Bahrain steht vor einer Machtprobe, die sich mit jener der Volkserhebung vom Februar 2011 vergleichen lässt. Damals mussten saudische Truppen eingreifen, um die königliche Regierung Bahrains an der Macht zu halten. Seither sind die Inseln nie ganz ruhig geworden. Die Regierung sah sich veranlasst, gegen alle Oppositionellen sowohl politisch wie mit robuster Gewalt hart durchzugreifen.
Sunnitische Herrscher, schiitisches Volk
Die Spannungen auf dem Archipel sind schon alt. Sie gehen darauf zurück, dass dort ein sunnitisches Königshaus über eine mehrheitlich schiitische Bevölkerung herrscht. In vergangenen Jahren, bevor Khomeini 1979 in Iran zur Macht kam, war dies mehr eine Frage des politischen Machtkampfs zwischen dem Herrscherhaus und den gewählten Parlamentariern gewesen.
Doch seit Khomeini hatte sich die schiitische Mehrheit der Bahrainis, angeregt durch das iranische Vorbild, mehr und mehr unter die Führung der schiitischen Geistlichen begeben. Die parlamentarische Opposition war so zur schiitischen Opposition geworden. Die Möglichkeiten, die Bevölkerung auf diesem konfessionellen Weg zu motivieren und zu mobilisieren, hatten sich als viel stärker erwiesen, als rein politische Motive es je vermochten.
Das Regime «sunnisiert» sich
Dies hatte natürlich das Herrscherhaus dazu veranlasst, nun seinerseits auf die sunnitische Karte zu setzen. Dies geschah unter anderem dadurch, dass es Polizei und Sicherheitskräfte aus den sunnitischen Bevölkerungsteilen rekrutierte. Auch die Einstellung pakistanischer Söldner, die dann rasch das bahrainische Bürgerrecht erhielten, wurde nicht verschmäht. Verwaltungsstellen gingen in erster Linie an Sunniten. Die Regierung konnte sich auf ihre Loyalität eher verlassen, als dies bei sunnitischen Angestellten der Fall gewesen wäre.
Die Behörden sahen hinter allen Aspekten schiitischen Aufbegehrens nicht die Unzufriedenheit ihrer Mehrheitsbevölkerung, sondern die Agitation Irans. Dass Iran als Vorbild und Wegweiser dabei eine Rolle spielte und weiter spielt, ist einzuräumen. Wieweit jedoch iranische Agitation für die Haltung der bahrainischen Mehrheitsbevölkerung ausschlaggebend ist, lässt sich diskutieren.
Dialog zusammengebrochen
Seit der Niederwerfung der Demonstrationen von 2011 schwankte die königliche Regierung Bahrains zwischen brutalen Polizeimassnahmen gegen die schiitische Opposition inklusive Folterungen auf der einen und Versuchen eines Dialogs mit den «gemässigten» Teilen der Opposition auf der anderen Seite. Protagonist des Dialogs war immer Kronprinz Salman Ben Hamad al-Khalifa. Vorkämpfer der harten Linie ist und bleibt sein Onkel, der langjährige Ministerpräsident, Khalifa ben Salman al-Khalifa. Der Dialog wurde in erster Linie mit der Wefaq-Partei (Vertrags-Partei) geführt. Sie war vor 2011 die grösste Partei im Parlament Bahrains gewesen. Nach der Repression der Demonstrationen boykottierte sie das Parlament.
Der Dialog sollte gewiss auch der Beschwichtigung der durch die Menschenrechtsvergehen der Regierung «beunruhigten» politischen Partner Bahrains dienen. Die Inseln sind wichtig für die Flotten der USA und Grossbritanniens. Sie sind Basis der Fünften amerikanischen Kriegsflotte für den Persischen Golf. Grossbritannien hat ein Projekt angekündigt, dort ebenfalls eine Marinebasis zu errichten.
Grösste Partei des Landes verboten
Doch der Dialog mit Wefaq ist fehlgeschlagen. Die Regierung ging in den letzten Tagen dazu über, die bahrainische Mehrheitspartei zu liquidieren. Ein Gericht erklärte sie für suspendiert, und über ihr endgültiges Verbot soll noch befunden werden. Das Gericht war vom Justizministerium aufgefordert worden, gegen die Partei (die sich offiziell nicht «Partei» sondern «Islamische Nationale Gesellschaft» nennt) vorzugehen, «um die Sicherheit des Landes zu gewährleisten», wie die Behörde bekannt gab.
Der politische Führer von Wefaq, Scheich Ali Issa Salman, befand sich bereits im Gefängnis mit einer Verurteilung zu vier Jahren. Doch die Regierung benutzte die Gelegenheit eines Appells, den er ergehen liess, um dafür zu sorgen, dass sein Urteil auf neun Jahre erhöht wurde. Die Begründung lautete, Scheich Issa Ali Salman «arbeite mit dem Landesfeind zusammen und hetze die Bevölkerung auf».
Ausbürgerung des Obersten Geistlichen
Der wirklich entscheidende Schritt der Regierung kam am 20. Juni, als sie bekanntgab, Scheich Isa al-Qassem sei die bahrainische Nationalität entzogen worden. Dies sei geschehen, weil der Scheich seine Position missbraucht habe, um ausländischen Interessen zu dienen und sektiererische Gewalt zu fördern.
Schaich Qassem ist der Ayatollah Bahrains und gilt gleichzeitig als der geistliche Führer von Wefaq. Die Reaktion der Bevölkerung war, dass Anhänger des Ayatollahs in grosser Zahl die Nacht in Duraz, dem Dorf, wo er wohnt, vor dem Haus al-Qassems verbrachten, um dafür zu sorgen, dass er nicht deportiert werde. Die Schiiten Bahrains sind primär eine ländliche Bevölkerung von Oasenbauern. Viele von ihnen trugen weisse Turbane als Zeichen, sie seien bereit, ihr Leben für ihren Ayatollah hinzugeben. Sie riefen nach dem Sturz des Königshauses al-Khalifa – was an sich bereits als Verbrechen gilt, auf dem Gefängnisstrafe steht.
Die hohen schiitischen Gelehrten – Ayatollah ist ihr höchster Rang – haben jeweils «Gemeinden» von Gefolgsleuten, die ihren Weisungen bei der Auslegung von Scharia-Vorschriften folgen und an sie die religiös vorgeschriebene Almosensteuer (Zakat) entrichten, die dann von dem Hohen Gottesgelehrten für die Armen und für religiöse Belange verwendet wird. Dies verleiht den Hohen schiitischen Geistlichen eine besondere Macht im religiösen und im sozialen Bereich.
Kritik aus Iran
Das iranische Aussenministerium hat die Massnahme gegen den bahrainischen Ayatollah in gemässigten, aber klaren Tönen kritisiert. Nach Einschätzung von Menschenrechtsorganisationen ist der Entzug des Bürgerrechts in Bahrain eine recht häufig angewandte Strafe. Seit 2011 soll es 250 solcher Massnahmen gegen politisch Missliebige gegeben haben, die normalerweise die Exilierung der Betoffenen bedeuten.
Der Chef des aussenpolitischen Geheimdienstes der Revolutionswächter Irans, General Qassem Soleimani, benützte die Gelegenheit, um sehr viel schärfer in die gleiche Kerbe zu schlagen. Er erklärte, die Behörden Bahrains wüssten genau, dass die Aggression gegen den Ayatollah eine rote Linie darstelle. Sie werde der Bevölkerung keine andere Wahl lassen, als zum bewaffneten Widerstand überzugehen. Dieser werde unvermeidlich zur Zerstörung des blutrünstigen Regimes von Bahrain führen. Die Worte des Generals heissen nicht, Iran werde direkt eingreifen. Sie sind vielmehr die ominöse Andeutung, es werde Gewalt ausbrechen.
«Bedauern» im Westen
Sogar die Engländer und die Amerikaner erklärten sich «betroffen» angesichts der Verhärtung der bahrainischen Haltung. Die Beobachter erklären den offensichtlichen Sieg der harten Linie im bahrainischen Königshaus mit mehreren sich treffenden Entwicklungen. Einerseits sind sich die Entscheidungsträger in der königlichen Familie des Umstands bewusst, dass die westlichen Partner und Beschützer Bahrain heute dringender brauchen denn je, weil sie im Abwehrkampf gegen den IS stehen. Andererseits steht Bahrain, wie alle Erdölstaaten am Golf, unter dem Druck, die Subventionen des Staates an die Bevölkerung abzubauen, weil der Ölpreis stark gesunken ist.
Weiter sieht sich die Regierung veranlasst, den Wünschen der sunnitischen Parteien und Parteiungen, auf die sie sich stützt, Folge zu leisten. Die stärksten dieser Gruppierungen sind die Muslimbrüder und die Salafisten, Feinde der Schiiten. Dazu kommt natürlich entscheidend die verschärfte Gangart Saudi-Arabiens im Machtstreit mit Iran und der daraus resultierende sunnitisch-schiitische Kalte Krieg, der sich in Stellvertreterkriegen artikuliert.