„Wir bemühen uns weiter um den Fall, können aber leider nichts Neues berichten." Dies erklärt Christian Dreyer von der deutschen Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ am Mittwoch, 4. September, gegenüber Journal21.
Der italienische Journalist Domenico Quirico war am Sonntag nach fünfmonatiger Gefangenschaft freigelassen worden. Quirico arbeitete für die renommierte Turiner Tageszeitung "La Stampa". Quirico erklärte am Montagfrüh, 9. September, bei seiner Ankunft in Rom, die Gefangenschaft sei "hart" gewesen und er sei "nicht gut" behandelt worden.
Der erfahrene Kriegsreporter Armin Wertz arbeitet seit über zwei Jahren regelmässig für Journal21. Der deutsche Staatsangehörige war am 5. Mai in der Nähe der nordsyrischen Metropole Aleppo aufgegriffen worden.
Kurz nach seiner Festnahme konnte Armin Wertz laut Angaben der Frankfurter Rundschau (FR) einem Freund und früheren FR-Kollegen eine SMS übermitteln. Darin gab er bekannt, er sei von syrischen Sicherheitskräften festgenommen worden. Er befinde sich in Polizeihaft und werde „korrekt“ behandelt. Unklar ist, wo und unter welchen Bedingungen er jetzt, drei Monate später, festgehalten wird.
Mit zu hohem Blutdruck im Spital?
Zurzeit werden nach Informationen von „Reporter ohne Grenzen“ 13 ausländische und mehr als 60 syrische Medienschaffende „von unterschiedlichen Konfliktparteien festgehalten oder gelten als vermisst“.
Unter den vermissten westlichen Journalisten befinden sich nach der Freilassung von Domenico Quirico neben Wertz zwei Franzosen, ein Pole und zwei Amerikaner.
Im August hatte die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, Wertz befinde sich zusammen mit 400 Gefangenen nach wie vor im Zentralgefängnis von Aleppo. Das Gefängnis sei von der radikalen islamistischen al-Nusra-Front zwei Mal angegriffen worden. Zwei Mal seien die Rebellen in blutigen Kämpfen zurückgeschlagen worden. Armin Wertz sei während dieser Zeit erkrankt und mit zu hohem Blutdruck ins Universitätsspital überführt worden. Er sei dort gut behandelt und später zurück ins Gefängnis gebracht worden.
Vorsicht
Überprüfen lässt sich der Bericht der „Süddeutschen“ nicht. Die Zeitung gibt keinerlei Hinweis darauf, woher sie ihre Informationen hat. Gerade in Kriegszeiten sind oft falsche Informanten unterwegs. Auch „Reporter ohne Grenzen“ mahnt zur Vorsicht. Das Aussenministerium in Berlin, das den Fall behandelt, gibt keinerlei Informationen. Dies ist in solchen Fällen üblich.
Die Schweizer und die deutsche Sektion von „Reporter ohne Grenzen“ haben seine sofortige Freilassung von Armin Wertz gefordert. Ein Schreiben von Journal21 an das syrische Generalkonsulat in Genf blieb unbeantwortet.
Das gefährlichste Land für Journalisten
Syrien ist zurzeit weltweit das gefährlichste Land für Journalisten. Laut „Reporter ohne Grenzen“ wurden seit Beginn des Bürgerkrieges im März 2011 rund hundert Journalisten bei ihrer Arbeit in Syrien getötet.
Wertz wollte für Journal21, die Berliner Wochenzeitung „Freitag“, die deutsche Kulturzeitung „Lettre international“ sowie für je eine Zeitung in Singapur und Indonesien über die Ereignisse in Syrien berichten. Journal21 hatte am 1. Mai zum letzten Mal Kontakt mit ihm. Er berichtete damals, er sei dabei, die türkisch-syrische Grenze zu überschreiten.
Wertz war ausgestattet mit einem Empfehlungsschreiben von Journal21 und der Kulturzeitschrift „Lettre international“. Er reiste nach Syrien, um sich „selbst ein Bild über die Lage zu machen“. Wertz wollte vor allem über die Situation der Flüchtlinge berichten.
Massive Misshandlungen
Mehrere der verschwundenen Medienvertreter sind nicht von syrischen Sicherheitskräften, sondern von den verschiedenen Rebellen-Gruppen entführt worden. Die Aufständischen, unter ihnen radikale Islamisten, verschleppen nicht nur Journalisten, sondern auch ausländische Staatsangehörige. Diese werden laut jüngsten Berichten zum Teil massiv misshandelt. Offenbar verlangen die Aufständischen auch immer wieder ein horrendes Lösegeld für die Freilassung.
Die Organisation „Reporter ohne Grenzen“ betont, dass sie mit grösster Sorge beobachte, dass „bewaffnete Rebellen und vor allem militante Islamisten immer öfter Journalisten festnehmen oder entführen. Für die größte Zahl solcher Übergriffe war in den vergangenen Monaten die Al-Qaida nahestehende Gruppe Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) verantwortlich. Eine wichtige Rolle spielt weiterhin die ebenfalls Al-Qaida-nahe Al-Nusra-Front. ‚Reporter ohne Grenzen' zählt diese Gruppe ebenso wie den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit.“
Hoher Blutzoll
Der Krieg in Syrien hat auch unter Medienvertretern einen hohen Blutzoll gefordert. Aus einer Auswertung von „Reporter ohne Grenzen“ geht hervor, dass mindestens 25 professionelle und 70 sogenannte citizen journalists getötet wurden. Das sind oft Zulieferer und Informanten grösserer Medien, zum Teil sogenannte „Stringers“.
Unter den Toten befinden sich viele Syrer. Einer der jüngsten Todesfälle ist der von Shahir Muaddamani, der Leiter einer lokalen Pressestelle in Daraja bei Damaskus. Er wurde am 16. August von einer Granate tödlich getroffen.
Mindestens drei Korrespondenten des oppositionellen Fernsehsenders „Orient TV“ wurden von Scharfschützen oder bei Bombardierungen getroffen.
Erfahrener, besonnener Journalist
Armin Wertz ist ein weitgereister, besonnener und erfahrener Journalist. In den letzten Jahren lebte er vorwiegend in Indonesien und Singapur. Wertz studierte an der Freien Universität Berlin Volkswirtschaft und berichtete über dreissig Jahre lang als Auslandskorrespondent für den „Spiegel“ aus Mittelamerika, für die „Frankfurter Rundschau“ und den „Tages-Anzeiger“ aus Israel und für den „Freitag“ und die „Berliner Zeitung“ aus Südostasien.
Daneben publiziert er in der „TAZ“, „Zeit“, „ARD“, im „Tagesspiegel“, „Standard“ (Wien), „mare“, „Lettre International“, „El Mundo“ (Medellin), „TEMPO“ (Jakarta, englische Ausgabe) u.a. Er veröffentliche vier Bücher: „Tränen im Heiligen Land“, „Die verdammte Presse“, „Sie sind viele, sie sind eins. Eine Einführung in die Geschichte Indonesiens“, „Der Sieg der freien Welt. Militärische und geheimdienstliche Operationen der USA im Ausland“.
(hh)