Die Menschen in der Welt sind ob der Gewalt der nordafrikanischen Diktaturen und des islamistischen Terrorismus stark verunsichert und wegen der brutalen Gewalt, die diese in die Welt hinaus tragen, sehr besorgt. Es besteht aber kein Grund, anzunehmen, dass diese Erscheinungen lange anhalten werden. Sie irrlichten zwar nach wie vor in der Welt herum. Sie werden aber wie eine lästige Modeströmung aus unserem Leben verschwinden, als ob es sie nie gegeben hätte...
Die arabischen Diktaturen und der politische Islamismus haben kurze Beine, nicht nur weil sie rückschrittlich und unmenschlich sind, sondern auch, weil deren Niedergang unbewussten grossgruppendynamischen Gesetzmässigkeiten folgt.
Was sind das für Gesetzmässigkeiten? Es handelt sich um Gesetzmässigkeiten, die mit Prozessen in menschlichen Gemeinschaften und Gruppen zu tun haben. Die Entwicklung jeder Gruppe, seien es Kleingruppen oder Grossgruppen, wie sie zum Beispiel Staaten oder Völker darstellen, gehorcht unbewussten Gesetzmässigkeiten, die vor allem in der Kleingruppendynamik studiert werden können. Die Vorgänge, die sich in Kleingruppen naturgesetzlich ereignen, vollziehen sich in ähnlicher Weise auch in grossen Gruppen. In grossen Gemeinschaften sind die Prozesse aber komplexer und dauern in der Regel erheblich länger. Was in der Studiengruppe während zehn Tagen erlebt und studiert werden kann, vollzieht sich in komplexen Staatswesen oder Völkern im Laufe von Jahrzehnten beziehungsweise Jahrhunderten.
Was bedeuten diese Thesen für das Phänomen des politisch motivierten Islamismus?
Um diese Frage zu beantworten, muss man sich zuerst mit der Kleingruppendynamik beschäftigen. In der Kleingruppe entwickelt sich der gruppendynamische Prozess über mehrere Phasen hinweg bis zu seiner Vollendung. Er kann dort in allen seinen Phasen eingehend studiert und beschrieben werden. Dabei kann man feststellen, dass dieser Prozess Gesetzmässigkeiten folgt, die durch die psychosozialen und soziokulturellen Vorgänge in der Gruppe massgeblich mitbestimmt und beeinflusst werden.
Im Folgenden soll versucht werden, diesen Prozess, wie er sich in kleinen Gruppen darstellt, in wenigen Sätzen zu beschreiben. Die Reduktion des Prozessablaufs auf drei Hauptphasen, die Anfangsphase, die Mittelphase und die Endphase, stellt zwar eine grobe Vereinfachung dar. Man könnte den gruppendynamischen Prozess ebenso in fünf, acht oder zehn Phasen darstellen. Diese Vereinfachung macht aber Sinn. Sie macht es möglich, die grundsätzliche Bedeutung der grossgruppendynamischen Veränderungen besser zu verstehen. In einem zweiten Schritt wird dieses Prozessschema auf grosse Gruppen beziehungsweise Völker oder Staaten übertragen. Dabei wird man überraschend Übereinstimmungen finden. Schliesslich lassen sich in Anlehnung an die Gruppendynamik in kleinen Gruppen im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung in grossen Gruppen bestimmte Hypothesen entwickeln und Voraussagen ableiten.
Der gruppendynamische Prozess ist naturgesetzlich determiniert und lässt sich weder aufhalten noch rückgängig machen
Die erste Phase, die Anfangsphase des gruppendynamischen Prozesses, lässt sich wie folgt charakterisieren: Wenn einige Menschen, die sich vorher nicht gekannt haben, in einer Gruppe, die von einem gruppendynamisch geschulten Experten geleitet wird, zusammenkommen, zeigt sich von Beginn weg eine grosse Verunsicherung. Niemand weiss, was er von den anderen Gruppenteilnehmern zu erwarten hat. Niemand kennt deren Absichten und niemand weiss, wie diese reagieren könnten. Zudem ist niemandem bekannt, ob der Gruppenleiter die Situation jederzeit im Griff haben wird und ob man dessen Fähigkeiten beziehungsweise seiner Glaubwürdigkeit trauen kann. Vielleicht wird man verletzt, fertig gemacht oder aus der Gruppe ausgeschlossen. Das Thema der ersten Sitzungen wird sich deshalb überwiegend um diese Angst und um die Abwehr der Angst drehen. Aus diesen Gründen wird der Leiter der Gruppe, der Experte, um diese Verunsicherung etwas einzudämmen, erste Gruppenregeln bekanntgeben und den Gruppenvertrag erläutern. Dieser Gruppenvertrag konstituiert eine erste „Gruppengrenze“ und unterscheidet erstmals zwischen einem Gruppeninnen- und einem Gruppenaussen.
Damit bringt sich der Leiter ein erstes Mal als „zentrale Figur“ der Gruppe in Position. Indem er sich bewusst als verantwortlicher Leiter präsentiert, richten sich alle Hoff-nungen der verunsicherten Teilnehmer auf ihn. Er ist die einzige Person in der Gruppe, die Kompetenz signalisiert und Sicherheit verspricht. In dieser Phase der allgemeinen Verunsicherung begegnet man regelmässig einem interessanten Phänomen: Der Leiter wird in seiner Persönlichkeit überhöht. In der Gruppe entstehen Phantasien, die ihn zum Meister, Guru oder zu einer gottgleichen Figur stilisieren. Anscheinend entspricht es einem psychosozial induzierten Verhal-tensschema, dass Teilnehmer, je mehr sie verunsichert sind, desto mehr dazu neigen, eine Person zu glorifizieren, die ihnen Sicherheit verspricht. In der stärksten Ausprägung zeigt sich diese Gesetzmässigkeit in der Sehnsucht nach einem „Retter in der Not“, einem sogenannten „Messias“.
Aber gleichzeitig, indem sich die Gruppenmitglieder besser kennen lernen, kommt es zur Bildung von ersten Untergruppen und es verstärkt sich das gruppeninterne Beziehungsgeflecht. Das bedeutet, dass sich die soziale Kompetenz in der Gruppe langsam verbessert und die Erwartungen an den Experten, der sich nicht als gleich-wertiges Gruppenmitglied in die Gruppe einbringt, langsam abnehmen. Das Vertrauen in der Gruppe verdichtet sich zu einer deutlich spürbaren emotionalen Geborgenheit.
Das führt in der Mittelphase des gruppendynamischen Prozesses zunehmend zu Konflikten mit dem „formalen“ Leiter der Gruppe, dem sogenannten Experten. Die Mitglieder beginnen sich mit diesem auseinanderzusetzen und stellen sowohl seine Funktion als Leiter als auch seine persönliche Kompetenz in Frage. Dabei werden nicht selten Phantasien über die Ermordung des Leiters oder über eine Kreuzigung des sogenannten „Messias“ geäussert. Wenn die Gruppe ihre Bedürfnisse selber zu organisieren lernt, wird der „Retter in der Not“ mehr und mehr hinfällig. Das Ergebnis dieser Phase ist ein aufrührerisches Geschehen, das mit der Installation eines „informellen“ Gruppenleiters und mit der Entmachtung beziehungsweise symbolischen Ermordung des alten Leiters einhergeht.
Die Endphase des Gruppenprozesses lässt sich als Zustand charakterisieren, in dem die Gruppe ihre gruppenspezifische und unverwechselbare Identität gefunden hat. Damit ist gleichzeitig das Wachsen der individuellen Wahrnehmungsfähigkeit und der sozialen Kompetenz verbunden. Das bedeutet, dass sich die Gruppenmitglieder in ihren differenzierten Fähig- beziehungsweise Fertigkeiten gegenseitig erkennen beziehungsweise akzeptieren. Damit wird die innere Struktur der Gruppe sichtbar. Jedem Teilnehmer wird unbewusst eine spezielle Rolle zugedacht, die er in der Gruppe ausfüllen und entwickeln kann. Einem bestimmten Gruppenmitglied wird die Leiterrolle, einem anderen die sogenannte Gegenleiterrolle zugesprochen. Zudem bilden sich unterschiedliche Spezialisten-, Aussenseiter- und Sündenbockrollen heraus. Diese Rollenstruktur bleibt aber stets flexibel und auf die jeweilige Aufgabe bezogen. Die Teilnehmer übernehmen je nach Anforderungsprofil abwechslungsweise Leiterrollen oder andere Aufgaben. Jede Gruppe strebt so unbewusst ihrem eigentlichen Ziel entgegen, nämlich eine demokratische Gruppe mit differenzierter Gruppenstruktur und maximaler Arbeitsfähigkeit zu werden.
Das Modell der Kleingruppendynamik lässt sich auf die Dynamik grosser Gruppen übertragen
Dieses Modell aus der Kleingruppendynamik lässt sich auf die Dynamik grosser beziehungsweise grösster Gruppen übertragen:
Am Anfang, wenn ein Staat noch wenig strukturiert ist, zum Beispiel nach einer politischen Umbruchsituation, nach der Erlangung der Unabhängigkeit, nach dem Zerfall eines grösseren Gebildes oder nach einem Krieg, oder wenn der Bildungsstand eines Staates tief, die Rechtsunsicherheit gross, die Arbeitslosigkeit hoch und das politische Gefüge noch wenig strukturiert sind, besteht in der Bevölkerung eine grosse Unsicherheit. Das einzige, was ein gewisses Mindestmass an Sicherheit verspricht, ist die Verfassung eines Staates beziehungsweise das Grundgesetz, das dem Gruppenvertrag in der Kleingruppe entspricht. Aber die Mehrheit der Staatsbürger fühlt sich in der Regel weiter bedroht und bleibt allgemein verängstigt. Die Bevölkerung sehnt sich deswegen, ähnlich wie in der Kleingruppe, nach einem „Retter in der Not“, der ihnen Sicherheit und Wohlstand verspricht. In dieser Phase neigen die Menschen auch in grossen Gesellschaften dazu, die Fähigkeiten ihrer Führer zu überhöhen und einem starken Herrscher zu huldigen. Es entwickeln sich regelhaft machthungrige Persönlichkeiten, die die Macht an sich reissen und sich zu gottgleichen Führungspersönlichkeiten erheben. Zusätzlich versuchen diese Führer nicht selten einen umfassenden Personenkult zu installieren. Es ist gerade diese Überhöhung beziehungsweise Vergöttlichung einzelner Persönlichkeiten, die dem Bedürfnis des Volkes nach Ruhe und Sicherheit, und nach quasireligiösen Kulten entspricht. Religiosität in diesem Sinne kann so auch als kompensatorisch wirkendes gruppendynamisches Phänomen betrachtet werden.
Andererseits führt diese Instabilität zu weiteren Bemühungen, sich der Mechanismen zur Stärkung des staatlichen Zusammenhalts zu bedienen. Bei solcher Verunsicherung besteht politisch gesehen die allgemeine Tendenz, eine Diktatur zu errichten, die Armee zu stärken, die Strukturen zentralistisch zu organisieren, die Sprache und die Religion zu vereinheitlichen, einen Einparteienstaat zu etablieren und exzessive Lebensäusserungen einzuschränken. Im Iran scheint selbst der Unterschied zwischen männlich und weiblich, die erotische Spannung zwischen Mann und Frau, die patriarchalisch geprägte Gesellschaftsordnung zu bedrohen, weswegen vor allem die weiblichen Attribute durch Verhüllung des Körpers beziehungsweise durch das Tragen von Kopftüchern in ihrer Wirkung auf das andere Geschlecht eingeschränkt werden.
In der Weltgeschichte gibt es viele Beispiele, die diese Vorgänge belegen. In China war es Mao, in Vietnam Ho-Chi-Min, in Jugoslawien Tito, im nachrevolutionären Russland Lenin beziehungsweise Stalin, in Kuba Fidel Castro, im faschistischen Italien Mussolini, im vom Bürgerkrieg zerrissenen Spanien General Franco, in der Türkei Kemal Atatürk, im von Weltwirtschaftskrise und der Niederlage in den Weltkriegen geschundenen Deutschland Adolf Hitler und nicht zuletzt im Iran war es Khomeini, die in Umbruchphasen eine unangefochtene Machtrepräsentanz installierten. Und selbst in der von Feinden umzingelten kleinen Schweiz erlebte General Guisan eine überragende Bedeutung mit entsprechender persönlicher Verehrung, die keinem späteren Militär oder Bundesrat je wieder zukommen sollte.
Die meisten der oben genannten Führerpersönlichkeiten waren aber nur bedingt in der Lage, die in sie gesetzten Erwartungen zu erfüllen. Aus diesen Gründen neigten einige dieser Persönlichkeiten dazu, ihre Macht mittels einseitiger Propaganda, mit nacktem Terror, mit brutaler Beseitigung ihrer Rivalen und mit rücksichtsloser Unterdrückung feindseliger Gesinnungen zu festigen. Um ihre Macht zu stabilisieren installierten sie nicht selten zusätzlich ein konsequent eingerichtetes Sicherheitssystem mit einer überall gefürchteten Geheimpolizei, einer lückenlosen Pressezensur und zur Durchsetzung der rigiden Unterdrückungskultur paramilitärische Schlägertruppen. Diese Führerpersönlichkeiten erlangten nicht selten einen gottgleichen Status, in dem wie im historischen Absolutismus die politische Herrschaft mit den religiösen Attributen verschmolz. Dabei ist die Tendenz, den Herrscher zu vergöttlichen, umso grösser, je stärker das Volk durch Hunger und Chaos verunsichert ist.
Im Rahmen des höheren Bildungs- beziehungsweise Ausbildungsanstrengungen wird sich die soziale Kompetenz der Völker langsam erhöhen.
Im Weiteren Verlauf des Prozesses ist die Erhöhung des allgemeinen Bildungsniveaus von entscheidender Bedeutung. Gebildete Menschen sind eher in der Lage, komplexe Zusammenhänge zu verstehen, zwischen rigiden Machtstrukturen und optimaler Bedürfnisbefriedigung zu unterscheiden, sich ein eigenes Urteil über die politische Zusammenhänge zu bilden, neue Vorstellungen zu entwickeln und politische Folgerungen abzuleiten. Zudem erreichen sie einen Lebensstandard, der ihre persönliche Existenz sichert. Sie werden auf lange Sicht weniger bereit sein, die sozialen und politischen Zustände, in denen sie leben, ungeprüft zu akzeptieren. Sie möchten eigene Ideen einbringen und politisch Mitbestimmung ausüben. Deshalb werden sie früher oder später versuchen, die Verhältnisse entsprechend ihrer gesteigerten Ansprüche zu verändern.
Wie in der Kleingruppe bilden sich zu Beginn dieses Prozesses auch in grossen Gruppen einzelne Untergruppen, zum Beispiel der Adelstand oder mafiaähnliche Verbindungen, Familienclans, Geheimlogen, politische Cliquen oder wirtschaftlich orientierte Oligarchien, die einerseits verzerrend in das Wirtschaftssystem eingreifen, andererseits auch eine initiierende, die Entwicklung beschleunigende Funktion ausüben. Die Untergruppen rivalisieren wie die Untergruppen einer Kleingruppe miteinander um ihre Vorteile und letztlich um die Macht. Diese Entwicklung kann sich als schwere Beeinträchtigung einer harmonischen Fortentwicklung erweisen, wenn es den Untergruppen gelingt, die unstrukturierten Freiräume zu monopolisieren und bedeutende staatliche Funktionen zu erobern.
Je mehr aber das Volk ein höheres Bildungsniveau und einen lebenswerten Lebensstandard erreicht, desto mehr werden sich die Staatsbürger gegen die herrschenden Eliten auflehnen und die Gottgleichheit der Idole in Frage stellen. Sie werden adäquate Mitbestimmung und eine konsequente Machtteilung fordern. Dabei werden sich die alten Führerpersönlichkeiten, sofern sie sich als kompetent und flexibel erweisen, im Rahmen einer politischen Auseinandersetzung langsam integrieren, oder sie werden im Rahmen des demokratischen Aufbegehrens von ihrem „Hohen Sockel“ gestossen. Anstelle der alten Führergarnitur wird eine neue Regierungsmannschaft, die unter Hintanstellung der eigenen Bedürfnisse die Bedürfnisse der Bevölkerung besser wahrnehmen und durchsetzen kann, eingesetzt.
Es genügt aber nicht, dass dem eigenen Volk die neuen Rechte einfach übergestülpt werden.
Das zeigte sich eindrücklich am Beispiel des Irans:
Es ist nicht möglich, die Errichtung eines modernen Staates zu stark zu forcieren, wenn die geistige Entwicklung der Bevölkerung nicht mithalten kann. Der Schah von Persien, Mohammad Resa Pahlewi, der selber einen gottähnlichen Status genoss, wollte Ende der 70er Jahre die feudale Monarchie in sehr kurzer Zeit zu einem modernen Industriestaat westlicher Prägung umwandeln. Er reformierte das Bildungswesen, verordnete die Gleichberechtigung der Frau und förderte mit seinem unermesslichen Öleinkommen die Bildung einer reichen Mittel- und Oberschicht. Aber die überstürzte Adaption westlicher Werte tangierte nur die Oberfläche der mittelalterlichen Strukturen und vermochte weite Kreise der Bevölkerung in ihrem Innern nicht zu erreichen. Trotzdem wurde in Teheran ein Geschäft nach dem andern eröffnet, und es entstanden riesige Verteilzentren, die das feinmaschige, über Jahrhunderte gewachsene Geflecht des alten Bazars zu zerstören drohte.
Das bedeutete das Todesurteil für das Schah-Regime. Die wütenden und in die Enge getriebenen Bazaris schlossen sich unter Führung der nach einem Umsturz lechzenden Mullahs mit dem Proletariat aus dem Süden zusammen und errichteten eine "Islamische Republik", einen autoritären "Gottesstaat" mit "gottgewollter" Ordnung. Das Gefühl, wieder zur "umma", der großen Gemeinschaft der Gläubigen zu gehören, vermittelte ein Selbstbewusstsein, mit dem das unterschwellig vorhandene Minderwertigkeitsgefühl gegenüber der technischen Überlegenheit des Westens kompensiert wurde (KÖNIGS, 1996). Der Bazar wurde wieder zum wirtschaftlichen Herz der mittelalterlichen Gesellschaftsstrukturen. Doch wie ist es möglich, dass sich die Bürger dieser Staaten nicht gegen diese Bevormundung wehren?
Der allgemeine Bildungsstand eines Volkes und der langsame Aufbau differenzierter politischer Strukturen sind entscheidend
Das Volk muss lernen, seine Rechte selber zu erkämpfen. Aus diesen Gründen sind der allgemeine Bildungsstand eines Volkes und der langsame Aufbau differenzierter politischer Strukturen von entscheidender Bedeutung. Nicht alle Herrscher sind aber bereit, ihre Macht kampflos abzugeben. Sie werden versuchen, den Verlust ihrer Privilegien zu bekämpfen. Dabei kommen oft Gesetze und Normen zur Anwendung, die rigide, sexualfeindlich und rückschrittlich sind. Doch der Widerstand der herrschenden Cliquen wird wegen der zunehmenden Stärke des allgemeinen Widerstandes früher oder später gebrochen werden, entweder mittels abrupter, gewalttätiger Auseinandersetzungen oder im Rahmen langsamer gesellschaftlicher Veränderungen. Kein Bürger eines Staates wird sich auf Dauer die Arroganz der Macht weniger Usurpatoren beziehungsweise Diktatoren gefallen lassen.
Schließlich läuft das revolutionäre Fass über. Es kommt im Staat, ähnlich wie in der Kleingruppe mit den Leitern, zu heftigen Auseinandersetzungen mit den Herrschenden, zu einer politischen Revolution, in deren Verlauf die absolutistischen bzw. zentralistischen Führungsorgane trotz langen Widerstands ihre Macht preisgeben und mit dem Volk teilen müssen. Die Republik wird geboren. Das Ergebnis dieser Veränderungen werden Strukturen sein, die ähnlich wie in der Kleingruppendynamik flexibler auf Veränderungen reagieren und vermehrt demokratische Freiheiten gewähren. Die Folge ist eine demokratische Verfassung, die die Bürgerrechte garantiert, die Volkswahl einführt, ein Mehrparteiensystem vorsieht, den Zentralismus durch föderalistische bzw. regionale Strukturen ersetzt, den Staat von der Kirche trennt und die Privilegien des Adels abschafft.
Die vormittelalterlich geprägte Scharia fundamental-islamischer Staaten ist mit dem Rechtsempfinden eines demokratischen Staates unvereinbar. Denn es sind nicht die Macht und der Reichtum, die den wirtschaftlichen Erfolg der westlichen Staaten ausmachen, sondern deren Gestaltungspotential, das aus den gewachsenen Struk-turen heraus gewachsen ist.
Diese Prozesse sind wie oben angedeutet naturgesetzlich determiniert. Niemand kann das Rad der Zeit auf Dauer aufhalten oder zurückdrehen. "Politik" in diesem Sinne ist ein anderes Wort für "Gruppendynamik in großen und größten Gruppen".
Diese Vorgänge lassen sich anhand vieler historischer Beispielen belegen. Sei es die Französische Revolution, seien es die letzten Weltkriege oder sei es der Zerfall der Sowjetunion, immer sind es welthistorisch bedeutsame Abläufe, bei denen veraltete absolutistische, monarchistische oder diktatorische Herrschaftssysteme neuen und demokratischeren Regierungssystemen, wie sie die hochentwickelten westlichen Gesellschaften verwirklichten, weichen müssen. Das gleiche Schicksal wird, sofern nicht unvorhergesehene Katastrophen die natur-gesetzlich determinierte Dynamik aufhalten, auch den Iran, andere arabische Staaten und schliesslich auch China ereilen. Erste Anzeichen zeigen sich schon heute. Keiner dieser Staaten wird auf Dauer dem zunehmenden Druck durch die eigene Bevölkerung standhalten können, besonders auch deswegen, weil ein moderner und demokratisch funktionierender Islam erst noch erfunden werden muss. Das iranische Volk wird entsprechend dieser Annahmen den rigiden Islamismus von sich abstreifen und ebenso wie China seiner eigenen Bevölkerung demokratische Mitbestimmung zugestehen müssen. Dabei ist es nicht der Islam als Religion, sondern der islamisch geprägte Staat als politische Struktur mitsamt dem vormittelalterlichen Rechtssystem, die dem Untergang geweiht sind, und die Kopftücher, erst recht die Ganzkörperverhüllung, werden wie bei uns früher oder später aus der Mode fallen. Es ist schliesslich nur eine Frage der Zeit und der örtlichen Begebenheiten, ob diese Veränderungen geordnet oder im Rahmen schweren nationaler oder internationaler Krisen vor sich gehen werden...