Das hat folgende Ursachen:
1. Israel fühlt sich bedroht
Die politische Situation in der Nachbarschaft Israels verändert sich ständig. Ägypten ist nicht mehr der verlässliche Partner. Die neue Regierung wird vermutlich weniger mit den USA zusammenarbeiten und eine feindseligere Haltung gegenüber Israel einnehmen als die Regierung Mubarak. Bestehende Verträge beziehungsweise Bündnisse stehen in Kritik. Vor allem die okkupatorische Siedlungspolitik des israelischen Staates wird zunehmend hinterfragt. Der Regierung Israels werden die Friedensabsichten nicht mehr abgenommen. Das hat in erster Linie mit den prekären Mehrheitsverhältnissen in der Knesset und mit der Politik des Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahus zu tun. Auch Syrien droht zu kippen, was vor allem von den Irakern, die mehrheitlich von den Schiiten dominiert werden, nicht goutiert würde. In Syrien herrschen die Alawiten, und die Aufständischen sind mehrheitlich Sunniten. Deshalb möchte Irak nicht, dass in Syrien das Asad-Regime fällt und die Sunniten die Macht übernehmen. Wenn das geschähe, würde auch der Libanon destabilisiert, denn der Hisbollah ist von Schiiten beherrscht. Alles könnte in Aufruhr geraten. Vielleicht braucht es nur noch einen Funken, um den ganzen Nahen Osten in Brand zu setzen…
Der Abgesandte der irakischen Regierung, Izzet Shabander, sagte (NZZ, 03.02.12): „Wenn das syrische Regime stürzt, dann fällt die ganze Region auseinander“. Er entwickelt ein beängstigendes Szenario: „Der Hisbollah würde binnen weniger Stunden ganz Libanon unter seine Kontrolle bringen“. Shabander meinte weiter: „Das würde Israel nicht hinnehmen. Ein Militärschlag der Israeli hätte jedoch unweigerlich ein Eingreifen Irans zur Folge“. Das wiederum würde sowohl die israelischen als auch die amerikanischen Interessen tangieren.
2. Netanyahu ist kein Mann des Friedens
Die wutentbrannten Hasstiraden von Benjamin Netanyahu gegen die Friedenspolitik seiner Vorgänger sind nicht vergessen, und er hat sich in letzter Zeit kaum zum „Paulus“ verwandelt. Es sind die gleichen Absichten, die sich hinter seiner Verzögerungstaktik verbergen. Er will weder einen Friedensvertrag mit den Palästinensern, noch will er die Westbank preisgeben. In diesem Sinne richtet sich seine Politik gegen eine Zweistaatenlösung. Seine Friedensbekundungen sind deshalb verlogen und scheinheilig und nur auf Zeitgewinn bedacht. Mit seiner aggressiven Siedlungspolitik will er zudem vollendete Tatsachen schaffen, die schliesslich einen palästinensischen Staat verunmöglichen.
3. Iran wird die Bombe haben
Iran wird vermutlich entgegen aller Beteuerungen mehr oder weniger offen oder versteckt an der Atombombe weiter arbeiten. Das gehört zu seiner Sicherheitspolitik. Die Atombombe könnte ihnen die ersehnte Unangreifbarkeit bringen. Das wollen aber weder Israel noch die USA akzeptieren. Letztere interpretieren die Atomaufrüstung Irans als versteckte Kriegsvorbereitung und damit als akute Bedrohung des israelischen Staates.
4. Die Zeit arbeitet gegen Israel
Die Siedlungspolitik schafft Tatsachen, die nicht mehr ignoriert werden können. Sie zwingt sowohl die Palästinenser als auch die arabischen Staaten zur Verschärfung ihrer Politik. Ihre Reaktionen und Drohungen werden immer aggressiver. Diese Entwicklung in Zusammenhang mit der Radikalisierung der arabischen Revolution führt zu einer zunehmenden Verhärtung der Fronten. Zudem gibt es für eine kriegerische Intervention von Seiten Israels ein sich immer mehr verengendes Zeitfenster. Der Iran wird seine Atombombe haben. Das ist nur eine Frage der Zeit. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass von israelischer Seite immer offener Kriegsvorbereitungen getroffen werden.
In den USA stehen Präsidentschaftswahlen bevor
In den USA stehen in diesem Herbst Präsidentschaftswahlen an. Eben war in der Presse zu lesen, dass sich Präsident Obama darum bemüht, besänftigend beziehungsweise warnend auf die Israelis einzuwirken. Aber, - eigentlich müssten nicht nur der amerikanische Präsident, sondern die ganze Welt beunruhigt sein!
Was wird im Nahen Osten geschehen, wenn im Herbst ein republikanischer Kandidat die Wahlen gewinnen sollte? Die republikanischen Präsidenten haben sich in der Vergangenheit nie als Friedensapostel erwiesen.
Für die Israeli ist das ein echtes Dilemma. Sollten sie ohne Zustimmung der Amerikaner sofort zuschlagen oder eher abwarten, bis möglicherweise ein republikanischer Präsident gewählt wird, der den Interventionsabsichten Israels weniger Widerstand entgegen setzten würde.
Ein Präventivschlag der Israeli würde die Struktur des Nahen Ostens mit einem Schlag verändern. Auch wenn Iran mit einem Gegenschlag reagieren und die USA eingreifen würden, hätte das eine regionale Umstrukturierung zur Folge. Israel würde zwar ein weiteres Mal als der „böse Aggressor“ da stehen. Es könnte aber der bedrohlichen Einschnürung und dem fatalen Entwicklungsprozess der letzten Jahre ein entschlossenes Ende setzen, - so glauben sie wenigstens…
Hat Israel das Augenmass verloren?
Wo liegt das eigentliche Problem? Israel ist in seinem Denken gefangen. Die Israelis können sich nicht in die katastrophalen Bedingungen, unter denen die Palästinenser leben, einfühlen. Letztere werden laufend gedemütigt, und ihr Land wird ohne Skrupel für neue Siedlungsprojekte und umfassende Infrastrukturmassnahmen enteignet. Für die Israelis scheint das Leben eines Palästinensers weniger Wert zu haben als das Ihrige. Ist es wirklich erlaubt, seine direkten Nachbarn so als „Untermenschen“ zu behandeln? Das dürfte doch angesichts der schrecklichen Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges gerade von den Israelis nicht erwartet werden müssen… Hat Israel das Augenmass verloren?
Viele Israelis glauben, dass sie kraft der mehr als 3000-jährigen Geschichte ein genuines Recht auf Jerusalem und die ganze Westbank haben. Nicht von ungefähr versuchen die Regierungen die Besitznahme palästinensischen Landes durch Ausgrabungen antiker Reliquien aus biblischen Zeiten zu rechtfertigen. Auch die Knesset, das Parlament Israels, bezieht sich auf das antike Judäa. Sowohl der Name als auch die Zahl der Abgeordneten wurde von der jüdischen Ratsversammlung unter Esra beziehungsweise Nehemia aus dem 5. Jahrhundert vor Christus übernommen. Es ist absurd!
Um einen Vergleich zu wagen: Es ist, als ob Italien noch heute auf das Land der Eidgenossen Anspruch erheben könnte, weil Helvetien vor mehr als 2000 Jahren zum Römischen Reich gehörte…
Israel gefährdet den Weltfrieden
Dem palästinensischen Volk wird grosses Unrecht zugefügt, ein Unrecht, das bis heute nicht wiedergutgemacht wurde.
Es stellt sich jetzt die Frage, ob es sich Israel mit seinem nicht zuletzt religiös motivierten Ansinnen wirklich leisten kann, seine letzten Freunde zu verlieren? Anstatt zu versuchen, einen Friedensvertrag, der nach wie vor als möglich erscheint, abzuschliessen und mit seinen Nachbarn in Frieden zu leben, betreibt es eine feinselige Okkupation der während des Sechstagekrieges besetzten Gebiete, ein Unterfangen, das anhand des bestehenden Völkerrechts ausdrücklich verboten ist.
Früher genoss Israel für seine entschlossene und erfolgreiche Kriegführung gegen scheinbar übermächtige Gegner weltweite Anerkennung, wenn nicht gar Bewunderung, vor allem von Seiten des Westens. Heute ist das Kapital verspielt. Es ist nicht zuletzt Israel selber, das mit seiner Obstruktionspolitik nicht nur seine eigene Existenz, sondern auch den Weltfrieden gefährdet. Man muss sich fragen, ob es gut ist, dass ein so als kleines Land wie Israel in unserer Welt eine so fatale Rolle spielen darf, oder wäre es nicht eher wünschenswert, dass es in Dankbarkeit dafür, dass es überhaupt gegründet werden konnte, eine bescheidenere beziehungsweise solidarischere Rolle mit seinen Nachbarn spielen sollte?