Der IS kommt zurzeit von zwei Seiten her unter Druck. In Syrien ist es die Regierungsarmee mit russischer Unterstützung, die nach Palmyra vordringt und behauptet, Teile der Oasenstadt sowie die hoch über der nun zerstörten antiken Stadt gelegene mittelalterliche Burg bereits besetzt zu haben. Der IS soll seinerseits die verbleibenden zivilen Bewohner der Ortschaft Palmyra aufgefordert haben, die Flucht zu ergreifen, bevor die Kämpfe von Haus zu Haus beginnen. Ein russischer Offizier, der den Asad-Truppen half, soll vor Palmyra gefallen sein.
Raqqa, die syrische Hauptstadt des IS, wurde intensiv bombardiert von Russen und Amerikanern. Der Zweck der verstärkten Luftaktivität scheint zu sein, den IS daran zu hindern, massiven Nachschub durch die Wüste nach Palmyra zu senden.
Die amerikanischen Behörden melden, sie hätten bei den Bombardierungen in und um Raqqa den «Finanzminister» des IS, Haji Iman, und andere Führungsfiguren des «Kalifats» getötet. Sie seien im Begriff, so der amerikanische Verteidigungsminister, das «Kabinett des IS» systematisch zu eliminieren.
Beginn der Offensive auf Mosul
Im Irak hat die irakische Armee nach lang dauernden Vorbereitungen die Offensive gegen Mosul ergriffen. Sie wird dabei unterstützt durch Kurden, amerikanische Spezialtruppen (den Berichten nach über 200 Mann), Stammestruppen und natürlich zahlreichen Luftangriffen der Alliierten. Die Taktik scheint zu sein, dass zuerst Mosul umzingelt werden soll, indem alle aussen liegenden Ortschaften freigekämpft und besetzt werden. Dann erst kann der Sturm auf Mosul beginnen.
Die Kurden haben im Norden der Stadt bedeutende Zonen bereits in Besitz genommen. Ihre Frontlinie soll in gewissen Teilen 16 Kilometer vor Mosul verlaufen. Im Südosten versuchen nun die irakischen Truppen die Verbindung zwischen Mosul und Baiji zu unterbrechen, indem sie gegen den Knotenpunkt Hawija vorgehen. Falls dies gelingt, würden die sunnitischen Stämme westlich des Tigris – so steht zu erwarten – ihre Kämpfer auf der Seite der Regierung einsetzen.
Die schiitischen Milizen, die in den Kämpfen weiter südlich, um Tikrit und später um Ramadi eine Rolle gespielt hatten, werden nach Möglichkeit von der Mosul-Offensive ferngehalten. Die sunnitische Bevölkerung steht ihnen – nicht ohne Grund – skeptisch gegenüber. Sunniten werfen diesen Milizen vor, den ganzen Irak unter ihre Kontrolle bringen zu wollen und das ganze Land von Sunniten «säubern» zu wollen. Dies stellt die Regierung vor die Alternative, sich im Norden des Iraks entweder auf die Sunniten zu stützen, oder – wenn sie die schiitischen Milizen als Kämpfer in den Norden bringen – die Bevölkerung auf die Seite des IS zu stossen.
Kein Ende der Kämpfe im Süden
Die Kämpfe weiter im Süden, in der Provinz Anbar, sind noch nicht beendet. Ramadi ist zwar «befreit» worden, doch in den Ruinen der Stadt sind nach wie vor Minen versteckt. Die zivile Bevölkerung kann deshalb noch nicht in ihre völlig zerstörte Stadt zurückkehren. Offenbar gibt es auch immer noch einzelne Gruppen von IS-Kämpfern, die Überfälle und Selbstmordanschläge auf versprengte Truppenteile der Regierungsarmee unternehmen.
Die vom IS besetzte Stadt Falluja wird nach wie vor von der Regierungsarmee belagert und beschossen. Im Stadtinneren halten sich weiterhin IS-Kämpfer. Die letzten der zivilen Bewohner suchen aus Falluja zu fliehen, was die IS-Leute ihnen verboten haben.
Wer trotzdem herauskam, berichtet von höchst gefährlicher Flucht, die oft wochenlang dauert, weil man in Verstecken Feuerpausen abwarten muss. Das Schwierigste sei, so sagen sie, den Wadi Tharthar Kanal zu überqueren. Dieser hat keine Brücke und seine Ufer stehen unter Beschuss durch die Regierungssoldaten und IS. Es gibt eine Fähre, die an einem Seil hin und her gezogen werden kann. Sie fasst höchstens zehn Personen. Wenn grössere Familiengruppen zusammen fliehen, sitzen die älteren und schwächeren Familienmitglieder im Boot. Die Jüngeren und Kräftigeren schwimmen hinterher. Alle wollen gemeinsam überqueren, um nicht durch einen plötzlichen Feuerüberfall voneinander getrennt zu werden.
Mehr und mehr Obdachlose
Solche Flüchtlinge werden in Lagern untergebracht. Nach Bagdad darf nur einreisen, wer Verwandte hat, die für ihn bürgen. Die Behörden von Bagdad befürchten, IS-Attentäter könnten, als Flüchtlinge verkleidet, eingeschleust werden. Die Selbstmord-Bombenanschläge in Bagdad haben seit dem Fall von Ramadi erneut zugenommen.
Gesamthaft soll es zur Zeit nach Uno-Schätzungen 3,3 Millionen intern Vertriebene geben, das heisst Familien, die aus ihren Häusern vertrieben wurden und in Notunterkünften leben müssen. Die Kampfweise des IS bewirkt, dass es zur völligen Zerstörung von Städten und Ortschaften kommt, bevor die IS-Kämpfer aus ihnen weichen. Wenn sie das tun, hinterlassen sie Minenfallen, dicht gesät und raffiniert versteckt, die den Wiederaufbau von Ortschaften erschweren und auch die Zufahrtswege unsicher machen. Ob die erhoffte Rückeroberung der Zweimillionenstadt Mosul vergleichbare Zerstörungen hervorbringen wird, bleibt abzuwarten.
Amerikaner und Russen drängen auf ein Ende
Der Waffenstillstand der syrischen Regierung und der Rebellenkräfte, die nicht zu Nusra-Front oder dem IS gehören, bleibt bestehen. Die Friedensgespräche in Genf sind, wie geplant, nach einer ersten Phase beendet worden, doch sollen sie im kommenden Monat fortgeführt werden. Aussenminister Kerry ist in Moskau gewesen und hat vier Stunden lang mit Putin gesprochen sowie dann mit seinem russischen Kollegen Sergei Lawrow.
Nach Kerry wurde eine Übereinkunft erreicht, nach welcher die beiden Supermächte versuchen wollen, auf die Asad-Regierung und die Rebellen Druck auszuüben, um beide zu veranlassen, bis zum August zu einem Programm für eine gemeinsame Regierung zu gelangen sowie einen Verfassungsentwurf für Syrien zu formulieren. Ob über die Zukunft Asads gesprochen wurde, wollte Kerry nicht sagen.
Man kann aus diesen Auskünften schliessen, dass die beiden Supermächte sich einig darüber sind, dass sie Asad und die Rebellen zu einer Art von Kompromiss bewegen wollen, während gleichzeitig der Kampf gegen den IS von den Russen, den Amerikanern, den syrischen Truppen sowie (mindestens defensiv, falls sie angegriffen werden) auch von den Rebellen fortgeführt werden soll.
Dies läuft auf die Formel hinaus: zuerst der IS, dann – eventuell – Asad. Das «eventuell» stellt dabei den diplomatischen Einsatz dar. Die Russen werden sich mit ihrer Diplomatie dafür verwenden, dass Asad am Ende bleibt. Die Amerikaner hingegen wollen Asad lieber früher als später loswerden. Er soll einem Regime weichen, von dem die gegenwärtigen Rebellengruppen keine Rache zu fürchten haben und in dem sie möglicherweise sogar ein Mitspracherecht erlangen könnten.