
Das Militärische, das Musikalische, das Poetische: Was prägt die Fasnacht? Erstmals «regiert» im Kölner Karneval ein queeres Dreigestirn: Die drei Männer, die den Prinzen, den Bauer und die Jungfrau darstellen, sind alle schwul. Treu den alten Bräuchen ist aber die Jungfrau Marlis weiterhin keine Frau. Sie ist die quirligste unter den drei Gekürten und treibt die Menschen in den Sälen temperamentvoll zum Singen und Schunkeln an.
Im Dreigestirn des Stadtteils Porz spielt hingegen eine wirkliche Frau die Jungfrau. Das nahm man in der Gesamtstadt bisher erst zweimal hin und nur unter Zwang: Die Nationalsozialisten duldeten 1938 und 1939 keinen Mann als Jungfrau, weil das zu sehr nach Homosexualität aussah, die die Nazis hassten und unterdrückten.
Köln ist eigentlich seit dem 11. 11. im Karnevalsfieber, dann begann die «Session», seit dann finden die «Sitzungen» statt: die Herrensitzungen, Prunksitzungen, Mädchensitzungen, Kostümsitzungen, die «Draumnaach em Jötzenich» (Traumnacht im Gürzenich), die kabarettistische, politisch alternative «Stunksitzung» (mit etwa 60 Aufführungen) oder die «Sitzung der fidelen Holzwürmer». Die Sitzungen sind Programme mit Bands, Tanzgruppen, Büttenreden und meist auch einem Auftritt des Dreigestirns. Doch erst an Weiberfasnacht, dem Donnerstag vor Aschermittwoch, verschob sich der Karneval von den Sälen in die Kneipen und auf die Strassen, dann gingen die tollen Tage los.
Das Fest der Gleichheit und der Gegenregierung
Sie gingen nicht nur in Köln los, sondern fast weltweit in katholischen Gegenden – in Deutschland, Belgien, Italien, Spanien, Brasilien, Österreich – und in der Schweiz. Hochburgen der katholischen Fasnacht in der Schweiz sind Luzern, Solothurn, Baden und Baar. Das Fest, das in den einen Gegenden Karneval, in den anderen Fasnacht oder Fasching heisst, ist alt und hat heidnische und christliche Wurzeln. Man will den Winter vertreiben, vor der 40-tägigen Fastenzeit noch einmal richtig feiern und vor allem: verkleidet hinter der Maske den Herrschenden die Meinung sagen. Fasnacht ist das Fest der Gleichheit, die bisherige Regierung ist vorübergehend abgesetzt, das Volk inthronisiert die «Herrschaft des Andern“» des Skurrilen. Und deshalb ernennt es in verschiedenen Städten einen eigenen Prinzen, der diese Gegen-Herrschaft verkörpert.
Den Brauch gab es in christlichen Herrschaftsgebieten überall, aber die Reformation rottete ihn aus, weil sie alles bekämpfte, was mit Lust und Laster verbunden war. Es gibt daher – wohl weltweit – nur zwei evangelische Gebiete, in denen die Fasnacht überlebt hat: die Region Basel und die Waadt. Dazu kommt Bern, das aber die Fasnacht erst 1982 eingeführt hat. In den reformierten Gebieten hält man sich mehr oder weniger an den alten, julianischen Kalender, und deshalb findet dort die Fasnacht erst nach Aschermittwoch statt. Während also die Kölner und die Luzerner bereits feiern, müssen die Basler den «drej scheenschte Däg» noch entgegenfiebern.
Köln, Luzern, Basel – was charakterisiert die Fasnacht in den drei Städten, was ist verschieden? Zunächst ist festzuhalten, dass Köln über eine Million Einwohner zählt, Basel aber 175‘000 und Luzern bloss 85’000, was erklärt, dass der Kölner Karneval in seinen Ausmassen die beiden anderen weit übertrifft und die Basler Fasnacht wiederum die Luzerner. So misst die Route für den Kölner Rosenmontagszug 7,5 Kilometer, der Zug dauert fast vier Stunden. Die Route für den Cortège in Basel ist 3 Kilometer lang, jene für den Umzug und den Monster-Corso in Luzern 2 Kilometer. Die Fasnacht, wie sie heute existiert, wurde im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt. In Köln gibt es das Festkomitee seit 1823, in Basel wirkt das Fasnachtscomité seit 1911 und das Schnitzelbank-Comité seit 1921, und in Luzern existiert das Fasnachtskomitee seit 1951.
Stadt der Guggenmusiken
Luzern ist die Stadt der Guggenmusiken. Wenn am Schmutzigen Donnerstag morgens um fünf Uhr nach dem Urknall in der dunklen Stadt die ersten Musiken zur «Fritschi-Tagwache» durch die Gassen marschieren und es in einem Crescendo immer mehr werden, bis die ganze Altstadt von Schränzen und Stampfen erfüllt ist, dann weiss man: Die Fasnacht ist lanciert. Der Schmutzige Donnerstag ist der Tag der Fritschi-Zunft (eigentlich Safran-Zunft), und deren Zunftmeister, der Fritschi-Vater, ist so etwas wie der Luzerner Prinz Karneval. Ihn umringt die Maskengruppe der Fritschifamilie. Der Güdismontag ist der Tag der Wey-Zunft mit einer eigenen Tagwache um sechs Uhr. An beiden Tagen ist der Nachmittag von farbenfrohen Umzügen geprägt, am Dienstagabend reihen sich 80 Guggenmusiken in den Monster-Corso ein. Der aktuelle Komitee-Präsident hat das inoffizielle Motto ausgegeben: «Mer ROCKed d Fasnacht», wobei der Wortbestandteil ROCK auf die Feminisierung der Fasnacht hinweisen soll.
Was aber die Luzerner Fasnacht vor allem ausmacht, sind die Nächte mit den vielen Konzerten der Guggenmusiken auf den kleinen Altstadtplätzen, auf der Rathaustreppe und in den Wirtshäusern, zu denen die Luzernerinnen und Luzerner tanzen. Die Aktiven sind mehrheitlich voll maskiert, das Publikum ist teilmaskiert, so dass sich ein fasnächtliches Zusammengehörigkeitsgefühl entwickelt von spielenden und tanzenden Menschen. Und die ganze Stadt dröhnt und bebt und ist erfüllt von Musik.
Stadt der Uniformierten und Pferde
Köln ist die Stadt der Traditionsgesellschaften wie der «Roten Funken», «Blauen Funken», «Ehrengarde», «Bürgergarde Blaugold», «Prinzengarde», «Reiterkorps Jan von Werdt» oder «Treuer Husar blau-gold» mit ihren Uniformierten, ihren Blas- und Trommelkapellen, ihren Tanzgruppen und ihren Pferden. Am Rosenmontagszug marschieren 500 Pferde mit. Die einzelnen Züge sind etwa zehnmal so lang wie eine Basler Fasnachtsclique. In Köln sind die Aktiven und das Publikum kostümiert, aber die wenigsten verdecken ihr Gesicht. Die Akteure sind also identifizierbar, und sie werden an den Sitzungen auch mit ihrem Namen vorgestellt, ganz anders als in Basel, wo viele Schnitzelbänkler für das Publikum anonym bleiben.
Die Kölnerinnen und Kölner können während der tollen Tage, die dieses Jahr unter dem Motto «FasteLOVEnd – Wenn Dräum widder blöhe» (Wenn die Träume wieder blühen) stehen, den «Wieverfastelovendzoch» (Weiberfasnachtszug), den Sternmarsch von 44 Veedelsvereinen, die etwa 60 Veedelszüge (Umzüge in den Stadtvierteln), den Geisterzug und die Nubbelverbrennung in der Nacht auf Aschermittwoch erleben. Was den Kölner Karneval ganz besonders macht, sind die «Kölsche Leeder» (die kölnischen Lieder), von denen es eine ganze Menge gibt, die die verschiedenen Bands an den Sitzungen intonieren und die das Publikum mit Inbrunst mitsingt, etwa «Ich bin e kölsche Jung». In solchen Momenten haben viele Tränen in den Augen.
Stadt der Trommler und Pfeifer
Wie Köln kennt auch Basel viele Veranstaltungen vor den eigentlichen tollen Tagen: Meist handelt es sich um Aufführungen mit Sketches, Schnitzelbänken, Trommel- und Pfeifervorträgen, letztlich um eine Mischung von Musik und Cabaret. Sie heissen «Charivari», «Mimösli», «Pfifferli», «Drummeli», und sorgen dafür, dass das Fasnachtsfieber steigt.
Basel, das dieses Jahr die Fasnacht unter dem Motto «Syg wie de wotsch» begeht, ist die Stadt der Trommel- und Pfeifercliquen. Getrommelt wird zwar auch in Luzern und in Köln, und Piccolos gibt es ebenso in den Kölner Musikkorps. Aber diese virtuos ziselierten Trommelstücke und Piccolo-Melodien, die zu einem langsamen Marschtempo gespielt werden, das gibt es nur in Basel.
Dieses Spiel kommt besonders zum Ausdruck, wenn am Montag nach Aschermittwoch morgens kurz vor vier Uhr die riesige Menschenmenge in den Gassen und auf den Plätzen total verstummt, die Uhr vier Uhr schlägt und in der ganzen Stadt etwa 60 Fasnachtscliquen gleichzeitig, aber nicht sekundengenau den Marsch «Morgenstreich» intonieren. Die Cliquen zirkulieren auf individuellen Routen durch die Altstadt, kreuz und quer, bis es Tag wird. Sie sind am Montag- und Mittwochnachmittag im Cortège unterwegs und abends beim «Gässle». Was der Fasnacht in der Nacht ein spezielles Gepräge gibt, sind die grossen, künstlerisch bemalten und dem Sujet der jeweiligen Clique gewidmeten Lampions, «Ladärne» genannt. Und zu allem hinzu kommt die Poesie: Auf den «Ladärnen», auf den von den Cliquen, Wagen und Guggenmusiken verteilten «Zeedeln» und durch die Schnitzelbänke, die für Basel typischen, gesungenen Spottverse. Die Aktiven in Basel sind voll maskiert, das Publikum aber geht in Zivil, die Menschen geniessen die Fasnacht, die Euphorie wird verinnerlicht. Hier kommt das Protestantische zum Ausdruck.
Das Gemeinsame ist das Lachen
Die Fasnachten in der Schweiz haben zwar voneinander profitiert: Die erste Guggenmusik wurde in Luzern 1947 von einem Basler gegründet. Und die katholischen Arbeiter aus der Innerschweiz, die von der Basler Industrie angezogen wurden, haben im 19. Jahrhundert die Basler Fasnacht gerettet, weil sie unbedingt trommeln wollten. Dennoch hat jede Fasnacht ihr Charakteristisches: In Luzern ist es das Musikalische, in Basel das Poetische, in Köln das Militärische. Zwar ist auch die Fasnacht in Luzern und in Basel vom Militärischen geprägt, denn auch die Guggenmusiken und die Cliquen brauchen eine Aufstellung und ein Kommando. Aber in Köln, wo man die preussischen Truppen verulkt, ist das Militärische besonders präsent: Die Traditionsgesellschaften tragen Uniformen als Kostüm, sie haben sogar das Gewehr dabei, und derjenige, der das Tanzmariechen hochstemmt, ist der Tanzoffizier.
Richtig im Element sind die Menschen in Luzern, wenn sie tanzen, in Köln, wenn sie singen, und in Basel, wenn sie still geniessen. Und überall, wenn sie lachen.
Der Autor Roger Blum studierte in Basel, arbeitete in Luzern und lebt seit 15 Jahren in Köln.