Der kulturelle Ruf ist massgebend vom langjährigen kommunistischen und dann sozialdemokratischen Stadtpräsidenten Walther Bringolf geschaffen worden. Das Museum zu Allerheiligen mit seinen internationalen Ausstellungen, das Bachfest und zuletzt die ephemeren Hallen für Neue Kunst zeugten davon.
Aber kürzlich hat ein Französischlehrer an der Kantonsschule den früheren Rektor, einen Wirtschaftsprofessor, auf die pädophile Vergangenheit des Bildhauers Karl Geiser (1889 - 1957) hingewiesen, übrigens ein persönlicher und politischer Freund von Bringolf. Es ist wahr: einem Griechisch- oder Zeichnungslehrer wäre so etwas nie in den Sinn gekommen. Und dies, weil im Lichthof des Neubaus der Kantonsschule des Architekten Förderer seit fast 50 (in Worten: fünfzig) Jahren ein nackter Jünglingstorso von Geiser, David darstellend, steht. Das Einweihungsgeschenk des grössten, aber keineswegs frivolen Industrieunternehmens in der Stadt wurde von Förderer selbst dort hingestellt und ist seither von Tausenden von Schülern und Hunderten von Lehrern ohne Spätfolgen angeschaut worden.
Heimlich ins Archiv gestellt
Der Rektor liess die Statue während der Sommerferien heimlich und ohne Rücksprache ins Archiv schaffen, wo sie heute noch steht. Der Skandal flog sofort auf und füllt seither die Spalten der Regionalzeitung. Der kantonale Erziehungsdirektor und der neue Rektor waren eher perplex. Es wurde jetzt - selbstverständlich - eine Arbeitsgruppe eingesetzt mit dem uneingestandenen (weisen) Ziel, den Torso wieder zurückzustellen.
Denn wenn nicht, müsste man das Museum zu Allerheiligen für Jugendliche absperren, weil dort, wie an mehreren Orten in der Deutschschweiz noch Nacktes von Geiser - auch Mädchen - steht. Man müsste die Skulpturenabteilung im Louvre schliessen und auch die Sixtinische Kapelle, wo der homophile Michelangelo sein Unwesen getrieben hat, ausgerechnet in einer Kirche.
Und Geiser in all dem?
Hat jemand Geisers Biographie gelesen, sein Werk studiert? Er war auch Zeichner, Grafiker und Fotograf und hat stets neue und konkretere Formen von Realismus gesucht. In mehreren Aufenthalten in Paris in den Zwanziger Jahre ist er seinen bisexuellen Neigungen gefolgt und hat dies Sascha, der Frau seines Mäzens Ernst Morgenthaler, selbst Künstler, mitgeteilt und ihr gleizeitig seine grosse Liebe bekannt. Sie blieb unerwidert. Er war ein Freund von Alberto Giacometti, den er in Paris kennengelernt hatte.
Der Winterthurer Kunstmäzen Reinhart unterstützte ihn. Alexander J. Seiler hat 2010 einen Dokumentarfilm über Geiser gemacht: "Geysir und Goliath". Geysir war sein Übername wegen seinem explosiven Charakter, Goliath spielt auf seine Obsession für die David-Figur an. Geiser, einer der bedeutendsten modernen Bildhauer der Schweiz, soll einmal gesagt haben:"Dä Cheib töt mi no." Ende März 1957 nahm er eine Überdosis an Schlaftabletten in seinem Atelier in Zürich. Der Leichnam wurde erst zwei Wochen später entdeckt.
All dies ist etwas zu kompliziert für die seldwylische Minderheit in Schaffhausen. Nicht aber für die Kantonsschüler und das Publikum. Eine Mehrheit findet nämlich, dass man in diesem Falle das Werk von der Person des Künstlers trennen müsse. Eine einprägsame Nachhilfsstunde für die Instiganten der Kabale.