch das Mandat für die neue online-Plattform siroop.ch erhalten hat, einer Kooperation von Swisscom mit Coop.
Arrogant und gleichgültig
Es geht nun nicht darum zu beurteilen, wie kreativ Schweizer oder deutsche Werber sind. Es geht auch nicht darum, über die Kosten zu diskutieren. Es geht um die Zeichen, welche Grossunternehmen wie Swisslos oder Swisscom setzen in einer wirtschaftlich schwierigen Zeit. Es geht um Arroganz, wenn Swisslos behauptet, in der Schweiz sei niemand fähig, ihre Lose zu drucken. Ausgerechnet die Schweiz, die weltweit die sichersten und besten Banknoten druckt. Es geht um die Gleichgültigkeit, mit der Swisscom als nationales und weitestgehend national ausgerichtetes, halbstaatliches Telekomunternehmen eine Werbeagentur im Ausland die Kampagnen entwickeln lässt, mit denen in der Schweiz die nach wie vor stattlichen Swisscom-Gebühren und Dienstleistungen schmackhaft gemacht werden sollen. In beiden Fällen gibt es schlicht keinen einzigen vernünftigen Grund für diese Haltung.
Die Swiss bleibt in der Schweiz
Dass mit ein bisschen gutem Willen die heimische Kreativität durchaus genutzt werden kann, beweist ausgerechnet das dritte Unternehmen mit «Swiss» im Namen: «unsere» Staats-Airline, die ja faktisch ein deutsches Unternehmen ist. Bernhard Christen, Head of Marketing, bestätigt gegenüber Journal 21: «SWISS arbeitet seit vielen Jahren mit Schweizer Werbeagenturen zusammen.» Das gelte auch für die Brand Agentur, Filmproduktionen, Webagenturen. Bernhard Christen: «Ich bin klar der Ansicht, dass sich die Schweizer Kreativ-Agenturen nicht vor der ausländischen Konkurrenz verstecken müssen. Natürlich müssen auch Leistung und Preis stimmen.»
Bernhard Christen war vor Beginn seiner Tätigkeit bei der Swiss Leiter Corporate Brand & Communications Management bei Ricola. Der berühmte Ricola-Spruch «Wer hat’s erfunden?» stammt von der Agentur Jung von Matt – Hamburg. Deren Mitinhaber und geistiger Vater des Slogans ist aber Jean Rémy von Matt. Ein Schweizer.