Ihre Diplomaten werfen dem Westen vor, die „humanitären Interventionen“ auszunutzen, um unliebsame Regime zu stürzen. Brasilien, Indien und Südafrika sehen einen neuen Imperialismus und eine Kanonenbootpolitik heraufziehen. Russland hat ein Rechtsgutachten beantragt, das feststellen soll, ob die laufenden Militäreinsätze das Mandat des Sicherheitsrats befolgen.
Französische Helikopter bombardierten diese Woche in der Elfenbeinküste den Bunker des abgewählten Präsidenten Laurent Gbagbo, um ihn zur Kapitulation zu zwingen. Ist das noch ein „notwendiges Mittel zum Schutz der Zivilbevölkerung“, wie das Mandat der Resolution 1975 des Weltsicherheitsrats vom 30. März lautet? Die Franzosen rechtfertigen ihre Aktion mit der Rettung des japanischen Botschafters, dessen Residenz neben dem Bunker Gbagbos liegt, und einem ausdrücklichen Gesuch von UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon.
Das Gegenteil von Schutz
Gleichzeitig erklärte aber Aussenminister Alain Juppé in einem Interview des Staatsfernsehsenders „France 2“, dass die Fremdenlegionäre der „Opération Licorne“ (Einhorn) Gbagbo zur schriftlichen Abdankung bewegen sollten, die er „jede Minute“ erwarte.
In Libyen verhinderten die vom Sicherheitsrat der UNO angeordneten Luftangriffe eine Niederlage der Aufständischen. Deren Führer fordern jetzt die Nato auf, ihre Schläge gegen die Stellungen der Regierungstruppen zu verstärken. Die Soldaten Gaddafis haben sich mehrheitlich in die von ihnen kontrollierten Städte zurückgezogen. Die UNO und die Nato müssen daher überlegen, ob sie schwere „Kollateralschäden“ – sprich Opfer unter der Zivilbevölkerung – in Kauf nehmen sollen. Das wäre genau das Gegenteil von dem, was die Resolution 1973 vom 17. März anordnet: nämlich den Schutz der Zivilisten und der von Kämpfen bedrohten Wohngebiete.
US-General Carter Ham bezeichnete die militärische Lage in Libyen amDonnerstag vor einem Senatsausschuss als ein „Patt“. Washington müsse daher die Entsendung von Bodentruppen im Rahmen einer internationalenStreitmacht in Betracht ziehen, obwohl dies „keine ideale Option“ sei.
Kritik ja, gewaltsame Intervention nein
Bei der UNO ist der Streit zwischen den Befürwortern und den Gegnern „humanitärer Interventionen“ wieder aufgeflammt. 2005 hatte dieGeneralversammlung nach jahrzehntelangen Beratungen einen Doktrinnamen „Verantwortung zum Schutz“ beschlossen. Alle Menschen weltweit sollten vor Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit wirksam geschützt werden.
Die UNO-Charta sieht militärisches Eingreifen nur bei einer Bedrohung des Weltfriedens oder der internationalen Sicherheit vor. Ansonsten gilt die Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten souveräner Staaten. Einen Fortschritt brachte die Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) von 1975. Selbst die Sowjetunion stimmte damals einer Formel zu, wonach die Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten eine Voraussetzung für den Frieden darstellen. Im Klartext bedeutet dies, dass Missstände in anderen Ländern kritisiert werden dürfen. Von einem Recht oder gar einer Pflicht, „humanitäre Interventionen“ durchzuführen, war keine Rede.
Umstrittener "Natinaler Übergangsrat
Dieses Konzept entstand erst unter dem Eindruck der im Krieg in Ex-Jugoslawien begangenen Gräueltaten – vor allem des Massenmords von Srebrenica - und des Genozids in Ruanda, bei denen die Staatengemeinschaft tatenlos zuschaute.
"Niemals wieder!", lautete das Motto. Doch vorbeugende Militäreinsätze stellten sich meistens als kompliziert, selten als uneigennützig und nie als neutral heraus. In der Elfenbeinküste müssten beide Seiten für Massaker zur Rechenschaft gezogen werden. Zur Wahrheitsfindung in Libyen wird sich am Sonntag ein Ermittlerteam des UNO-Menschenrechtsrats vor Ort begeben. Eines seiner Mitglieder ist der „Vater des Weltstrafgerichtshofs“, der Kanadier Philippe Kirsch.
Dass an Gaddafis Händen viel Blut klebt, ist ausreichend bewiesen. Dass der überdrehte Wüstensohn sein Land seit 42 Jahren despotisch regiert, kann ebenfalls nicht bestritten werden. Dennoch weiss niemand, wie viel Rückhalt das Regime in der Bevölkerung hat und ob der selbst ernannte „Nationale Übergangsrat“ in Benghasi freie Wahlen gewinnen würde. Zwar haben die Luftangriffe der Nato ein Blutbad in Benghasi und anderen Städten verhindert. Doch die bisherigen politischen Ergebnisse sind die Teilung des Landes und die Zerstörung der Lebensgrundlage zahlreicher Libyer und Fremdarbeiter.