In der Nacht auf den 31. August 1997 ereignete sich eine Verkettung unglücklicher Zufälle, die rasch zu Verschwörungstheorien führte. Sie sind bis heute nicht verstummt. Viele Menschen, Bücher, Filme wollen noch immer glauben machen, dass Diana, Prinzessin von Wales, in jener Nacht ermordet wurde, auf Geheiss des britischen Königshauses, durch die unabhängige Entscheidung des Geheimdienstes MI6, durch religiöse Fanatiker oder wen oder was auch immer. Ermittlungen in Frankreich und England kamen zum Schluss, dass es ein gewöhnlicher Autounfall war, dem die Prinzessin zum Opfer fiel.
Tatsache ist, dass Prinzessin Diana in jener Nacht mit ihrem Freund Dodi Al Fayed, Sohn des ägyptischen Besitzers des Nobel-Warenhauses Harrods und des Pariser Nobel-Hotels Ritz, vom Ritz unterwegs war zu Dodis Privatwohnung. Der Sicherheitschef des Ritz fuhr den schweren Wagen, obwohl er mehr als dreimal so viel Alkohol im Blut hatte, wie gerade noch zulässig gewesen wäre. In der Alma-Unterführung prallte das Auto mit hoher Geschwindigkeit in einen Brückenpfeiler. Der Fahrer und Dodi Al Fayed waren auf der Stelle tot. Dianas Leibwächter überlebte mit schweren Verletzungen. Diana lebte noch, aber ihr war nicht mehr zu helfen. Sie starb um vier Uhr früh in einem Pariser Spital. Es ist auch unbestritten, dass mehrere Fotoreporter die berühmteste Frau der Welt wie immer verfolgten, auf Motorrädern, die aber trotz anfänglicher Beschuldigungen den Unfall nicht verursachten. Einige machten Bilder der tödlich verletzten Prinzessin, aber sie müssen wohl gewusst haben, dass niemand sie drucken würde.
Dodis Vater, ohnehin enttäuscht von der britischen Gesellschaft, die ihn trotz seines Geldes und seiner Besitzungen nicht akzeptieren wollte und ihm sogar die Staatsbürgerschaft verweigerte, argwöhnte, dass weder der Geheimdienst noch die Königsfamilie einen muslimischen Halbbruder für den Thronfolger Nr. 2 akzeptiert hätte. All dies gehört ins Reich der Spekulationen.
Viele Details des folgenden Geschehens waren typisch britisch, andere dafür ganz und gar nicht. Prinz Charles flog nach Paris, um den mit der britischen Flagge bedeckten Sarg von Prinzessin Diana heimzuholen, obwohl sie und der Thronfolger schon seit einigen Jahren nach öffentlichen Schlammschlachten geschieden waren. Doch die Königin und der Rest der Familie dachten nicht einmal im Traum daran, Dianas Tod öffentlich zu kommentieren oder gar die Sommerferien im schottischen Schloss Balmoral abzubrechen. Die junge Frau aus altem Adel war der Familie zwar als Gattin des Thronfolgers geeignet erschienen, aber trotzdem von Anfang an verhasst gewesen.
Diese Ehe war wirklich nicht im Himmel geschlossen worden. Lady Diana Spencer, dritte und jüngste Tochter des 8. Earl Spencer, gehörte zur Schicht adeliger Gören mit wenig Schulbildung und viel Geld. Sie zog nach dem Besuch mehrerer Internate, darunter eines in der Westschweiz, aus dem väterlichen Schloss Althorp in den britischen Pampas aus und bezog mit Freundinnen in London eine Edel-WG. Und sie arbeitete in allerlei Jobs, zur Zeit vor der Verlobung in einem Kindergarten in Pimlico. Unvergessen die Foto, die sie mit einem Kind auf dem Arm zeigt – die Sonne machte ihren züchtigen langen Rock durchsichtig und enthüllte ihre unendlich langen Beine. Damals hatten die Medien das neueste Date von Prinz Charles bereits «Lady Di» getauft.
Die kleine Lady war ziemlich sicher echt verliebt in Prinz Charles, und sie unterschätzte wohl dessen unauflöslich scheinende Bindung an seine Jugendfreundin Camilla. Sie bekam zur Verlobung einen riesigen Saphirring vom königlichen Hofjuwelier Garrard’s, aber sie benötigte zur Fixierung ihres Brautschleiers keine Leihgabe aus der königlichen Schatzkammer – sie trug lieber ein kostbares Familiendiadem, obwohl diese Familie die Grundsteine für ihre Verunsicherung gelegt hatte. Beim Brautkleid allerdings tat die eigentlich so stilsichere Diana den grössten modischen Fehlgriff ihres Lebens. Sie sagte später selber, sie habe ausgesehen wie eine Meringue-Torte. Aber sie schuf, nach der Trauung, auf dem Balkon von Buckingham Palace ein Ritual, das seither von allen royalen Hochzeitspaaren imitiert wird: Sie küsste ihren Prinzen vor aller Welt auf den Mund.
Auch Prinzen haben Freunde, mit denen sie zu Abend essen oder Wochenenden verbringen. Die neue Prinzessin von Wales hatte mit diesen Leuten, die wie ihr Ehemann mindestens eine halbe Generation älter waren als sie, nichts zu schaffen. Sie interessierte sich für Mode und Musik, aber sicher nicht für Polo-Ponies, Architektur oder biologischen Ackerbau, die Steckenpferde ihres Mannes. Aber nach der Geburt der Prinzen William und Harry («my spare», mein Ersatzteil, nannte sie den Zweitgeborenen) fand sie bald eine Rolle in de Wohlfahrt, die herkömmliche Grenzen durchbrach. Diana herzte aidskranke Kinder und zeigte damit, dass HIV durch Berührung nicht ansteckend ist. Sie vertrat voll Würde das Königshaus an der Abdankung von Fürstin Grace in Monte Carlo. Sie tanzte im Weissen Haus mit John Travolta. Es heisst, dass Charles eifersüchtig wurde, weil seiner Frau mehr Aufmerksamkeit zukam als ihm selber.
Auch privat brach Diana mit Tabus. Nicht nur versuchte sie, ihre Söhne so normal wie möglich aufwachsen zu lassen. Sie bekannte sich öffentlich zu ihrer Bulimie wegen ihrer unglücklichen Ehe, zu einem Selbstmordversuch, und sie suchte sich Affären, als Charles sich endgültig Camilla zuwandte. Sie wurde süchtig nach Fitness, aber sie liess ihre Abendkleider in New York für einen guten Zweck versteigern. Ein Enthüllungsbuch des Hofjournalisten Andrew Morton verursachte einen Skandal und erzielte ungeahnte Verkaufszahlen. Es war klar, dass die Informationen von ihr stammten. Unvergessen auch ein Interview, das sie, schwarz gekleidet und blass geschminkt mit ungewohnt schwarz umflorten Augen, der BBC gab. Darin prägte sie das Wort, das berühmt werden sollte – sie wolle lieber die Königin der Herzen als die Königin von England sein. Schliesslich verfügte die Queen die Scheidung des getrennten Thronfolgerpaares. Das Jahr, in dem auch die Ehre ihres zweiten Sohnes Andrew in die Brüche ging, nannte sie später ihr «annus horribilis».
Nun begann Dianas zweites Leben, noch immer Prinzessin von Wales, aber nicht mehr Königliche Hoheit, als wohlhabende alleinerziehende Mutter in Kensington Palace, als Geliebte, als modische, aber auch als gesellschaftspolitische Ikone. Nachdem sie ganz allein, nur von weitem fotografiert, mit Splitterschutz durch ein Minenfeld in Angola gegangen war, unterzeichneten mehr als 120 Staaten den Bann gegen Landminen. Es war nicht nur ein PR-Gag. Sogar geräumte Minenfelder sind unberechenbar.
Und dann starb sie mit 36 Jahren in Paris. In England brach eine kollektive Trauer-Welle los, die niemand erwartet hatte. Alle TV-Stationen der Welt zeigten das unendliche Blumenmeer vor Kensington und Buckingham Palace, weinende junge Menschen, zornige Schlagzeilen: «Wo bleibt unsere Königin?» Es wurde gefordert, auf Buckingham Palace eine Fahne auf Halbmast wehen zu lassen – nur weht dort ausschliesslich die königliche Standarte, wenn die Königin zu Hause ist und sonst nichts. Es schlug die Stunde des neuen Premiers Tony Blair, der die Trauer in Worte zu fassen vermochte: Sie sei die Prinzessin des Volkes (The People’s Princess) gewesen, sagte er vor dem Meer von Blumensträussen. Schliesslich musste sich die Königin dazu bequemen, wenigstens die Blumen vor ihrer kleinen schottischen Kirche zur Kenntnis zu nehmen und – mit grosser Verspätung heimzukehren, ihre Standarte auf Halbmast zu setzen und eine Ansprache ans Volk zu halten. Zumindest hat diese Verweigerung uns den hinreissenden Film «The Queen» mit Helen Mirren beschert, die dafür zu Recht einen «Oscar» bekam.
Die Abdankung in Wesminster Abbey soll ein Drittel der Weltbevölkerung live am Fernsehen verfolgt haben. Sie alle sahen das weisse Blumenherz auf dem Sarg, in dem ein Briefumschlag mit der Aufschrift «Mummy» steckte. Sie beobachteten, wie die Queen, ihre Schwester und ihre Mutter vor den Toren ihres Palastes mehr oder weniger tief die Köpfe in den schwarzen Hüten neigten, als der Sarg vorbeigefahren wurde, wie Charles mit seinen halbwüchsigen Söhnen, seinem Schwager und seinem Vater hinter dem Sarg her schritt. Sie hörten die wilden Anschuldigungen von Dianas Bruder und das für Diana abgewandelte Lied «Candle in the Wind» von Elton John in der Kathedrale. Die Söhne halten die Erinnerungen an Diana am Leben, zuletzt mit einem Konzert und einem Gottesdienst vor fünf Jahren («Sie war einfach die beste Mutter der Welt», sagte damals Prinz Harry). Und William schenkte seiner Frau Kate zur Verlobung den Saphirring seiner Mutter, den er für den Heiratsantrag nach Afrika mitgebracht hatte.