Als ich in meiner malerei müde wurde, die natur analysierend darzustellen, suchte ich nach einer realität, die mehr in meinem besitz wäre als die aussenwelt, und fand als solche das von mir bewohnte körpergehäuse, die realste realität am deutlichsten vor …
Maria Lassnig
Es mag eine Platitüde sein: Mit jedem Werk, mit jeder Äusserung entwirft der Künstler oder die Künstlerin ein Bild von sich selbst – auch dann, wenn er dieses Bild mit Absicht verfälscht oder unterdrückt. Unterschiedlich ist allerdings der Grad der Radikalität dieses Eigenbildes.
Kompromisslos geht Maria Lassnig mit dieser grundsätzlichen Ich-Bezogenheit der Kunst um. Ausstellungen ihrer Malereien in St. Gallen (kuratiert von Roland Wäspe) und ihrer Arbeiten auf Papier in Basel (in Zusammenarbeit mit der Albertina kuratiert von Anita Haldemann und Antonia Hoerschelmann) rufen das Werk der Künstlerin, einer der ganz grossen des 20. Jahrhunderts, prominent in Erinnerung und zeigen, wie die Malerin diesem Eigenbild während ihres ganzen Lebens stets neu Konturen gab.
Maria Lassnig spricht, obwohl in ihren Werken sehr häufig sie selber und ihre eigenen Gesichtszüge erkennbar sind, nicht von Selbstporträts, sondern von „Körpergefühl“ oder, in New York, von „body-awareness“, was mit „Körper-Bewusstheit“ wohl am treffendsten übersetzt ist, weil das eine aktive Haltung im Sinne einer wachen Aufmerksamkeit beschreibt. Das erweitert den Begriff: Es geht nicht, wie im Selbstporträt, darum, das möglicherweise objektive Bild ihrer selbst zu entwerfen – auch das ist allerdings eine vertrackte Sache. Es geht darum, aus dem, was ihr am nächsten steht, aus dem eigenen Körper und seinen vielen Wahrnehmungsmöglichkeiten heraus ihren Lebensraum und sich selbst zu erkunden.
Zu diesen Wahrnehmungsmöglichkeiten gehört natürlich das Visuelle, aber auch jede Körpererfahrung: Malerei ist Handwerk und mit ihrer gestischen Komponente stets mit dem eigenen Körper und seiner Stellung im Raum verbunden. Aber auch alle Sinne gehören dazu – darunter, wie in der Begegnung mit ihren Malereien unverstellt zu spüren ist, auch das Haptische, die Haut als das grösste Sinnesorgan, dessen vielschichtige Möglichkeiten der Selbst- und Umwelterfahrung kaum in Sprache zu fassen sind. (Maria Lassnig dazu: „Es gibt zu wenig Wörter, deshalb zeichne ich ja.“)
Das Ereignis der Körperempfindung
Mit der Entscheidung, in ihrer Arbeit stets „vom physischen Ereignis der Körperempfindung“ (Maria Lassnig 1994) auszugehen und so der Malerei eine neue Dimension zu eröffnen, nimmt sie im Medium der Malerei vorweg, was in den 1970er und 1980er Jahren etwa Friederike Pezold und Valie Export mit Fotografie und Video erprobten, aber auch, was manche „Junge Wilde“ in den 1980ern in eher kurzlebigen malerischen Aktionen und bisweilen auch Exzessen feierten. Zudem lässt sich in ihrem kompromisslos gradlinigen Werk mancherlei von dem spüren, mit dem sich viele feministischen Ansätzen verpflichtete Künstlerinnen in die Kunst der 1990er Jahre einschrieben. Beispiele unter vielen sind Cindy Sherman, aber auch Tracey Emin und Sarah Lucas oder, auch in jüngster Zeit, Elke Krystufek.
In der St. Galler Ausstellung, die sich auf knapp 40, aber sorgfältig ausgewählte Werke aus der Zeitspanne von 1950 bis 2007 beschränkt, lässt sich all das gut nachvollziehen. Schon in einigen der tastenden Anfängen um 1950 (da ist Maria Lassnig allerdings bereits 31 Jahre alt), als sie sich mit der in Paris erlebten informellen Malerei auseinandersetzt, wird spürbar, dass ihre Malerei aus freier Gestik heraus entsteht. Nur während kurzer Zeit malt sie rational Konstruiertes. Bald bricht, an der Grenze zwischen auf den eigenen Körper bezogener Gegenständlichkeit und freier Abstraktion, emotionale und doch kontrollierte Gestik durch, mit der sie, sehr früh, ihre Erfahrungen mit Geschlechterbeziehungen formuliert.
Paradigmatisch wirken in diesem Sinne „Zwei nebeneinander/Doppelfiguration“ von 1961 oder das „Dreifache Selbstporträt“ (1971), in dem Maria Lassnig sich gleich zweimal als frontalen Akt zeigt – einmal sitzend, einmal, als sei sie eben aufgestanden. Zwischen diesen beiden Figuren sehen wir die Seitenansicht eines Aktes in Bewegung, vielleicht ein Bild im Bilde. Paradigmatisch in seiner ambivalenten Selbstdarstellung wirkt auch „Generationenfusstritt“ (1998), die Schilderung einer chaotisch wirkenden Beziehung – vielleicht die der gross ins Bild gesetzten Künstlerin zu gleich mehreren Schülern.
Entschiedener Positionsbezug
In manchen ihrer Bilder zeigt Maria Lassnig ihren Körper oder Teile davon als Wahrnehmungsorgan – mit riesiger Nase, mit nur einem Auge, tänzerisch balancierend im Raum. Eine Malerei von 1987 liesse sich lesen als Körperquerschnitt und damit als Blick in den eigenen Innenraum. Andere Bilder lassen erahnen, dass sich die Künstlerin die Leinwand nicht immer auf der Staffelei oder an der Wand vornimmt, sondern auch auf dem Boden, und dass sie als Malerin ganz verschiedene Positionen einnimmt – mal sitzend, mal liegend: Das Erleben ganz unterschiedlicher Beziehungen des eigenen Körpers zum Raum und zum Bild fliesst in das Werk ein.
Maria Lassnigs Farbenwelt ist über all die Jahre erstaunlich konstant. Schwarz fehlt ganz, helles Grün, Gelb, Blau herrschen vor. Der Umgang mit Farbe und Form erfolgt auf weite Strecken unbekümmert und spontan – und doch sind die oft grossen Formate bewältigt, die Proportionen stimmen, die Farben fügen sich zu spannungsvollen Klängen, die Räume, in die sie ihre Figuren, sich selber also, setzt, vibrieren. Bereits als junge Künstlerin, das belegen die bereits in den frühen 1940er Jahren entstandenen Selbstporträts der 23-Jährigen, ist Lassnig eine Könnerin, die ihr Handwerk mit Virtuosität zu handhaben versteht. Und fast macht es den Anschein, als suche sie mit ihrer Unbekümmertheit ihre Virtuosität zu überdecken, als kämpfe sie, ihrer inhaltlichen Ausrichtung entsprechend, gegen das Glatte, Vollendete, Perfekte: Maria Lassnigs Malerei ist ein bewusster und entschiedener Positionsbezug auch innerhalb der Kunstwelt ihrer Gegenwart.
Arbeiten auf Papier in Basel
Dass das Kunstmuseum Basel zeitgleich mit St. Gallen Maria Lassnig in Erinnerung ruft, ist nicht Zufall, sondern bewusste Koordination: In Basel wird der Blick auf das Werk der mehrheitlich als Malerin rezipierten Künstlerin ausgeweitet. Hier sind Zeichnungen und Aquarelle zu sehen und damit eine weniger bekannte, aber dennoch wichtige Komponente im Schaffen Lassnigs. Sie selber hat die Bedeutung dieser Medien unterstrichen: „Die Zeichnung ist dem Augenblick am nächsten.“ Ihre Papierarbeiten sind weit davon entfernt, lediglich Vorstufen der Malereien zu sein. Sie haben, auch wenn sie sich thematisch im gleichen Spektrum bewegen wie die Malereien, den Rang eigenständiger künstlerischer Äusserungen.
Lassnigs Arbeiten auf Papier sind schon früh teils linear und inhaltsbestimmt (in Bleistift oder Tusche), teils farbbetonte flächige Aquarelle. In beiden wird der Wille der Künstlerin deutlich, ihrer „Körper-Bewusstheit“ Ausdruck zu geben. Die Bleistiftzeichnung lebt von einem gegenüber der Malerei neuen Realismus und von einer Präzision der Selbstdarstellung. Die Aquarelle leben von einer Freiheit und Unbekümmertheit auch im Umgang mit der Farbe, wie es in der Malerei kaum möglich ist.
Maria Lassnig: Be-Ziehungen. Kunstmuseum St. Gallen. Bis 23.9.
Maria Lassnig: Zwiegespräche. Kunstmuseum Basel Neubau. Bis 26.8. Katalog gemeinsam mit Albertina Wien.
Maria Lassnig
Geboren 1919 in Kärnten, studierte Maria Lassnig in den 1940er Jahren an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Paris-Reisen (gemeinsam mit Arnulf Rainer) anfangs der 1950er Jahre und Kontakt zu André Breton und Paul Celan. 1954 studiert sie in Wien weiter und hat Kontakte mit der „Wiener Gruppe“ (Wiener, Achleitner, Rühm, Artmann). Ab 1974 und bis 1980 in New York. Hier Bekanntschaft mit feministischen Künstlerinnen wie Louise Bourgeois, Joan Mitchell, Martha Edelheit und Carolee Schneemann. 1980 zusammen mit Valie Export Gast im Pavillon Österreichs an der Biennale Venedig und Professur für Malerei an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien, wo sie auch ein Studio für Zeichentrickfilm einrichtet. Grosser Einfluss auf die junge Kunst in Österreich. 1988 Grosser Österreichischer Staatspreis. In der Folge Ausstellungen in ganz Europa. 1989 zeigte der damalige Luzerner Museumsdirektor Martin Kunz Maria Lassnig in der Ausstellung „Mit dem Kopf durch die Wand“ erstmals in der Schweiz. Später folgen in der Schweiz Ausstellungen in Zürich, Basel und Bern. 2003 erhält sie in den Roswitha-Haftmann-Kunstpreis Zürich. Maria Lassnig stirbt 2014 in Wien.