Das Kunstmuseum St. Gallen ist mit zwei mehr als bloss lokalen Problemen konfrontiert: mit einem zugeschobenen und einem hausgemachten. Letzteres erleichtert die Lösung des Ersteren nicht, nämlich der professionelle und ethisch korrekte Umgang mit einem Hodler-Bild aus der Serie «Stockhornkette mit Thunsersee», das während der Nazi-Diktatur unter bedrückenden Umständen von einem jüdischen Sammler verkauft werden musste.
Bern als Vorbild
Was anfänglich nur ein enger Kreis wusste, fand über das Schweizerische Handelsamtsblatt den Weg in die breitere Öffentlichkeit, weil der Ostschweizer Korrespondent der NZZ vor Weihnachten die Meldung kunsthistorisch einzuordnen verstand.
Am vorläufigen Ende einer betrüblichen und heiklen Geschichte steht das Kunstmuseum St. Gallen noch ohne Lorbeeren da. Es muss sich die Souveränität, die das Kunstmuseum Bern mit der Erbschaft Cornelius Gurlitt im Grossen bewies, im Kleinen erst noch aneignen.
Argloser Kauf
Der Breslauer Unternehmer Max Silberberg, den die Nazis als Juden in den wirtschaftlichen Ruin trieben, war ab 1935 zur Überlebenssicherung gezwungen, seine herausragende Kunstsammlung, darunter auch Ferdinand Hodlers «Stockhornkette mit Thunersee», zu veräussern, und zwar mutmasslich weit unter Wert. Silberberg kam 64-jährig im Ghetto Theresienstatt oder im KZ Auschwitz zu Tode.
Ohne Kenntnis dieses Hintergrundes erwarben der damalige St. Galler Regierungsrat und Nationalrat Simon Frick und seine Frau Charlotte, beide inzwischen verstorben, 1985 bei Kornfeld in Bern den fraglichen und inzwischen millionenteuer gewordenen Hodler.
Die neuen Eigentümer legten ein Jahr später schriftlich fest, es seien die «Stockhornkette» und zwei weitere Werke Hodlers sowie zwei Gemälde von Giovanni Giacometti und je eines von Cuno Amiet, Max Gubler und Félix Vallotton in eine Stiftung einzubringen und von dieser dem Kunstmuseum St. Gallen als Leihgaben zu überlassen.
Unerfüllbarer Stiftungszweck
Im Sinne von Simon und Charlotte Frick errichteten deren Erben am vergangenen 14. November die geplante Stiftung, in deren Zweckartikel es heisst, die genannten Gemälde seien «leihweise und unentgeltlich der Stiftung St. Galler Museen zu Handen des Kunstmuseums für die allgemeine Besichtigung auf unbeschränkte Dauer zur Verfügung zu stellen, damit durch diese Bereicherung das Interesse unseres Volkes am Kunstmuseums weiterhin gefördert wird». Präzisierend hält die Urkunde fest, es sei «der Stiftungsrat dafür besorgt, dass die Bilder der Stiftung stets der öffentlichen Besichtigung zugänglich sind».
Das klingt generös und einfach, ist in Wahrheit aber so kompliziert, dass der Stiftungszweck wegen Hodlers «Stockhornkette mit Thunersee» vorläufig nicht erfüllt werden kann.
Die Schwiegertochter Max Silberbergs, die in England lebende und 2013 verstorbene Gerta Silberberg, wandte sich 2001 vergeblich mit der Bitte an Simon Frick, die vermögensrechtlichen Aspekte im Zusammenhang mit der «Stockhornkette» zu klären. Dazu kam es bis heute nicht. Die Interessen Gerta Silberbergs vertritt ein gleichnamiger Discretionary Trust.
Saumselig und wortkarg
Auf den NZZ-Artikel und die ebenfalls kritischen Nachfragen von Journal 21 reagierte das Kunstmuseum St. Gallen dürr und dürftig: Einerseits mit der Wiedergabe des Stiftungszweckes und anderseits mit dem aus der Luft gegriffenen und später zurückgenommenen Tadel, die Medien hätten die Stiftungsurkunde falsch gelesen.
Fürs St. Galler Tagblatt stieg Museumsdirektor Roland Wäspe vom hohen Ross der Informationsverweigerung und erklärte, es müsse mit den Rechtsnachfolgern der Silberbergs gesprochen werden. Das wäre nach dreizehn Jahren in der Tat dringlich. Für die lange Dauer der Untätigkeit fehlt jede brauchbare Antwort. Das rückt sowohl die Frick-Erben als auch das Kunstmuseum, dessen Chef im Stiftungsrat sitzt, in der Sache und hinsichtlich der Kommunikation in ein wenig schmeichelhaftes Licht.
Noblesse statt juristische Haarspalterei
Das muss niemanden stören, der sich mit juristischer Breitnackigkeit auf die «Richtlinien der Washingtoner Konferenz in Bezug auf Kunstwerke, die von den Nazis konfisziert wurden» beruft und betont, die Restitutionsregelungen aus dem Jahr 1998 würden lediglich für Raubkunst gelten und mithin nicht für den Hodler.
In einem ähnlich gelagerten Fall verzichtete die Stiftung Bündner Kunstsammlung auf rechtliche Haarspaltereien und öffnete im «Washingtoner Geist» einen gerechten, fairen und allseitig akzeptierten Ausweg.
Ein solcher ist auch St. Gallen zu empfehlen. Der Präsentation eines Gemäldes selbst mit einem bloss hauchdünnen braunen Schleier haftet Unehrenhaftes an. Es geht nicht habsüchtig um die "Stockhornkette mit Thunersee", sondern um eine noble Lösung mit Anstand.