2014 hat es schon einmal einen Streit zwischen den von Saudi-Arabien und den Emiraten angeführten Golfsaaten und Qatar gegeben. Schon damals versuchten die anderen Golfstaaten, Qatar zu einer Revision seiner Aussen- und Informationspolitik zu drängen, um sie in Gleichklang mit jener der übrigen Golfstaaten zu bringen. Der neue Streit, der soeben ausgebrochen ist, dreht sich um die gleichen Belange. Doch er ist ungleich heftiger als der alte. Damals begnügten sich die Golfstaaten damit, ihre Botschafter aus Qatar abzuziehen. Qatar ging einige kleinere Konzessionen ein, und die Botschafter kehrten nach zehn Monaten zurück.
Der neue Streit begann nicht nur mit einem Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Die drei Golfstaaten – Saudi-Arabien, Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate – schlossen zudem ihre Grenzen, Lufträume und Häfen für Qatar. Sie forderten die in ihren Ländern lebenden Bürger von Qatar auf, innerhalb von zwei Wochen auszureisen. Auch Ägypten brach die diplomatischen Beziehungen ab, verzichtete jedoch auf die weitergehenden Schritte der drei Golfstaaten. Kuwait und Oman, die beide auch zum Golf-Kooperationsrat gehören (zusammen mit den drei erwähnten Staaten und mit Qatar) verhielten sich zunächst still. Vielleicht werden sie, wenn die Zeit dafür reift, vermittelnd einschreiten.
Hauptstreitpunkte: Muslimbrüder und Iran
Worum geht es? Zusammenfassend gesagt darum, dass Qatar eine eigene Aussenpolitik betreibt, die von jener der Saudis und der Emirate sowie Bahrains abweicht. Als es im Gefolge der arabischen Demonstrationen und Umwälzungen in Ägypten und Tunesien zu Wahlen kam, welche die Muslimbrüder gewannen – Mursi in Ägypten und Ghannouchi in Tunesien errangen Mehrheiten –, versuchte Qatar die Muslimbrüder zu fördern. Der Begriff „islamische Demokratie“ schien zukunftsträchtig.
In Qatar selbst befanden sich einige der bekanntesten Prediger dieser Tendenz, und sie wurden vo „Al-Jazeera“, dem einflussreichen Sender Qatars, gerne und häufig zitiert. Qatar gab auch Geld, um den Muslimbrüdern zu helfen, sowohl dort, wo sie an die Macht gekommen waren, wie auch in Staaten, wo sie versuchten, ihre Politik der „islamischen Demokratie“ voranzubringen. Dazu gehörten 2011 und im folgenden Jahr Libyen, Syrien und auch Jemen. Die Türkei Erdogans setzte wie Qatar auf die „islamische Demokratie“ sowie auf die Brüder und suchte deren Politiker zu unterstützen.
Wacklige Legitimität der Königshäuser
Saudi-Arabien jedoch unter König Abdullah (er regierte 2005–2015) sah die „islamische Demokratie“ und die Brüder als eine Gefahr für das Königreich. Nicht ohne Grund, denn wenn die Idee einer islamischen Demokratie sich durchsetzen sollte, würde der saudischen Monarchie ihre „islamische“ Legitimität entzogen. Wenn es sich als möglich erwies, gleichzeitig gute Muslime zu sein und in einem demokratischen Regime zu leben, wozu benötigte in diesem Fall die saudische Bevölkerung ihr Königshaus? – König Abdullah und die Herrscherfamilie von Abu Dhabi, ebenfalls uneingeschränkt absolute Herrscher, betrachteten daher die Muslimbrüder, die auch in ihren Ländern über Einfluss verfügten, als Gegner, die es auszuschalten galt.
Das bahrainische Königshaus musste bei Saudi-Arabien Schutz suchen, als 2011 Demonstrationen in Manama ausbrachen. Saudische Truppen marschierten ein, um das Königshaus abzusichern. In der Folge schloss Bahrain sich den beiden anderen Staaten an, obgleich es bei ihm nicht um „islamische Demokratie“ im Sinne der – sunnitischen – Brüder ging, sondern eher um „islamische Demokratie“ in Anlehnung an Iran. Die Mehrheit der Bevölkerung Bahrains sind Schiiten, doch das Herrscherhaus und seine Regierungen sind sunnitisch.
Angst der Emirate vor Muslimbrüdern
In Ägypten brach die islamische Demokratie der Brüder zusammen. Das Nachfolgeregime des Generals und späteren Präsidenten as-Sissi schritt zu deren Verfolgung. Die Gefahr, dass die Muslimbrüder auch in Riad zum Zuge kommen könnten, war praktisch gebannt. Der neue König Salman sah die Brüder nicht mehr als eine immanente Gefahr für das Königreich.
Doch in den Emiraten glaubten die Sicherheitsbehörden Ansätze zu einer Verschwörung der Brüder zum Sturz des Regimes entdeckt zu haben. Sie wurden dort streng verboten und ihre Führung gefangengesetzt. Qatar hielt seinerseits die Verbindungen zu den Brüdern aufrecht, auch nachdem Mursi gefallen war. Geld aus Qatar floss weiter an syrische Kampfgruppen, die den Brüdern nahestanden; an politische Parteien und Milizen der gleichen Tendenz in Tripolis; nach Gaza, wo Hamas die Macht ausübte, eine Partei, die aus der Bruderschaft hervorgegangen war.
Sympathien „Al-Jazeeras“ für die Brüder
Der einflussreichen Fernseh- und Radiostation „Al-Jazeera“ wurde vorgeworfen, sie mache von Qatar aus Propaganda für die Bruderschaft. Dass sie Sympathien für die Muslimbrüder zeigte, trifft tatsächlich zu. Der auf Ägypten spezialisierte Zweig des Senders wurde verboten und einige seiner Korrespondenten in Ägypten eingekerkert. Was der Sender aus Qatar nicht stillschweigend hinnahm.
Für mehrere Anführer der Bruderschaft, die aus Ägypten flohen, wurde Qatar zum Asyl und „al-Jazeera“ zum Sprachrohr. Saudi-Arabien entwickelte seinen eigenen pan-arabischen Fernsehsender, „al-Arabiya“, als Gegenpol zum qatarischen „al-Jazeera“. Als der Streit von 2014 beigelegt wurde, versprach Qatar, es werde die Anhänger der Bruderschaft nicht mehr gleich prominent in seinen Medien auftreten lassen wie bisher.
Iran: Feind oder Partner?
Doch nun ist ein zweiter Streitpunkt in den Vordergrund gerückt: Iran. Qatar hat ein sehr handfestes Interesse daran, Streit mit Iran zu vermeiden. Das riesige Offshore-Erdgasfeld, aus dem Qatar seinen Reichtum zieht, liegt teils in den Küstengewässern Qatars, teils in jenen Irans. Die beiden Staaten teilen sich in seine Ausbeutung. Qatar hat die Gasförderung in seiner Hälfte zielstrebig vorangetrieben.
Iran hingegen hatte Schwierigkeiten mit seiner Erdgasindustrie, teilweise oder vielleicht auch hauptsächlich wegen der schlechten Beziehungen zu den USA seit 1979, als die amerikanischen Botschaftsangehörigen in Teheran als Geiseln genommen wurden. Später wirkte sich zusätzlich der Uno-Boykott wegen der Nuklearfrage belastend aus.
Von Trump ermutigt
Ein Streit mit Teheran wäre für Qatar ein Risiko, das an den Lebensnerv des Kleinstaates rühren könnte. Qatar sucht daher Ausgleich und Versöhnung mit Iran. Saudi-Arabien und die Emirate gehen auf Konfrontation. In Jemen führt Saudi-Arabien einen zerstörerischen Krieg (der den Belangen von IS und al-Kaida in Jemen nützlich ist), weil Riad in den Huthis ein Instrument iranischer Expansion sehen will. In Syrien steht Saudi-Arabien hinter Teilen des Widerstands gegen Asad, während Iran wiederum Asads Regime entscheidend stützt. Der Umstand, dass Saudi-Arabien auf beiden Kriegsschauplätzen seine Ziele bisher verfehlt hat, trägt zur Erbitterung gegen Iran bei.
Der Besuch Präsident Trumps in Riad, wo er und sein Aussenminister die Vorstellungen der Saudis über Iran als „Hauptunruhestifter im Nahen Osten“ voll bestätigten und ihrerseits unterstrichen, dürfte die Saudis ermutigt haben, einen neuen Vorstoss zu unternehmen, um Qatar von seiner politischen Linie abzubringen.
„Fake News“ als politisches Instrument
Die Methode, die das Königreich und die Emirate gewählt haben, um ihr Ziel anzupeilen, kann man als höchst zeitgemäss im schlechtesten Sinne des Wortes bezeichnen: Sie verwendeten „Fake News“. Die Website der offiziellen Nachrichtenagentur Qatars veröffentlichte am 30. Mai eine Meldung, nach welcher der Emir des Landes, Tamim bin Hamed Al Thani, bei einer Graduierungsfeier von Offizieren eine Rede gehalten habe, in der er die Iran-Politik seiner Nachbarn kritisiert und sich dafür ausgesprochen habe, mit Iran Zusammenarbeit statt Feindschaft zu suchen. Die Agentur erklärte jedoch am Tag darauf, ihre Website sei gehackt worden, und diese Rede habe nie stattgefunden. Die betreffende Meldung verschwand von der Website.
Dass es sich wirklich um einen Eingriff von aussen handelte, scheint zuzutreffen. Es gibt viele Augenzeugen, die erklären, der Emir habe der Feier beigewohnt, aber keine Rede gehalten. Es soll auch Videoaufnahmen der Zeremonie geben, ohne eine Rede des Emirs.
Pressekampagne nach Falschinformation
Doch die weitgehend staatlich kontrollierten Medien im Königreich und in den Emiraten weigerten sich, das Dementi Qatars entgegenzunehmen. Manche verschwiegen es, andere sprachen davon, erklärten es jedoch für unglaubwürdig. Darauf folgte eine Pressekampagne gegen Qatar, die ohne Zweifel von oben her angeordnet worden war. Die Artikel und Sendungen prangerten den Störenfried und Verräter Qatar unisono an, er handle zugunsten des Feindes Iran und der Muslimbrüder. Das Land unterstütze den Terrorismus usw.
Bei der genauen Kontrolle, die beide Staaten über ihre Medien ausüben, ist es undenkbar, dass eine solche Kampagne ohne Weisungen von oben zustande kommen könnte. Der Abbruch der Beziehungen und die Schliessung der Grenzen erfolgten unmittelbar nach dieser Kampagne. Qatar wurde auch aus der von Saudi-Arabien gegründeten Anti-Terror-Koalition entfernt, die alle sunnitischen Staaten gegen Iran und gegen die Huthis im Jemen zusammenzuschliessen versucht.
Für USA heikel
Für Washington kommt der Streit ungelegen, nicht nur weil Trump soeben die Chefs der Golfstaaten, die in Riad versammelt waren, einschliesslich Qatars, ermahnt hat, gegen Iran zusammenzuarbeiten. Auch weil Bahrain eine amerikanische Marinebasis im Golf beherbergt, während sich in Qatar, das nun mit Bahrain im Streit liegt, die vorgelagerte Luftwaffenbasis befindet, von der aus die amerikanische Koalition ihre Bombardierungen gegen den IS im Irak und in Syrien koordiniert. Qatar hat auf die Boykottierung des Landes durch seine nächsten Nachbarn zunächst kühl reagiert. Es handle sich, so verlautete, um einen Versuch das Land „zu bevormunden“.