Das Schweizer Parlament hat diese Woche Einschränkungen des Schutzstatus S für ukrainische Flüchtlinge beschlossen. Alles andere als ein Solidaritätssignal für die von Putins Streitkräften mörderisch attackierte Ukraine. Bei der «Konferenz für den Frieden» zugunsten der Ukraine im Juni auf dem Bürgenstock waren von Schweizer Seite ganz andere Töne beschworen worden.
Mit 96 zu 87 Stimmen bei fünf Enthaltungen hat der Nationalrat diese Woche die vom Ständerat zuvor schon im Sommer akzeptierten Einschränkungen des Schutzstatus S für die Flüchtlinge beschlossen. Diese sehen vor, dass der Bundesrat den Schutzstatus künftig nur ukrainischen Flüchtlingen zugestehen soll, die ihren Wohnsitz in von Russland besetzten oder in umkämpften Gebieten haben.
«Umkämpfte» und «nicht umkämpfte» ukrainische Regionen
Flüchtlinge aus anderen ukrainischen Regionen können zwar immer noch Asylanträge stellen, doch wird ihnen der Schutzstatus S anders als bisher nicht mehr automatisch zuerkannt. Wie die internen Grenzlinien in der Ukraine zwischen umkämpften und nicht umkämpften Regionen definiert werden sollen, entscheiden offenbar die am Asylverfahren beteiligten Behörden. Vernünftige oder glaubwürdige Lösungen dürften da kaum zu finden sein. Denn wie man in den letzten Tagen und Wochen lesen, hören und sehen konnte, werden Städte und industrielle Einrichtungen überall in der Ukraine mit russischen Raketen angegriffen.
Eine Änderung zum bisherigen Status S betrifft die Einschränkung für Flüchtlinge, regelmässig in ihre Heimat und wieder zurück in die Schweiz zu reisen. Hätte man sich mit dieser einigermassen verständlichen Massnahme begnügt, gäbe das Herummanipulieren am Schutzstatus S wenig Anlass, sich darüber zu aufzuregen.
Andere Länder sind grosszügiger
Seit Beginn des russischen Überfalls im Februar 2022 sind um die vier Millionen Ukrainer ins Ausland geflüchtet. In der Schweiz leben heute rund 66’000 ukrainische Flüchtlinge mit dem Status S. Im Vergleich mit anderen Nachbarn ist das eine ziemlich bescheidene Zahl für eines der reichsten Länder Europas. In der kleinen, bitterarmen Republik Moldau, die allerdings direkt an ukrainisches Territorium grenzt aber nur 2,6 Millionen Einwohner zählt, leben heute fast doppelt so viele ukrainische Flüchtlinge.
In Polen, Tschechien, und Estland beträgt der Anteil dieser Flüchtlinge über 20 pro tausend Einwohner. In der Schweiz liegt er laut einem Bericht in der NZZ bei 8. Auch unsere Nachbarn Deutschland, Österreich und Liechtenstein haben relativ zur Bevölkerung deutlich mehr ukrainische Flüchtlinge aufgenommen.
Zur Rechtfertigung der jetzt beschlossenen Einschränkung des Schutzstatus wird von den Befürwortern im bürgerlichen Lager (SP und Grüne sowie Teil der Mitte-Partei stimmten gegen die knappe Entscheidung) gern darauf hingewiesen, dass auch der Nato-Staat Norwegen vor kurzem ähnliche Massnahmen verfügt habe. Das stimmt, doch muss man dabei berücksichtigen, dass Norwegen mit 85’000 ukrainischen Flüchtlingen bezogen auf die Bevölkerungszahl einen deutlich höheren Anteil aufweist als die Schweiz.
Keine überzeugende Begründungen
Man mag es drehen und wenden wie man will – die Verengung des bisherigen Status-S-Privilegs für ukrainische Flüchtlinge gerade zum jetzigen Zeitpunkt, bei dem die Ukraine von den russischen Invasoren rücksichtsloser denn je attackiert wird, ist kein Beweis für die vielbeschworene Solidarität mit diesem bedrängten Land, sondern vielmehr ein Signal für Engherzigkeit und Geiz. Zumindest von jenen FDP-National- und Ständeräten, die sich zur Unterscheidung von der nationalisolationistischen SVP-Konkurrenz gerne als weltoffene Liberale darstellen, hätte man eigentlich ein anderes Abstimmungsverhalten erwartet.
Es ist nicht zu bestreiten, dass die Unterbringung dieser Flüchtlinge, ihre temporäre Integration, die Suche nach geeigneten Arbeitsplätzen und die sprachliche Verständigung mancherorts ernsthafte menschliche und finanzielle Schwierigkeiten aufwirft. Und an einigen Stammtischen mögen süffige Anekdoten von luxuriösen SUV-Fahrzeugen mit ukrainischen Nummern zur pauschal geltenden Realität stilisiert werden.
Doch sind das überzeugende Gründe, um gegenüber der Ukraine und ihren von Putin in die Flucht gejagten Einwohnern solche unübersehbaren Zeichen der Zurückhaltung und bröckelnder Geduld auszusenden? Sicher nicht für ein wohlhabendes Land wie die Schweiz, das sich gerne auf seine humanitäre Tradition beruft und oft genug den eigenen historischen Kampf gegen imperiale Tyrannen zelebriert. Und liefert die neutrale Schweiz mit solchen Gesten anderen europäischen Nachbarn, die mit diesen Problemen ebenfalls konfrontiert sind, nicht ein willkommenes moralisches Alibi, um bei der Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge ebenfalls die Bremse anzuziehen?
Keine Helme und Schutzwesten für die Zivilbevölkerung
Es gibt noch andere unverständliche Beispiele mangelnder schweizerischer Hilfsbereitschaft mit der bedrängten Ukraine. Dass unser Land keine Waffen für die Verteidigung der Ukraine liefert, kann man mit unserem Neutralitätsstatus noch halbwegs erklären – aber eben nur halbwegs, denn laut Uno-Charta ist die militärische Unterstützung für ein angegriffenes Land grundsätzlich erlaubt.
Völlig unbegreiflich aber bleibt, dass im Parlament ein Vorstoss in diesem Jahr zur Lieferung von Schutzwesten und Schutzhelmen für die Zivilbevölkerung in der Ukraine torpediert wurde. Der Nationalrat hatte zuvor eine entsprechende Motion noch knapp angenommen. Doch der Ständerrat hat sie am 23. September klar abgelehnt, womit die Initiative vom Tisch gefegt war. Unter anderen hanebüchenen Argumenten wurde von den Gegnern mit der Idee gefochten, es sei nicht auszuschliessen, dass diese für zivile Zwecke bestimmten Helme und Schutzwesten über Umwege an Armeeangehörige gelangen könnten. Schäbigere Ausreden, um der überall in der Ukraine von russischen Raketeneinschlägen bedrohten Bevölkerung praktische Hilfsmittel zu verweigern, dürften schwer zu finden sein.