Dann waren beide in der vergangenen Woche fast gleichzeitig Gast der chinesischen Regierung. Beide trafen Verteidigungsminister Liang Guanglie, und beide sprachen schliesslich, natürlich unabhängig voneinander, von „freundlichen“ (Mullen) bis „harmonischen“ (Maurer) Gesprächen.
Zunächst zur Harmonie. Verteidigungsminister Maurer war nach den Gesprächen mit glänzenden Augen guter Dinge. Er war sichtlich beeindruckt von seinem Besuch im Speziellen (u.a. Erdbeben-Kontrollzentrum) und von der Offenheit Chinas im Besondern.
Hohes Ansehen der Schweiz in China
Die militärische Zusammenarbeit wird nicht nur fortgesetzt, sondern – man höre und staune – sogar vertieft. Noch besser: ein „regelmässiger Austausch auf höchster Ebene“ sei geplant. Bevölkerungsschutz, Logistik und Militärinformatik stehe dabei im Mittelpunkt. Oder wie sich Bundesrat Maurer ausdrückte: „Das ist besonders wichtig im Überhang vom Kupferdraht zur Glasfaser“. Das nächste Reisli ist gewiss.
Kupferdraht hin, Glasfaser her, die kleine, neutrale Schweiz geniesst in China bis in die obersten Ränge der Kommunistischen Partei hinein hohes Ansehen. Und die „Freunde Chinas“ werden in Peking – wie eben jetzt Ueli Maurer – bevorzugt behandelt.
Starke Schwankungen im sino-amerikanischen Verhältnis
Weniger harmonisch aber immerhin noch „freundlich“ gestalteten sich Besuch und Gespräche von US-Admiral Mike Mullen. Hier geht es natürlich am Anfang des 21. Jahrhunderts ums Eingemachte und nicht um Bevölkerungsschutz oder Kupferdraht. Wird China die USA als die führende Seemacht im Asiatisch-Pazifischen Raum einmal ablösen?
Solche und ähnliche Fragen stehen sicherheitspolitisch im Raum. Zudem: das sino-amerikanische Verhältnis ist starken Schwankungen unterworfen. Seit dem Besuch von Staats- und Parteichef Hu Jintao anfangs Jahr wendete sich alles wieder einmal zum Besseren. Allerdings können amerikanische Waffenverkäufe an Taiwan oder der Empfang des Dalai Lamas durch US-Präsident Obama wie eben am Wochenende alles wieder in Frage stellen.
Admiral Mullens Gesprächspartner – Verteidigungsminister Liang Guanglie, Generalstabschef Chen Bingde und Xi Jingping, Stellvertretender Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und vermutlich ab nächstem Jahr Parteivorsitzender – gaben mit dem unterdessen ganz selbstverständlichen chinesischen Selbstbewusstsein den Tarif durch, wenn auch sehr freundlich.
China arbeitet an einer Anti-Flugzeugträger-Rakete
Beim Besuch des Zweiten Artillerie-Corps der Volksbefreiungsarmee erfuhren die Amerikaner überraschend, dass an einer Anti-Schiff-Rakete, einer sogenannten Flugzeugträger-Keule, gearbeitet werde. Eine Waffe notabene, über die weder die USA noch Russland verfügen. Obwohl noch weit entfernt von der Einsatzbereitschaft, war die Anti-Flugzeugträger-Rakete keine gute Nachricht für die Amerikaner.
Selbstbewusst stellten die chinesischen Militärs auch ihre Flugzeugträger-Pläne vor. Der erste wird bald einmal von Stapel laufen. Eine gute Navy brauche Flugzeugträger, hiess es in Medien-Kommentaren, zum „Schutz des Mutterlandes“, aber – wie ja die US-Flotte beim japanischen Tsunami eindrücklich gezeigt habe – auch zum Bevölkerungsschutz.
Kommt dazu, argumentieren die chinesischen Militärs, dass China als einziges Mitglieder des UNO-Weltsicherheitsrates über keinen Flugzeugträger verfüge. Selbst Indien oder Thailand haben solches Gerät in ihrem Arsenal. Als strategische Ausrüstung seien Flugzeugträger im 21. Jahrhundert für eine so wichtige Macht wie China unverzichtbar.
20jähriger Vorsprung der Amerikaner
Admiral Mullen musste sich auch Klagen anhören über die gemeinsamen Manöver der US-Navy mit den Philippinen und Vietnam im südchinesischen Meer. Jene Meeresregion wird aus „historischen Gründen“ von China beansprucht. Auf chinesischen Karten ist deshalb diese Meeresregion fast bis hinunter nach Indonesien als chinesisches Hoheitsgebiet verzeichnet. Aber auch Vietnam, die Philippinen oder Brunei pochen auf historische Rechte. Hintergrund des Disputs sind Öl- und Gas-Vorkommen, die dort in gigantischen Volumen vermutet werden.
Die USA stufen in aller Regel die Stärke der chinesischen Streitkräfte als zu hoch ein. Unabhängige Militärforscher in Europa gehen auch davon aus, das die Vereinigten Staaten technisch und innovativ rund zwanzig Jahre im Vorsprung sind.
Und dennoch: die „China-Bedrohung“ feiert international Urstände. Die Chinesen, geschichtsbewusst wie sie sind, kontern mit dem grossen Seefahrer Zheng He aus der Ming-Zeit (15. Jahrhundert). Damals, Jahrzehnte vor Christophorus Kolumbus und Vasco da Gama, war China mit Abstand die führende Seemacht der Welt.
"Freundschaftliche und kommerzielle Reisen"
Zheng He unternahm im Auftrag der Ming-Kaiser von 1405-1433 mit gigantischen Flotten sieben Expeditionen, die ihn zusammen mit 28'000 Mann nach Thailand, Indonesien, Malaya, Ceylon, Indien, Arabien bis ins südliche Afrika führten. „Zheng He’s wahrlich freundschaftliche und kommerzielle Reisen“, so kommentiert die regierungsamtliche Zeitung „China Daily“ im Zusammenhang mit der jetzigen Flugzeugträger- und Bedrohungs-Diskussion, „stehen im scharfen Gegensatz zu den europäischen Abenteurern bei der Kolonisation fremder Länder mehr als ein halbes Jahrhundert später“.
Bundesrat Ueli Maurer hat zwar die beste Armee der Welt, aber Gott sei Dank keine Marine. Dennoch wird er Admiral Mullen um etwas beneidet haben, um das US-Verteidigungsbudget nämlich. In der Schweiz, der ultimativen Basis-Demokratie, kann eben nicht mir nichts dir nichts der Schulden-Plafond angehoben werden.
Kleiner Trost: vielleicht reicht es vorerst zwar nicht mehr für neue Kampfflugzeuge, aber für Kupferdraht, ja sogar Glasfaser reicht es allemal. Und, wer weiss, vielleicht für chinesische Kampfflugzeuge mit einem Neutralitäts-Rabatt.