Medien
Die Medien haben eine wichtige Vermittlerfunktion. Hätten. Heute zählt (Ausnahmen bestätigen die Regel) nur noch der Negativjournalismus oder wie es ein Journalistenkollege mal gesagt hat: «Ein Flugzeug, das problemlos startet, landet und pünktlich ankommt, interessiert niemanden.»
Genau jetzt wäre es aber vielleicht an der Zeit, diese Haltung zu hinterfragen. Ich wundere mich beispielsweise in diesem Zusammenhang, wenn ein Schweizer Magazin eine ganze Ausgabe den fleissigen Menschen in Baden-Württemberg mit seinen über 10 Mio. Einwohnern widmet, innovative Unternehmer porträtiert. Dabei haben wir in der Schweiz – eine Behauptung – mindestens gleichviel innovative, fleissige Unternehmer. Verstehen Sie mich nicht falsch: ich lese gerne über Spannendes und Innovatives auf dieser Welt. Dafür gibt es Zeitschriften wie z.B. «Wired». Aber ich denke, es wäre an der Zeit, wenn Journalisten Stories aus der Schweiz und über die Schweiz nicht nur dann spannend finden würden, wenn sie kritisch und/oder negativ sind, sondern auch «good news» bringen. Ganz nach dem Motto:«wenn ein Flugzeug problemlos startet, landet und pünktlich ankommt, dann ist das eine Leistung und alles andere als selbstverständlich.»
Verantwortung
Wer die 49,7% Nein-Stimmen der Abstimmung respektiert – auch dies an sich eine Qualität der direkten Demokratie – wer gleichzeitig die 50,3% Ja-Stimmen ernst nimmt und diese nicht als politisch verdreht oder gar dumm disqualifiziert, wer weiter politisch, wirtschaftlich oder sozial in einer beeinflussenden Position steht, der oder die sollte sich jetzt auf etwas besinnen, was vielleicht noch selten in seiner Laufbahn dermassen wichtig gewesen ist: auf seine Verantwortung. Eine Verantwortung gegenüber dem Wirtschaftsstandort Schweiz, gegenüber dem Arbeitsplatz Schweiz, gegenüber der vielfältigen Kultur der Schweiz, der Reputation der Schweiz. Gegenüber den Schweizerinnen und Schweizern. Und auch gegenüber allen in diesem Land lebenden Menschen aus dem Ausland.
Misstrauen
Gegenüber Politikern sowieso. Leider. Aber auch gegenüber Vertretern der Wirtschaft. Wie kann es zum Beispiel sein, dass ein Unternehmen nur Tage nach dem Abstimmungsentscheid bereits einen signifikanten Personalabbau bekannt geben muss und diesen mit dem Abstimmungsergebnis begründet? Andererseits gibt es tatsächlich diverse Wirtschaftsbereiche, in denen auf Spezialisten aus dem Ausland nicht verzichtet werden kann. Nur ist ja das Ausland nicht nur die EU. Es gibt auch noch die USA, Asien, Südamerika. Ein weiteres Misstrauen muss gegenüber innert Stunden aus dem Computer gezauberter Statistiken aufkeimen, wenn zum Beispiel eine seriöse Grossbank instantly den Verlust von mindestens 80'000 Arbeitsplätzen voraussagt.
Scham
Ich habe drei erwachsene Kinder. Sie sind weltoffen, selbständig, kämpfen um ihren Platz in der Gesellschaft, leben dabei in einer Stadt mit dem schweizweit höchsten Anteil an Sozialbezügern in einem entsprechend nicht gerade einfachen Umfeld. Und in einer Stadt mit einem überdurchschnittlich hohen Ausländeranteil. Ich weiss nicht, was sie gestimmt haben. Aber ich schäme mich wenn ich lesen muss, dass nun die Schweiz untergeht, dass alles vorbei ist. Ich schäme mich wenn ich zur Kenntnis nehmen muss, wie auf der politischen Bühne links und rechts die untersten Schubladen geöffnet werden. Und ich frage mich, was meine Kids wohl von der Zukunft eines Landes halten, das sich nun dermassen aufführt. Und auch von einem europäischen Umfeld, in dem dermassen destruktiv und unversöhnlich gedroht wird. Wer will vor diesem Theater seinen Kindern noch Verhaltensregeln wie Anstand, gegenseitiger Respekt oder Fairness beibringen?
Gespalten
Vielleicht werden wir nochmals abstimmen. 0,4% der Abstimmenden sind wahrlich nicht viel. Hätten soviel mehr Nein statt Ja gestimmt, wäre die Vorlage mit 50,1% abgelehnt worden. Es ist entsprechend einfach zu sagen, die Schweiz sei nun gespalten. Das können die Romands schon lange sagen, denn sie werden fast immer von der Deutschschweiz überstimmt, wenn sie mal nicht derselben Meinung sind. Wir waren vielleicht schon immer gespalten. Aber die Schweiz hat sich in der Vergangenheit auch immer wieder zusammen gerauft, hat sich ihren heutigen Platz erarbeitet, manchmal auch mit nicht so ruhmreichen Taten. Wer nun findet, dass diese Spaltung ein Hinweis darauf sei, dass unser System nicht funktioniert, kennt unsere politische Kultur nicht. Stadt/Land-Kluft: Das ist ein alter Hut. Und auch kein typisches Schweiz-Phänomen.
Zukunft
Ich verstehe unter direkter Demokratie das Respektieren des Mehrheitsentscheids, gleichzeitig das Respektieren der Minderheit und in der Folge das intelligente Umsetzen eines Entscheids mit dem Ziel, das letztlich alle damit leben können. Ansonsten entsteht ein frustriertes Klima und besteht die Gefahr, dass andauernd Unterlegene aus dem System aussteigen. Oder es entsteht Anarchie, in der nur noch der Stärkere gewinnt und Schwächere unterdrückt werden.
Wenn es stimmt, dass die Schweiz nichts zu bieten hat, wenn wir tatsächlich gegenüber der EU chancenlos sind, wertlos, wenn die Zukunft unseres Landes nur noch über den Einwanderungssaldo von Ausländern sichergestellt werden kann, dann ist sie so oder so besiegelt. Dann haben wir in 10 Jahren einen Ausländeranteil von 30% oder mehr. Wir werden spätestens dann unsere Einbürgerungspolitik anpassen (müssen), Ausländer früher einbürgern, jedoch in Kauf nehmen, dass die Schweizer Kultur erodiert. Zugunsten des Wirtschaftswachstums oder welches Wachstums auch immer. Auf Führungsebene werden wir Menschen aus vermutlich mehrheitlich angelsächsischen oder europäischen Ländern und aus Asien haben, auf unteren Stufen vor allem aus Osteuropa. Dazwischen «Restschweizerinnen» und «Restschweizer» vor allem im mittleren Kader, in Ämtern, in politischen Gremien und als selbständige Kleinunternehmer.
Ich werde dann langsam aber sicher aus dem Arbeitsprozess aussteigen. Altershalber. Meine Kinder werden dann mittendrin stecken. Wir alle sollten – müssen – dieses oder ein anderes mögliches Bild vor Augen haben und nun damit aufhören, Abschottungsszenarien zu fordern, von verdorrten, abgeschnittenen Ästen zu schreiben, Massenarbeitslosigkeit vorauszusagen, jeden zu zitieren, der irgend etwas Schreckliches berichten kann und selbst jetzt zu versuchen, auf der Politbühne mit qualitativ zweifelhaften Aussagen oder gar dummen Provokationen das Rampenlicht zu suchen. Stattdessen sollten wir uns an die Arbeit machen. Für die Zukunft der Schweiz. In Europa.