Die meisten Engländer kennen seit Menschengedenken nur ein einziges gekröntes Haupt: Elizabeth II., geboren 1926, Königin seit 1953. Ihr Bild prangt auf den Briefmarken und Banknoten, das schwungvolle ER (R für Regina) ist allgegenwärtig. In wenigen Jahren wird es eine neue Untergrundbahnlinie quer durch London namens Elizabeth geben. Und man dürfte getrost darauf wetten, dass die Namengeberin dann immer noch Königin sein wird.
Wenn Elizabeth Alexandra Mary so alt wird wie ihre Mutter Elizabeth, besser bekannt als trinkfeste und beliebte «Queen Mum», die erst 2002 mit 102 Jahren starb, dann würde Thronfolger Nr. 1, Kronprinz Charles, mit 80 Jahren ein eher betagter König. Und Enkel William, Thronfolger Nr. 2, wäre bereits 46 Jahre alt.
Elizabeth war nicht für dieses Amt ausersehen. Doch ihr Vater musste ungern König werden, als sein älterer Bruder Edward 1936 wegen einer nicht standesgemässen Frau – und wegen seiner Sympathien für Hitler-Deutschland – abdankte. Die älteste Tochter wurde mit elf Jahren Thronfolgerin. Es ist im Übrigen bemerkenswert, dass das traditionsbewusste England seit jeher die weibliche Thronfolge kannte.
Plötzlich Königin
Die Kronprinzessin heiratete 1947 die erste Liebe ihres Lebens, Prinz Philip Mountbatten, Marineoffizier wie ihr Vater. Für den Kauf der Seide für ihr Brautkleid musste sie Rationierungsmarken sparen. Die eng taillierte Robe mit dem weiten Rock wurde von Norman Hartnell entworfen, bis zu seinem Tod Elizabeths Lieblings-Modeschöpfer.
Die glücklichsten Jahre ihres Lebens, heisst es, verbrachte sie nach der Heirat in Malta, wo ihr Mann stationiert war, als Garnisons-Gattin wie alle anderen. Doch dann starb ihr Vater, und die junge Frau kam von einer Kenia-Reise als Königin zurück. Von ihrem ersten Premierminister Winston Churchill wird sie viel gelernt und erfahren haben. Die Krönung wurde in alle Welt übertragen. Und ihr Mann, berüchtigt für seine Sprüche, soll seine eben gekrönte Frau gefragt haben, wo sie denn diesen Hut her habe.
Als Königin sah Elizabeth gelassen den Verlust vieler britischer Kolonien. Ihr Vater war noch Kaiser von Indien gewesen. Ebenso gelassen soll sie als globales Staatsoberhaupt die Unabhängigkeitswünsche in Australien und anderen Kronjuwelen des «Commonwealth» sehen. Auch die Wandlungen in der Church of England, deren Oberhaupt sie ist, hat sie genau so pragmatisch hingenommen wie die elektronische Entwicklung.
Eisernes Pflichtbewusstsein
Die Queen empfängt jede Woche den britischen Premier; David Cameron ist bereits der zwölfte, und es würde niemand behaupten, dass sie keinen Einfluss auf die Politik ihres Landes nehme. Dank ihrem eisernen Pflichtbewusstsein ist sie bestens informiert und dossiersicher. Es wäre interessant zu erfahren, wie sie über den möglichen «Brexit», den Ausstieg des Vereinigten Königreichs aus der EU, denkt. Spekulationen gehen dahin, dass sie dagegen wäre.
Noch letztes Jahr meisterte die anscheinend Unermüdliche mit der robusten Gesundheit einige hundert Auftritte und Reisen, auch wenn sie die weiten Reisen heute lieber ihren Enkeln überlässt.
Die königlichen Reisen sind demokratisiert worden. Die Queen benützt keinen royalen Extrazug mehr, um in die Ferien auf den Schlössern Sandringham oder Balmoral zu fahren, sondern normale Regionalzüge. Sie fliegt meist mit kommerziellen Airlines statt mit ihrer Privatflotte; ihr Enkel Harry favorisierte auch schon britische Billigfluglinien. Aber die Trennung von ihrer Jacht «Britannia» ist ihr schwer gefallen. Der Unterhalt des Schiffes, mit dem sie über die Weltmeere schipperte, war zu teuer geworden. Es liegt heute als Touristenziel im Hafen von Edinburgh.
Gravierender Fehler
Die Frau, die seit Jahren stets dieselbe Hutform des Modells «umgedrehter Kochtopf mit Rand» trägt, in den fröhlichen Farben ihrer Mäntel und Kleider, hält auf unnachahmliche Weise die Grenze zwischen Zugänglichkeit und Distanz ein. Ihr Lächeln oberhalb der obligaten dreireihigen Perlenkette scheint immer echt. Und dass sie Humor hat, bewies sie bei mehreren Gelegenheiten.
Eine davon war 2007 ein Staatsbesuch in den USA, als sie im Garten des Weissen Hauses nach Präsident George W. Bush eine Ansprache halten sollte. Das Rednerpult war allerdings so hoch, dass von der Queen nur der oberste Teil ihres Hutes sichtbar war. Doch sie sprach ungerührt weiter. Als sie am folgenden Tag im Kongress sprechen sollte, begann sie mit der staubtrocken vorgetragenen Bemerkung, sie hoffe, dass heute alle sie von ihren Plätzen aus sehen könnten. Und die TV-Welt staunte erfreut, als sie sich für die Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele in London in ihrem Büro im Buckingham-Palast vom britischen James-Bond-Darsteller Daniel Craig für einen Helikopterflug abholen liess. Flug und Absprung absolvierte allerdings ein Double.
Einmal allerdings verliess der Humor die Königin. In einer Rede nannte sie das Jahr 1992 ihr «annus horribilis». Drei ihrer vier Kinder liessen sich scheiden, und ihr geliebtes Schloss Windsor brannte. Und als 1997 Prinzessin Diana ums Leben kam und das ganze Land in Trauer versank, verliessen sie auch ihr Stil und ihr Instinkt. Sie liess sich erst auf Drängen von Premier Tony Blair herbei, nach London zurückzukehren und Trauer zu zeigen. Ein gravierender Fehler – die Monarchie schien am Ende. Doch sie hat den Turnaround geschafft, vor allem dank Enkel William und dessen junger Familie.
Das «Gloschli»
Im April 1980 führte Bunderat Willi Ritschard während des einzigen Staatsbesuches der Queen in der Schweiz ein neues Wort ins kollektive Bewusstsein ein. Er ärgerte sich über die mediale Aufmerksamkeit für das «Gloschli». Ritschard lieferte die Erklärung nach, es handle sich um einen Solothurner Ausdruck für weibliche Unterwäsche. Eine Majestätsbeleidigung für die Königin eines Landes, in dem diese unsichtbaren Kleidungsstücke im viktorianischen Zeitalter die «Unaussprechlichen» hiessen.
Dennoch gab es einen formellen Empfang nur für die Journalistinnen und Journalisten. Prinz Philip, der wie seine Frau gut Deutsch und Französisch spricht, zeichnete sich durch genaue Kenntnisse der Besitzverhältnisse der Medien aller einzeln vorgestellten Medienleute aus: «Ihre Illustrierte gehört dem Ringier-Verlag, nicht wahr?»
Die Queen nahm gnädig entgegen, dass ihr Bild auf dem Titelblatt an den Schweizer Kiosken der Bestseller sei, weil die Schweizer, die nie ein Königshaus hatten, sie auch als ihre Königin betrachteten. Aber spontan reagierte die Queen, die wir nach dem initialen «Your Majesty» mit «Ma'am» ansprechen sollten, erst auf die Frage nach ihrer Vorliebe für Pferderennen: «That's my hobby!» rief sie aus und hörte nicht mehr auf zu erzählen, weit über die Zeit hinaus, die vorgeschrieben war. Aber welche Journalistin würde es wagen, einer Königin ins Wort zu fallen?
Die Queen feiert ihren Geburtstag dreimal, einmal vor dem Palast mit Tausenden von Untertanen. Und dem Sender ITV ist es gelungen, sie für eine Live-Sendung Mitte Mai direkt aus dem Schloss Windsor zu gewinnen. Auch die Schauspielerin Helen Mirren, die im Film «The Queen» brilliant die Königin zur Zeit der Diana-Krise darstellte, wird dabei sein. Happy birthday, Ma'am, und vor allem: Many happy returns.