Schweden präsentiert der Aussenwelt, gratis und franko, absurdes Theater. Anders kann man nicht kennzeichnen, was in dem sonst so seriösen Land derzeit abrollt: Da gibt die Polizei (nicht ein Gericht) einem verschrobenen Einzelgänger die Erlaubnis, einen Koran öffentlich zu verbrennen, wohl wissend, dass das böse Happening Auswirkungen auf das wichtigste Thema des Landes, den angestrebten Nato-Beitritt, haben wird.
Nach der abstrusen Aktion kommt eine untergeordnete juristische Instanz zur Einsicht, man hätte das Ganze verhindern müssen, weil die Koran-Schändung Ausdruck von Wut gegen eine religiöse Gemeinschaft sei. Dann aber kündigte der aus Irak stammende Koran-Hasser an, er werde demnächst eine weitere Aktion ähnlicher Art, vor der Botschaft Iraks in Stockholm, durchführen – und wieder lassen sich die Zuständigen ins Bockshorn jagen: Muss das erlaubt werden, weil in Schweden die Freiheit der Meinung oberstes Gebot ist? Man wird es in etwa einer Woche sehen.
Obsessives Thema in Skandinavien
In den nordischen Ländern grassiert eine Obsession mit dem Koran. Dänische Gerichte entschieden 2017, das Verbrennen eines Korans sei legal. In Norwegen ist eine Splittergruppe um Lars Thorsen förmlich fixiert darauf, von Zeit zu Zeit ein Exemplar der heiligen Schrift der Muslime in Flammen aufgehen zu lassen. Und in Schweden organisiert – das mutet wohl eher eigenartig an – nicht ein Schwede, sondern jeweils ein Däne namens Rasmus Paludan öffentliche Koran-Zerstörungen. Im April lieferte er sich, zusammen mit vielen Gleichgesinnten, in mehreren schwedischen Städten Strassenschlachten mit der Polizei rund um ein bösartiges Koran-Happening.
Ähnliches gab es schon ein Jahr früher, was für den türkischen Präsidenten Erdoğan Anlass war, Schwedens Nato-Beitrittsgesuch zu blockieren (es gab und gibt für Erdoğan noch weitere Gründe, aber die Haltung der Regierung in Stockholm zum Islam ist mit entscheidend). Paludan wollte übrigens auch einmal in Grossbritannien, in Wakefield, eine Aktion dieser Art durchführen – die britischen Behörden verboten sie. Und niemandem im Vereinigten Königreich wäre es eingefallen, deswegen an ihrer Demokratie und der Garantie der Freiheit der Meinung zu zweifeln.
In den USA drohte im Jahr 2010 ein evangelikaler Prediger eine Koran-Verbrennung an, aber weil die Vorankündigung des makabren Happenings nicht nur in den USA selbst, sondern international Proteste auslöste, fand es schliesslich nicht statt.
Grundrecht auf Meinungsäusserung kontra Hassverbrechen
Anders, wie erwähnt, nun schon mehrmals in Schweden. Die Regierung und die Justiz des Landes stecken in der Klemme: Schweden war weltweit das erste Land, das 1766 die Pressefreiheit garantierte. Sie wurde 1991 in der Verfassung als «Grundrecht auf Meinungsäusserung» festgeschrieben – aber sie wurde in dem Sinne eingeschränkt, als festgehalten wurde, dass Beleidigung eines Glaubens nicht gleichzusetzen sei mit Meinungsfreiheit, sondern ein Hassverbrechen sei.
Die beiden Erlasse führen unweigerlich in eine schwierige Grauzone. Juristen und Politiker diskutieren nach dem internationalen Eklat über die jüngste Koran-Schändung, ob man die skurrile Aktion nicht hätte verbieten müssen, weil sie ausgerechnet vor einer Moschee und ausgerechnet an einem muslimischen Feiertag durchgeführt wurde – und ob man sie, zeitlich oder örtlich anders gelagert, mit Blick auf das Grundrecht der Meinungsäusserung, hätte zulassen sollen. Die Frage dürfte in wenigen Tagen wieder aufs Tapet kommen, wenn der Koran-Hasser, Salwan Momika, seine Aktion vor der Botschaft Iraks in Stockholm wiederholen will. Was er ja angekündigt hat.
Erdoğans Joker beim bevorstehenden Nato-Gipfel
Regierungen im Nahen und Mittleren Osten kümmern die Finessen der inner-schwedischen Politik nicht. Einige zogen (zumindest vorübergehend) ihre Botschafter aus Stockholm zurück, andere protestierten, weitere lassen Gross-Demonstrationen vor den diplomatischen Vertretungen Schwedens in ihren eigenen Hauptstädten zu – besonders hart geht es da zurzeit in Bagdad zu.
Der wichtigste indirekte Adressat der Koran-Provokation in Stockholm aber, der türkische Präsident Erdoğan, äussert sich erst einmal eher schein-diskret – die Aktion sei gewiss nicht geeignet, um die Türkei hinsichtlich eines Ja zum schwedischen Nato-Beitritt positiv zu motivieren, liess er bekanntgeben. Was im Klartext wohl bedeutet, dass die Türkei beim bevorstehenden Nato-Gipfel das Beitrittsgesuch Schwedens blockieren wird.