Die UNO räumt offiziell eine Mitverantwortung ihrer Blauhelme an den Massenvergewaltigungen im Osten der Demokratischen Republik Kongo ein. Die schweren Kriegsverbrechen waren von der Nicht-Regierungs-Organisation „International Medical Corps“ aufgedeckt worden, während die in der Gegend stationierten Soldaten der UNO-Stabilisierungsmission (MONUSCO) keine Ahnung hatten. Ein vom UNO-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf veröffentlichter vorläufiger Untersuchungsbericht stellt jetzt fest, dass die MONUSCO „schlecht gerüstet und nicht dafür ausgebildet ist, Zivilisten zu schützen“.
Die Massenvergewaltigungen wurden von marodierenden Soldaten mehrerer Privatarmeen begangen. „Das Ausmass und die Bösartigkeit dieser Verbrechen übersteigt die Vorstellungskraft“, erklärte die Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay. Der Rapport beschreibt Einzelheiten perverser Brutalität, die von Opfern zu Protokoll gegeben wurden. Die von den Ermittlern registrierte Zahl der Opfer beträgt 303 Zivilisten: 235 Frauen, 52 Mädchen, 13 Männer und drei Knaben. Die meisten Frauen wurden mehrfach vergewaltigt und schwer verletzt. Weitere 116 Menschen wurden von der Soldateska entführt, die auch an die tausend Häuser und 42 Geschäfte ausraubte.
Fehlendes Vertrauen
Vergewaltigungen als Teil der Kriegsführung sind im Kongo seit 15 Jahren üblich. Was aber die 200 bis 300 Freischärler zwischen dem 31. Juli und dem 4. August in 13 Dörfern der Provinz Nord-Kivu anrichteten, bezeichnete Hochkommissarin Pillay als den bisherigen Gipfel. Die Verbrechen seien „auf aussergewöhnlich kaltblütige und systematische Weise geplant und ausgeführt“ worden. Die Täter sind Hutu-Milizen, die nach dem Genozid an der Tutsi-Minderheit 1994 aus Ruanda flüchteten und sich jetzt „Demokratische Streitkräfte zur Befreiung Ruandas“ (FDLR) nennen, zudem eine lokale Rebellengruppe namens „Mai Mai Cheka“ sowie die Truppe des aus der kongolesischen Armee desertierten Obersten Emmanuel Nsengiyumva. Diese Gelegenheitsverbündeten sind mit Kalaschnikows, Granaten und Macheten bewaffnet. Die Ermittler konnten nicht alle Opfer befragen, weil die Hälfte der Dörfler aus Angst vor weiteren Überfällen in den Busch geflüchtet ist.
Mitte und Ende August griffen aus Ruanda stammenden Hutu-Milizen Mitte erneut 19 Ortschaften an, diesmal im Umkreis der Stadt Shabunda. Den Blauhelmen wurden 214 Fälle von Vergewaltigungen gemeldet. Wegen der prekären Sicherheitslage konnten jedoch die Ermittler die Informationen nicht vor Ort überprüfen. Nach den Angaben der UNO sind die kongolesischen Streitkräfte und Polizeistationen als nicht fähig, den Marodeuren das Handwerk zu legen. Aber auch die in Nord-Kivu stationierten Truppen der MONUSCO erfüllten ihre Aufgaben nicht, heisst es in dem Bericht. Zwischen den Blauhelmen und der Zivilbevölkerung herrsche ein deutliches Vertrauensmanko. Die UNO-Soldaten würden selten von ihren Fahrzeugen runtersteigen.
Krieg seit 1960
In die Dörfer wagen sie sich nur bei Tag. Die Angriffe der Freischärlerbanden gegen die einheimische Bevölkerung fänden hingegen zumeist nach Anbruch der Dunkelheit statt, wenn die Blauhelme schon längst in ihren Unterkünften sind. Telefonsysteme, die Hilferufe per Funk erlauben, seien auf dem Lande praktisch nicht vorhanden oder würden von den Angreifern sofort neutralisiert.
Der Bericht empfiehlt der MONUSCO, ihren Soldaten eine permanente Ausbildung angedeihen zu lassen, die besonderes Augenmerk auf den Schutz der Zivilbevölkerung legt. Ausserdem sollten die Einsatzregeln der einzelnen Blauhelmposten von jeweils höchstens 80 Mann genauer aufeinander abgestimmt werden.
Die ehemalige belgische Kolonie Kongo befindet sich seit ihrer Entlassung in die Unabhängigkeit 1960 fast ständig im Krieg. Dabei greifen ethnische Konflikte, ausländische Einmischung und wirtschaftliche Interessen ineinander. Auch bei den jüngsten Massenvergewaltigungen und anderen schweren Kriegsverbrechen stehen im Hintergrund die Reichtümer des riesigen Landes.
Nach den Erkenntnissen der UNO geht es um die Bodenschätze des Gebiets Walikale in der Provinz Nord-Kivu, an deren Ausbeutung alle bewaffneten Gruppen einschliesslich der Regierungsarmee beteiligt seien. Jeder dieser Gruppen versuche die Steinbrüche unter ihre Kontrolle zu bringen. Im Prinzip hat die Regierung die Schürfrechte an drei Firmen vergeben: das britisch-südafrikanische Konsortium „Mining Processing Company“ (MPC), die von einem in Ruanda ansässigen Briten geleitete „Oakridge Company“ und die kongolesische „Groupe Minier Bangadula“ (GMB). Bewaffnete Banden machen ihnen aber die Beute streitig. Auch skrupellose Verwaltungsbeamte profitieren vom Schwarzhandel mit den kostbaren Rohstoffen, stellt der Untersuchungsbericht der Vereinten Nationen fest.