Die ART kann auch Spass machen. Wenn man sich nicht auf innovativste Art für den Kauf der prestigeträchtigsten Kunstwerke in Position bringen muss, die ‚richtigen Leute’ zu treffen hat, sich auf allen angesagten Empfängen passend präsentieren und dabei kunstgefärbten Smalltalk betreiben muss. Und bis zu den Zähnen gestylt im grossem Gedränge Getränke und Häppchen wie kleine Kunstwerke zu sich zu nehmen hat, ohne sich und andere zu beflecken. Dann kann man Spass haben.
Empfehlenswert ist es, als ART-Tourist unterwegs zu sein. Zur ART-Zeit werden Basel und seine Umgebung zu einem riesigen Spielplatz, auf dem sich Kunstbegeisterte passioniert und lustvoll dem Entdeckungstrieb hingeben können. Vieles ist für alle gratis oder für wenig Geld zu sehen und zu erfahren.
Korrektur eines Höhlengemäldes
Zum Beispiel bei der ART Film. Der Zürcher Kinounternehmer This Brunner hatte dieses Jahr das Werk ‚The Cave of Forgotten Dreams’ des Altmeisters Werner Herzog mitgebracht, den ‚absolut besten Film zur Kunst, den ich finden konnte’. Mit 3D Brille versehen, dringt man in diese Höhlen ein und entdeckt die 40'000 Jahre alten Höhlenzeichnungen, die wie Tierdarstellungen von Picasso anmuten. Sogar einen Stier, dessen Kopf im Schoss einer Frau vergraben ist, gibt es. Das Minotauros Motiv, gab es also schon damals und wurde später auch von Picasso aufgenommen.
Besonders interessant sind aber Tiere mit acht statt vier Beinen, mit einem Halbkreis von Geweihen um die Köpfe, mit verschiedenen, übereinanderliegenden Schulterlinien. Alles dies deutet Bewegung an. Bewegung wie sie vom Surrealisten Marcel Duchamp 40'000 Jahre später in ‚la femme qui descend l’escalier’ gezeigt wurde. Dreht sich die Kunstgeschichte im Kreise ? Gewisse Linien, so erfahren wir zudem, wurden - den Kalkablagerungen nach zu urteilen – nicht vom ursprünglichen Zeichner angebracht, sondern erst 5000 Jahre nach ihm. Man stelle sich vor, dass jemand im Jahre 6490 die Gioconda von Leonardo da Vinci ‚verbessert’.
Zur Verarbeitung dieses Erlebnisses besuche man die ART Conversations oder den ART Salon, Informationsforen, die auch Nicht Art Besuchern frei zugänglich sind. Hier diskutieren hochkarätige Kunstwissende zum Beispiel über ‚Den Künstler als Stadtgestalter’. Das ist ein Beitrag darüber, wie Tirana durch Farbe lebenswerter geworden ist. Andere diskutieren über die Zukunft der physisch begehbaren Gallerie im digitalen Zeitalter und darüber, wie Kunstgeschichte "gemacht" wird. Vieles sind Präsentationen für spätere Messen und Biennalen, sowie Buch- und Zeitschriftenpublikationen.
Kuratoren wie Popstars
Die ART bietet ein faszinierendes Sammelsurium von Kunstinformationen, zumeist präsentiert von jugendlichen Herren in Designeranzügen und offenem Hemdkragen, gutaussehend, weil strahlend gesund und perfekt gepflegt. Das Berufsbild des Kurators, so erfahren wir von diesen Kuratoren, hat in Deutschland als Wunschdisziplin die des Popstars abgelöst. Das nicht unerhebliche Selbstbewusstsein und der Wunsch nach Anerkennung scheint doch beiden eigen.
Mit grossem Publikumserfolg wurde dieses Jahr der ART Parcours neu kuratiert. Er entstand aus dem Bedürfnis der Messeleitung heraus, den Baslern die Messe näher zu bringen, sowie den auswärtigen Messebesuchern die historische Bedeutung und verborgenen Schönheiten der Stadt zu zeigen. Kurator Jens Hoffman suchte Orte aus, die als solche interessant sind, zusätzlich aber mit einem speziell für sie konzipierten Werk eines an der Messe vertretenen Künstlers versehen wurden. Dies fand alles im St. Albantal statt, einem der ältesten Quartiere von Basel. Es hat während des Konzils (1431 -39) schon die grösste Papierproduktion der Welt beherbergt. Aus ihr gingen später die Färbereien hervor und damit die Vorläufer der heute noch führenden chemischen Fabriken.
Menschen wie wir
Jetzt wurde die St.Albankirche aus dem Jahre 1270 von Kris Martin mit Millionen von scheinbaren Konfetti, doch winzigen Bronceteilchen, ausgelegt, die nicht nur Kinder zu Konfettischlachten verführten. Die Skulpturen von Ugo Rondinone vor der Kirche belebten diesen sonst sehr düsteren Raum und liessen ihn leichter erscheinen. Der Gartenpavillion in der Christoph Merianstiftung und das Brunnwerk, neu mit Bar, wurden auch von Einheimischen neu entdeckt. Auf dem am Rheinufer liegenden Lastkahn wurde gerne getanzt. Die Fotowand von Ai Weiwei an der alten Stadtmauer weckte grosse Begeisterung. Ein Basler: ‚Es erinnert an die Berliner Mauer, doch vertieft man sich in die Fotos dieses Chinesen, so bemerkt man, dass die abgebildeteten Menschen so sind wie wir. Nur ein kleines Bisschen anders.’
Zurück zu den Messen: Wenn man nicht mit dem durch Schnäppchenhunger verengten Tunnelblick durch die Ausstellungshallen hastet, hat man auch Augen und Zeit für spezielle Entdeckungen an den Messen. Ein scheinbares Trägerelement der Zeltkontruktion der ‚Scope’ wird dann als Wohnraum von zwei aneinandergeseilten soziale Strukturen durch die Beschaffenheit des Wohnraumes entstehen. Dem Betrachter wird bereits wegen des beengten und unstabilen Wohnraums unwohl, und genau dies wird auch bezweckt.
Die ‚performance-architecture artists’ verweisen auf Churchill, der wusste, dass er die ‚Houses of Parliament’ in genau der gleichen Enge wieder erbauen musste, um vor Abstimmungen durch die Enge die Schwergewichtigkeit des Entscheidungsprozesses den Abgeordneten auch erfahrbar zu machen. Man kommt nicht umhin, sich im Weiteren Gedanken zu machen inwiefern sich auch die eigene Wohnsituation auf Gedanken und Beziehungen auswirkt.
Fotos eines Bildhauers
Auch in den Galerien ist viel zu erfahren. Wenn nicht zuviel los ist, sind viele Galeristen bereit, auch Passanten ihre Schätze zu zeigen. Und machen so den Messebesuch zur Akademie.
Bei einer New Yorker Galerie wurde ein Foto des Brancusiateliers gesichtet, von Brancusi selbst gemacht. Seine Fotos kamen 1983 auf den Kunstmarkt und litten lange unter der Unsicherheit, ob ein Foto eines Bildhauers, wenn auch weltberühmt, auch einen künstlerischen Wert hat. Heute kostet ein Foto 45'000 Dollar. Der Galerist zeigte stolz noch weitere Fotos und gab seine Einschätzung des künstlerischen Wertes. Weitere Fotos sind nun in der Fondation Beyeler in der Ausstellung Brancusi/Serra zu sehen, wo auch zu erfahren ist, dass Serra erst durch den Eindruck des Brancusiateliers in Paris vom Maler zum Bildhauer wurde.