Der seit langem schwelende Konflikt im Sudan zwischen dem De-facto-Präsidenten Abdalfattah al-Burhan und seinem nominellen Stellvertreter Muhammad Hamdan Daglo alias Hemêdti eskaliert zu einer militärischen Auseinandersetzung.
Daglo, Warlord aus Darfur und Anführer der paramilitärischen Rapid Support Forces, die 2013 noch von Ex-Präsident Umar al-Baschir aufgestellt wurden, sowie Anführer einer Söldnertruppe, bestreitet die Legitimität der Machtposition des ehemaligen Militärchefs al-Burhan, dessen Hausmacht im Nordsudan liegt. Der Kriegsverbrecher Daglo inszeniert sich als Verteidiger der Zivilgesellschaft, al-Burhan sieht sich als legitimer Inhaber der Staatsmacht. In dem Konflikt treffen sowohl zwei völlig unterschiedliche Armeekulturen mit ihrem Korpsgeist als auch zwei sehr unterschiedliche Staatsverständnisse und sie tragende gesellschaftliche Traditionen aufeinander. Das Eskalationspotenzial des Machtkampfes ist enorm: Einerseits zeichnet sich ein militärischer Kampf um das politische Zentrum Khartum ab, andererseits droht vor allem in der westlichen Region Darfur eine Neuauflage des schrecklichen Konflikts von 2003–2007, in dem Daglo seine Macht etablieren konnte.
Der Weg in die Staatskrise
Ausgangspunkt des Konflikts war die Bewältigung des Erbes der jahrzehntelangen Herrschaft des sudanesischen Diktators Umar al-Baschir. Sein Sturz im April 2019 durch Militärs, die ihrerseits durch den Diktator an die Macht gekommen waren, wurde politisch vor allem von der Zivilgesellschaft getragen, die die städtischen Gesellschaften des Landes repräsentiert und im Vergleich zu anderen arabischen Ländern über einen hohen Grad an informeller Organisation verfügt. Im Machtkampf zwischen zivilgesellschaftlichen Institutionen und den Erben der Diktatur setzte sich je nach politischer Konjunktur mal die Zivilgesellschaft, mal das Militär durch. Im Jahr 2021 putschte das Militär erneut gegen Kompromisslösungen mit der Zivilgesellschaft und der Zivilregierung, doch die anhaltenden Strassenproteste zwangen das Militär Ende 2022, den endgültigen Übergang zu einer Zivilregierung in einem Dokument zu bestätigen. Teil dieses Dokuments, das im Dezember 2022 verabschiedet wurde, war die Klausel, dass die von Umar al-Baschir geschaffenen paramilitärischen Verbände, also vor allem die Schnelle Eingreiftruppe von Daglo, der regulären Armee unterstellt und in diese integriert werden sollten. Ziel der zivilgesellschaftlichen Politik war es, das Militär einer parlamentarischen Kontrolle zu unterwerfen.
Es gibt aber auch zivile Akteure in der Gesellschaft, die sich für eine führende politische Machtposition der Armee aussprechen. Dazu gehört vor allem das Oberhaupt des mächtigen Qadiriyya-Sufi-Ordens, al-Tayyib al-Jidd. Für seine Forderung, das Militär solle die oberste Autorität im Sudan behalten, erntete er nicht nur den Beifall des ehemaligen Generalinspekteurs der Armee, al-Burhan, sondern auch des inhaftierten Ex-Diktators al-Baschir. Al-Tayyib al-Jidd hatte im Juli 2022 die Initiative für einen «Aufruf des sudanesischen Volkes» ergriffen, um ein auf islamischen Institutionen basierendes Gegengewicht zur stark säkular ausgerichteten Zivilgesellschaft zu schaffen. Das Bemerkenswerte an dieser Initiative war, dass sie eine Koalition aus im Kern radikal antisufischen Salafisten und prominenten Sufi-Orden im Land schuf und gleichzeitig stammesbezogene Solidaritätsverbände als Gegengewicht zur Zivilgesellschaft politisch zusammenführte.
Im Dezember 2022 schien sich die zivilgesellschaftliche Opposition, gebündelt in den «Kräften der Freiheit und des Wandels», durchsetzen zu können. Im Palast der Republik unterzeichneten die wichtigsten Parteien, die Zivilgesellschaft, Gewerkschaften, Verbände, Milizen und die beiden Militärchefs al-Burhan und Daglo ein politisches Rahmenabkommen, um die Staatskrise im Land zu beenden und die Bildung einer Übergangsregierung vorzubereiten.
Darin wurde festgelegt, dass die Armee eine der Regierung unterstellte Berufsarmee sein soll und die Schnellen Eingreiftruppen der Armee und damit dem Kommando des Staatspräsidenten unterstellt werden.
Die Kontrahenten
Da das Dokument dem bestehenden Militär und damit auch der militärischen Führung einen weitgehenden Vorrang, ja ein politisches Primat einräumte und damit die schlagkräftigen Einheiten des paramilitärischen Verbandes der Schnellen Unterstützungskräfte der Kontrolle des Militärs unterwarf, sah sich dessen Kommandeur herausgefordert. Der Korpsgeist seines paramilitärischen Verbandes verlangte von ihm, als Truppenführer die Privilegien des Verbandes und seiner Mitglieder nachhaltig zu verteidigen.
Der De-facto-Staatschef Abdalfattah al-Burhan (62), ehemaliger Generalinspekteur der Streitkräfte, ist eng mit dem sehr nationalkonservativen Milieu im Nordsudan und dem Netzwerk des Khatmiyya-Sufi-Ordens verbunden. Die politische Partei dieses Netzwerkes ist die Democratic Unionist Party unter der Führung von Muhammad Uthman al-Mirghani, die somit als Taktgeberin al-Burhans angesehen werden kann. Al-Burhan war 1991 in die Armee eingetreten, lange Zeit in Darfur stationiert und in den dortigen Grenztruppen aktiv. Zwei Monate vor seinem Putsch gegen al-Baschir hatte dieser ihn zum Generalleutnant ernannt.
Daglo (48) wuchs in Darfur auf und stammt aus einer Viehhändlerfamilie im Tschad. Schon in jungen Jahren schloss er sich Milizen an, die bald als Janjaweed, als «berittene Dämonen», bekannt wurden und im Darfur-Krieg 2003–2007 für ihre Massenverbrechen an der Zivilbevölkerung berüchtigt waren. Daglo nutzte seine lokale Macht, um ein Wirtschaftsimperium aufzubauen, das ihn bald zu einem der reichsten Männer des Landes machte. Dabei half ihm vor allem die Kontrolle über die Goldminen in Darfur. Er stieg zu einem der wichtigsten Befehlshaber der Janjaweed auf. Nach dem Ende der Konfrontation in Darfur und der Unabhängigkeitserklärung des Südsudan 2011 wandelte er seine Truppen in eine Söldnertruppe um, die 2013 von al-Baschir angeheuert wurde. Ab 2015 agierten seine Söldner massgeblich im Jemen an der Seite der saudisch-arabischen Koalition und in Libyen an der Seite der Truppen von Khalifa Haftar. Mit angeblich 100’000 Mann unter Waffen stellen Daglos Söldnertruppen einen wichtigen transnationalen Machtfaktor dar. Schon 2016 wurde die enge Zusammenarbeit mit dem älteren Jewgeni Wiktorowitsch Prigoschin und seiner «Gruppe Wagner» bemerkt; sie erstreckte sich nicht nur auf Libyen, sondern auch auf den Sudan selbst, wo 2021 rund 500 Wagner-Söldner stationiert waren.
Der Oligarch, Söldnerführer und Warlord Daglo und russische Agenturen, vor allem aus dem Umfeld Prigoschins, kontrollieren verschiedene Joint Ventures zur Ausbeutung der Gold- und Diamantenvorkommen, die nach dem Wegfall des südsudanesischen Erdöls neben Söldnern zum wertvollsten Exportgut des Sudan geworden sind und deren Export nach Russland entscheidend dazu beiträgt, dass die russische Zentralbank ihre Goldbestände massiv aufstocken kann, die zur weiteren Finanzierung des Einmarsches in die Ukraine und des Krieges benötigt werden. Die von Prigoschin und Daglo kontrollierte Sudan Meroe Gold and M-Invest wurde Anfang März von der EU mit Sanktionen belegt.
Profiteure der engen Zusammenarbeit zwischen dem Sudan und Russland sind Prigoschin und Daglo. Der russische Aussenminister Lawrow selbst hatte bei seinem jüngsten Besuch im Sudan auf die «positive Rolle» der Gruppe Wagner hingewiesen. Zudem ist der Sudan ein wichtiger Absatzmarkt für russische Waffen, die wiederum mit sudanesischem Gold bezahlt werden. Russland und China gehören zu den wichtigsten Waffenlieferanten des Sudan, trotz der jüngsten Resolution des UN-Sicherheitsrates zur Verlängerung des Waffenembargos, bei der sich Russland und China allerdings der Stimme enthielten.
Mehrebenenkonflikt
Es wäre eine Fehleinschätzung, die Auseinandersetzungen im Sudan als möglichen Beginn eines «Bürgerkrieges» zu bezeichnen. Al-Burhan und Daglo verkörpern nicht gleichrangige, in einem Konflikt stehende Fraktionen einer Gesamtgesellschaft, sondern spiegeln zwei grundsätzlich differente Vorstellungen über das, was der Staat zu sein habe, und einen Milieu- und Generationenkonflikt, der noch von al-Baschir geschürt wurde: Eine nationalkonservative Rechte, die sich vor allem auf die alten Eliten stützt, eine militärische Elite der jüngeren Generation, die von einer Wiederbelebung arabisch-sozialistischer Ideale unter der Herrschaft eines starken Mannes träumt, und dazwischen die säkulare Zivilgesellschaft, die einen Rechts- und Verfassungsstaat anstrebt, und ihr islamisch-konservatives Pendant.
Vieles erinnert an die Konfliktkonstellation in Libyen, und nicht zufällig sucht Daglo den Schulterschluss mit Haftar, und nicht zufällig sind Haftar, Prigoschin und Daglo Geschäftspartner in Sachen Söldner, Gold und Öl. Der Krieg im Sudan lässt sich nicht auf einen Konflikt reduzieren, und diese Tatsache macht es so schwer, den Konflikt einzudämmen. Als Mehrebenenkonflikt bedingen sich die Konfliktfelder und befeuern sich gegenseitig.
Der Krieg, der als Kampf um militärische Einrichtungen begann, eskaliert zunehmend als Krieg um die Hauptstadt und die wirtschaftlichen Machtzentren. Es ist nicht absehbar, ob einer der beiden Kontrahenten die Oberhand gewinnen kann und wer sich in diesem Konflikt durchsetzen wird. Würde der Sudan den Prozess durchlaufen, den Libyen seit 2012 durchläuft, würde das Ganze auf eine geographische Teilung der Macht im Land hinauslaufen. Der Norden würde zum Machtbereich von al-Burhan, der Süden stünde dann unter der Kontrolle von Daglo. Aber das sind Spekulationen. Wichtiger ist, dass der Kriegsverlauf die wachsende Macht privater Kriegsakteure wie der Wagner-Gruppe und der schnellen Unterstützungsfront von Daglo bestätigt. Daglos Vision ist die Unterwerfung des Staates unter seine Oligarchie. Im Gegensatz zu Prigoschin wagt er nun den offenen Krieg gegen die etablierte Armee des Landes mit ungewissem Ausgang. Prigoschin hatte angesichts der enormen Verluste seiner Söldnertruppe in der Ukraine offenbar einen ähnlichen Schritt erwogen, sich aber zuletzt von entsprechenden Plänen distanziert. Al-Burhans politische Vision ist noch nicht transparent. Sicher ist: Für ihn kann der Staat nur funktionieren, wenn er durch eine Persönlichkeit mit diktatorischer Vollmacht repräsentiert wird. Viele seiner Äusserungen erinnern an programmatische Aussagen des tunesischen Präsidenten Kais Saied, der sein Land einer bedingungslosen nationalkonservativen Diktatur unterworfen hat.
Darüber hinaus bestätigt sich, dass heutige Konflikte kaum noch als lokal oder regional begrenzte Auseinandersetzungen funktionieren. Der russische Krieg gegen die Ukraine und die Umstände dieses Krieges werfen lange Schatten, und diese Schatten reichen bis in den Sudan.