Am Tor des Büros der kommunistischen Partei (PKI) in Pare hing der abgeschlagene Kopf des lokalen Parteichefs. Ein anderer hing an einem Steg, eine Zigarette im Mund. Penisse waren an Telefonmasten genagelt, Köpfe auf Pfähle gespiesst. Kommunisten oder Verdächtige wurden in Reihen aufgestellt, dann schnitt man ihnen die Kehle durch und warf sie in die Flüsse. Die Bewässerungskanäle der Reisfelder waren verstopft von Leichenteilen, Armen, Beinen, Torsos. Seuchen brachen aus. Sogar Kinder mussten als Kommunisten sterben. In Jakarta erinnerte sich ein bekannter Journalist Jahre später an eine Schülerin, die in Tränen bei ihm aufgetaucht sei: Ihre eigenen Mitschüler seien gerade dabei, zu entscheiden, wer unter ihnen Kommunist sei, wer somit hingerichtet werden müsse. Jeder war verdächtig.
«Die beste Art zu beweisen, dass man kein Kommunist ist, war, sich an der Mordorgie zu beteiligen, und so wurden viele Verdächtige zu Mördern», schrieb der australische Historiker Adrian Vickers in «A History of Modern Indonesia» über jene Mordorgien, die in Indonesien den Jahreswechsel 1965/1966 überschatteten. «Unser Pförtner und Wächter… war ein so netter Mann, er war immer so nett zu meinem kleinen Jungen», erzählte eine wohlhabende Frau in Surabaya. «Aber damals ging er zu meiner Mutter und bat um Erlaubnis, nachts ausgehen zu dürfen, um beim Töten mitmachen zu können. Andernfalls sie ihn Kommunist nennen würden. Als der dann nach Hause kam, war sein Schwert nass von Blut.»
Antikommunistische Hysterie
Hunderttausende, eine Million Menschen fielen jenem Blutrausch vor beinahe fünfzig Jahren zum Opfer. Den Eifer, mit dem Jugendliche auf Bali mordeten, kommentierte General Sarwo Edhie Wibowo, damals von australischen Zeitungen als «der Schlächter von Java» beschrieben, mit der Feststellung: «In Java mussten wir die Leute aufhetzen, Kommunisten umzubringen. In Bali mussten wir sie zurückhalten. Wir mussten Ordnung und Systematik in diese antikommunistische Hysterie bringen, so dass nur Kommunisten getötet wurden.»
1,5 Millionen schmachteten jahrzehntelang in Gefängnissen, Straf-, Arbeits- und Konzentrationslagern, wo weitere Hunderttausende starben. «In Bezug auf die Zahl der Getöteten zählen die Anti-PKI-Massaker zu den schlimmsten Massenmorden des 20. Jahrhunderts, vergleichbar mit den sowjetischen Säuberungen der dreissiger Jahre, den Nazi-Massenmorden und dem maoistischen Blutbad Anfang der fünfziger Jahre», beschrieb eine CIA-Studie die Situation – freilich ohne zu erwähnen, dass der amerikanische Geheimdienst den indonesischen Streitkräften Namenslisten von PKI-Mitgliedern gegeben und die Operationen der Todesschwadronen sogar finanziert hatte.
Verdrängte Vergangenheit
Suhartos «Machtstruktur war auf Massenmord aufgebaut», schrieb Indonesiens bedeutendster Schriftsteller der Moderne, der 2006 verstorbene Pramoedya Ananta Toer, der selbst 14 Jahre lang ohne Anklage oder Prozess zu Schwerarbeit auf die Molukkeninsel Buru verbannt gewesen war. Während der folgenden 32 Jahre hämmerte antikommunistische Propaganda unentwegt auf Indonesien ein, die Pressezensur war vollständig. Sogar Adam Smith, Max Weber, John Maynard Keynes oder Joan Robinson standen wegen Verbreitung kommunistischen Gedankenguts auf dem Index des Justizministeriums. Die antikommunistische Propaganda wirkt bis heute nach.
Einen Ehemann oder Vater zu betrauern, der einst als Kommunist ermordet wurde, könnte nur Verdacht erregen. Viele hatten damals ihre Dörfer verlassen und sich in Gegenden niedergelassen, wo niemand ihre Vergangenheit kannte. Viele hatten sich eine neue Identität zugelegt. Noch im März 1999, als Suhartos Nachfolger, Präsident B.J. Habibie, die letzten Häftlingen jener Jahre aus der Haft entliess, zeigte das nationale Fernsehen einen Mann, der das Gefängnis unter Tränen verliess: Seine Familie wollte ihn nicht sehen, er wusste nicht, wohin er gehen sollte. Bis heute wagen die Opfer nicht, sich zu ihrer Vergangenheit zu bekennen. Und bis heute wagen nur wenige, sich mit diesem Teil ihrer Geschichte auseinanderzusetzen.
Ein quälender Film
Auf dem Internationalen Filmfestival von Toronto 2012 sorgte der amerikanische Filmregisseur Joshua Oppenheimer, der zwischen 2004 und 2008 schon eine ganze Reihe von Filmen in Indonesien gedreht hat, mit seinem «The Act of Killing» (indonesischer Originaltitel «Jagal») für Betroffenheit. Inzwischen ist der u.a. von Werner Herzog koproduzierte Film auch in Indonesien angekommen. Doch in einem Land, in dem die Massaker bis heute als der heroische Sieg über den Kommunismus verklärt werden, kann auf geheime Vorführungen nur hinter vorgehaltener Hand oder über die sozialen Netzwerke hingewiesen werden. So sehen es die Veranstalter bereits als Erfolg an, dass «schon 1500 Leute» die Dokumentation gesehen haben.
Es ist ein quälender Film, weil er nicht nur die Vergangenheit, sondern auch den aktuellen Zustand Indonesiens schildert. Er porträtiert Anwar Congo und Adi Zulkadry, zwei Kleinkriminelle, die Kinotickets auf dem Schwarzmarkt verkauften und dann zu Führern und Henkern einer paramilitärischen Jugendbande aus Medan in Nordsumatra avancierten und sich fleissig an der damaligen Kommunistenhatz beteiligten. Anwar und Adi sind Preman, Gangster, die von Erpressung leben und die Illusion der sozialen Ordnung aufrechterhalten.
Indonesiens wahres Gesicht
Bis heute etwa bezahlen die Hoteliers, Restaurant- und Diskothekenbetreiber in Jakartas Jalan Jaksa, der Hochburg der Rucksacktouristen aus aller Welt, Schutzgelder auch an Polizei und Armee, so dass die «soziale Ordnung» nicht gestört wird. 1965/66 wurden Tausende Preman mobilisiert. «’The Act of Killing’ zeigt Indonesiens wahres Gesicht”, sagt ein indonesischer Koproduzent, der anonym bleibt, weil er um seine Sicherheit fürchtet.
Keine unbegründete Furcht in einem Land, in dem wissenschaftliche Untersuchungen, die sich mit den Vorgängen um Suhartos Machtübernahme befassen, von den Behörden regelmässig erst einmal auf den Index gesetzt werden, ehe sie zumeist nach heftigen Protesten angesehener Wissenschaftler wenigstens einer begrenzten Leserschaft zugänglich gemacht werden. «Wir sind verwundete, von Narben bedeckte Bestien. Wir können entweder diese Wunden akzeptieren und heilen oder eine falsche Identität annehmen, die wir hinter einer schönen Maske verbergen.»
Täter nicht als Bestien, sondern als Menschen gezeigt
Es sind erschütternde und grausame Bilder, die der Film zeigt. Doch beinahe noch erschütternder als die Bilder und Berichte der Opfer ist die Darstellung der Massenmörder nicht als Monster, sondern als bedauernswerte Menschen. «Anwar Congo ist ein Mörder mit Herz», erklärt der Koproduzent. «Anwar hat Schlafstörungen und leidet unter Alpträumen. Indonesischen Geschichtsbüchern zufolge stand er auf der richtigen Seite, sein Gewissen aber sagt ihm etwas anderes.» Als Anwar die Filmemacher zum ersten Mal an einen der Orte führt, wo er einst mordete, ist er guter Stimmung und tanzt herum. Bei einem anderen Besuch ist er in Tränen aufgelöst und übergibt sich.
Die Europäern vielleicht schwer vorstellbare indonesische Tradition, im Bestreben um Ausgleich und Harmonie nicht nur das Opfer, sondern auch den Täter zu bedauern, wurde schon während oder nur kurz nach den Massakern deutlich. Zwar waren damals manche der Täter von Suharto mit einer Position im öffentlichen Dienst belohnt worden. Viele aber litten ihr Leben lang unter der Last der Schuld. «Niemand weiss, wie viele den Verstand verloren. Auf Millionen lastete der Fluch dieses Terrors», schrieb Vickers.
Die Wahrheit aufdecken
Darum, so meint der anonyme Koproduzent, könnten sich in Indonesien «Demokratie und Humanität so lange nicht durchsetzen, bis die Wahrheit aufgedeckt, wirkliche Versöhnung erreicht ist und die Republik ihre Fehler einsieht.» Ob Indonesien je soweit kommen könnte, bezweifelt er aber. «Der Internationale Gerichtshof verfolgt nur Führer besiegter und gestürzter Regime, die schon von ihrem Volk schuldig gesprochen wurden. Weder Indonesien noch der Internationale Gerichtshof haben jemals die Schuld des Regimes anerkannt. Es gab nie eine Verurteilung durch die internationale Gemeinschaft oder einen ernsthaften Versuch, die Säuberungen von 1965/66 als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu sehen. Der Massenmord pflasterte den Weg für ausländische Investitionen und ausländische Kontrolle über Indonesiens Bodenschätze. In Wahrheit haben ihn die westlichen Staaten begrüsst.»
Zwar begann die Nationale Menschenrechtskommission Ende letzten Jahres die Regierung zu drängen, die Menschenrechtsverletzungen im Zusammenhang mit Suhartos Machtübernahme 1965 und die sogenannten «Petrus-Morde» aufzuklären. Zwischen 1982 und 1985 liess die Regierung Tausende angebliche Kriminelle von Todesschwadronen einfangen und ohne Prozess ermorden. Doch bisher zeigt die Regierung wenig Interesse an den Menschenrechten. Der zuständige Generalstaatsanwalt ist berüchtigt dafür, Menschenrechtsfälle in die Länge zu ziehen, bis sie vergessen sind und ungelöst ad acta gelegt werden können. So auch in diesem Fall. Generalstaatsanwalt Basrief Arief gab die von der Menschenrechtskommission vorgelegten Dossiers zu beiden Fällen zurück, weil sie einige formale Voraussetzungen angeblich nicht erfüllten.