‚Puja Thakur’ hiess eines der kleinen propagandistischen Glanzstücke bei Obamas kürzlichem Indien-Besuch. Es war die Idee von Premierminister Modi gewesen, einer Frau das Kommando der Ehrengarde zu übergeben. ‚Wing Commander’ Puja Thakur von der indischen Luftwaffe salutierte im Vorhof des ‚Rashtrapati Bhavan’ dem amerikanischen Präsidenten, bevor sie im Stechschritt hinter ihm das Spalier ablief.
Natürlich war es eine PR-Aktion, und natürlich war es eine symbolische Geste, die verbarg, dass die Streitkräfte immer noch eine Männerdomäne sind. Aber Symbole sind wichtig, gerade in einem Land, dessen Jugend im Aufbruch steht und nach neuen Rollenvorbildern Ausschau hält. Und Narendra Modi setzt gerade in Frauenfragen mehr positive Akzente setzt als sein Vorgänger Manmohan Singh, obwohl dieser drei feministische Töchter hat, wogegen Modi (fast) ledig ist. Nur Tage zuvor hatte er eine Kampagne gegen ‚Sex Selection’ (sprich: Abtreibung weiblicher Föten) lanciert. Er fragte seine Landsleute, wie viele Kalpana Sharmas sie eigentlich noch ermorden wollten. Kalpana Sharma ist die erste indischstämmige US-Astronautin.
Galerien – in Frauenhand
Einige Tage nach dem Obama-Besuch begann in Delhi die ‚India Art Fair’, Indiens Möchtegern-Pendant zur ‚Art Basel’. Ich sass an einem Frühstückstisch neben einem amerikanisch-chinesischen Kunsthändler, der in Beijing eine Galerie besitzt. Was fällt Ihnen in der indischen Kunstszene auf, fragte ich ihn, gerade wenn Sie diese mit China vergleichen?
Seine Antwort: Es ist nicht die Kunst, es sind die Kunsthändler. „Mir fällt auf, dass praktisch alle bedeutenden Galerien in Indien von Frauen geführt werden. In China ist es umgekehrt. Dort treten Frauen höchstens als Angestellte ins Bild. Kunst ist weitgehend eine Männerdomäne, selbst bei Künstlern. In Indien gibt es ebenso viele bedeutende Künstlerinnen wie Künstler“. Worauf er dies zurückführe, insistierte ich. Er wisse es nur in bezug auf China, kam die Antwort. Dort sei die Gesellschaft nach dem Trauma der Kulturrevolution wieder in konservative Muster geflüchtet – „und dies heisst in China: patriarchalische“.
15 Jahre jünger als die Herren Referenten
Der fremde Blick öffnete mir endlich die Augen. Denn obwohl meine eigene Schwägerin eine Galerie führt, war mir diese Rollenverteilung nicht aufgefallen. War ich vielleicht auch in anderen Bereichen betriebsblind geworden? Wie war es denn bei diesem kunsthistorischen Seminar gewesen, an dem ich kurz zuvor teilgenommen hatte? Rasch nahm ich nochmals das Programm zur Hand – und da war es: Die Konferenz war von einer Frau organisiert worden, zusammen mit vier Kuratorinnen. Unter den fünfzehn Referent(inn)en – alle wissenschaftlich ausgewiesen – waren elf Frauen. Nicht einmal die Tatsache war mir aufgefallen, dass sie im Durchschnitt fünfzehn Jahre jünger waren als die Herren Referenten!
‚The Arts of the Deccan’ wurde von einer Stiftung finanziert, die – Sie erraten es – von einer Frau gegründet wurde. Das brachte mir den nächsten Bereich ins Visier, den der sozialen und kulturellen Stiftungen. Unter jenen, die ich kannte, so errechnete ich überschlagsmässig, werden drei Viertel von Frauen geführt. Ähnlich ist es bei den eigentlichen NGOs. Zwar sind in dieser altverwurzelten Industrie die alten charismatischen Männer noch leicht in der Überzahl. Aber die grosse Mehrheit von Programm-Verantwortlichen sind Frauen, und nicht wenige von ihnen sind inzwischen in Führungsstellen nachgerückt.
60 % der Bankchefs sind Frauen
Wie verhält es sich – ich wagte mich nun in die Wirtschaft vor – bei den Medien? Ähnlich wie bei den NGOs: Viele Führungs- und ‚Anchor’-Positionen sind noch in den Händen der männlichen Garde. Aber auch diese Front bröckelt, denn der ‚Glamour’-Faktor gebietet, dass Frauen das ‚Gesicht’ eines TV-Kanals dominieren. Und da auch in Indien Klugheit und Schönheit keinen Widerspruch darstellen, ist die Parität bereits absehbar. Bei den Reportern, so sagte mit ein altgedienter Kollege, bilden Frauen die klare Mehrheit. Im Bankensektor haben die Frauen inzwischen die Führung an der Spitze übernommen. Rund sechzig Prozent aller Bankenchefs sind weiblichen Geschlechts, darunter in der grössten Staatsbank und in drei der fünf führenden Privatbanken.
Heisst dies, dass die berüchtigte ‚Glasdecke’ über der Karriereleiter der Frauen eingestürzt ist? Keineswegs. Die Erfolge der Frauen beschränken sich auf jene Sektoren, in denen, sagen wir: ‚feminine’ Stärken besonders gefragt sind – Kommunikationsfähigkeit, Empathie, Teamdenken, Multitasking, anti-hierarchisches Denken. Selbst hier gibt es aber Ausnahmen. In der IT-Industrie etwa sind die meisten Führungsetagen noch dicht mit Männern bevölkert, obwohl ein Drittel der Angestellten Frauen sind und obwohl sie in internen Rangierungen regelmässig besser abschneiden als ihre männlichen Kollegen. Dasselbe gilt für Verwaltungsräte. Es bedurfte eines neuen Firmengesetzes, um mit einer Frauenquote eine Scharte in diese Männer-Festung zu schlagen.
Spielwiesen der Reichen
Und wie steht es genau mit der Frauendominanz in den Kunstgalerien, die diese kleine Recherche ausgelöst hatte? Zufällig sass eine junge Amerikanerin am Frühstückstisch der India Art Fair, die an einem Forschungsprojekt über indische und chinesische Kunstpraktiken arbeitet. Die meisten Galeristinnen stammen aus der gesellschaftlichen Elite, sagte sie trocken. „Sie mussten sich ihre Positionen nicht erkämpfen. Galerien sind Spielwiesen der Reichen, die ihnen von den Ehemännern überlassen werden. Sie sind nicht lohnabhängig, und müssen auch nicht scharf kalkulieren“. Meine alte Kollegin Meera M., heute Kuratorin und Kunst-Journalistin, schlug in die gleiche Kerbe: Viele Jobs in diesem Gewerbe garantieren kein Überleben. Wer neben Kunstjournalismus oder kuratorischer Arbeit nicht noch einen ‚richtigen’ Job hat und auf den Lohn angewiesen ist, steht auf verlorenem Posten. Meera arbeitet bei einem Wirtschaftsberater.
Mit Säure übergossen
Nicht nur ‚Wing Commander’ Puja Thakur stand beim diesjährigen ‚Tag der Republik’ und dem gleichzeitigen Obama-Besuch im Rampenlicht. Es war die achtzehnjährige Resham Fatma, die das indische Paradox weiblicher Autonomie und weiblicher Gefährdung besser, schärfer repräsentierte als ihre schneidige Geschlechtsgenossin.
Und es war die Schülerin Resham, nicht die Militärfrau, die die ‚Nationale Tapferkeitsmedaille’ erhielt. Man wusste sofort, worin sie sich ausgezeichnet hatte – ihr Gesicht, Hals, Arme waren eine einzige grosse Narbe, die Haut dunkelgefärbt, die Wimpern und Augenbrauen fehlten. Genau ein Jahr zuvor, am 1. Februar 2014, war sie von einem Mann – ihrem 38-jährigen Onkel – auf dem Weg zum Nachhilfe-Unterricht in dessen Auto gezwungen worden. Als sie sich seinem Drängen zu entziehen versuchte, überschüttete er sie mit Säure. Obwohl sie praktisch nichts mehr sah, rang sie ihn nieder und floh auf die Strasse. Von dort brachte sie eine Auto-Rikscha zuerst zur nächsten Polizeiwache und dann ins Krankenhaus. Sie selber hatte auf dieser Reihenfolge bestanden.
Statt sich dem sozialen Stigma der körperlichen Verunstaltung zu ergeben und in die Depression und die Passivität ihres Zuhause zurückzuziehen, sagte sie dem Onkel den Kampf an – mit einer Waffe, wie sie nur eine Frau wählen kann. Sie beschloss, mit allen Mitteln schulische Spitzenresultate zu erzielen, sodass sie die Hürde des Staatsexamens nehmen kann. Ihr Ziel: Als Magistratin dereinst ihren Onkel im Gefängnis zu besuchen und ihm zu sagen: ‚Schau wo Du heute bist, und schau, wo ich bin’.