Eigentlich wissen wir es doch: Was ich tue, beeinflusst alles Leben heute und in Zukunft. Ein intaktes Ökosystem ist Voraussetzung für eine bessere Lebensqualität. Die Kreislaufwirtschaft steht hier im Fokus.
Seit 12 Jahren schreibe ich sporadisch zum Thema Nachhaltigkeit. Die erzielten Fortschritte auf diesem Gebiet lassen sich sehen. Ist dem tatsächlich so? Gianni Aperto, Präsident der aee suisse (Dachorganisation der Wirtschaft für erneuerbare Energien und Energieeffizienz) beantwortet diese Frage folgendermassen: «Ob man Nachrichten als gut oder schlecht empfindet, ist eine Frage der Perzeption. Grundsätzlicher Wandel geht in kleinen Schritten vorwärts. Erst wenn du 30 Jahre zurückschaust, bemerkst du, wie weit wir gekommen sind …»*
Definition Nachhaltigkeit
Noch immer streitet sich die Wissenschaft darüber, wie die moderne Definition des Nachhaltigkeitsbegriffs im deutschen Sprachraum lauten soll. Während der englische Begriff «Sustainability» den Unterschied zum früheren «lang andauernd» längst klargestellt hat, wird hierzulande kein Unterschied zwischen den verschiedenen Definitionen von Nachhaltigkeit und «lang andauernd» sichtbar.
Hier die ursprüngliche Version des Brundtland-Berichts der Vereinten Nationen von 1987: «Humanity has the ability to make development sustainable – to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future generations to meet their own needs.» (frei übersetzt: «Nachhaltige Entwicklung gewährt, dass künftige Generationen nicht schlechter gestellt sind, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, als gegenwärtig lebende.»
Viele Firmen rühmen ihr nachhaltiges Geschäftsgebaren
Echt nachhaltiges Verhalten ist zu wichtig, um als billige Propaganda missbraucht zu werden. Es ist deshalb ein verräterischer Image-Polierer, wenn sich genau jene Unternehmen ihres nachhaltigen Gebarens rühmen, bei denen sich letzteres auf eine kleine Nische bezieht. Es genügt vollkommen, den Begriff Nachhaltigkeit zu googeln, um festzustellen, dass z. B. Grossbanken, Baukonzerne, Branchenverbände, Grossverteiler, Milchproduzenten, Rohstoffkonzerne (!), Kreuzfahrtunternehmen nichts unterlassen, um ihre Nachhaltigkeitsbilanz optisch aufzuwerten.
Finanzprofessor Markus Leippold (UZH) meint im Interview in der NZZ, dass die heutige tiefe Finanzkompetenz der Endkunden in Sachen Nachhaltigkeit diese Menschen anfällig mache für Fehlinformationen. Und der neue Chef der Finma, Urban Angehrn, doppelte, ebenfalls in einem Interview in der NZZ, nach: «Das Greenwashing-Problem ist real.» An einem Beispiel erklärte er, was damit gemeint ist: So beschrieben Anbieter einer kollektiven Kapitalanlage diese als nachhaltig, ohne dass eine nachhaltige Anlagestrategie verfolgt würde.
Kreislaufwirtschaft: Wir lernen dazu
Der Idee der Kreislaufwirtschaft anstelle der Wegwerfwirtschaft gehört zweifellos die Zukunft. Denn mit rund 700 kg Abfall pro Person und Jahr weist die Schweiz eines der höchsten Siedlungsabfallaufkommen der Welt auf. Was ist unter Kreislaufgesellschaft zu verstehen? Wiederverwenden statt Wegwerfen.
Netzwerk für Kreislaufwirtschaft: «Circular Economy Switzerland»
In den letzten Jahren sind in der Schweiz verschiedene Projekte im Bereich Kreislaufwirtschaft ins Leben gerufen worden. Eine Vielfalt an privaten Unternehmen und öffentlichen Organisationen verfolgen mit kreativen Lösungsansätzen und innovativen Initiativen das Ziel, die Schweizer Wirtschaft zirkulärer zu gestalten. Nun gilt es, diese zahlreichen Aktivitäten und Akteure zusammenzubringen, Synergien zu nutzen und der Kreislaufwirtschaft in der Schweiz Schub zu verleihen.
Das Netzwerk Circular Economy Switzerland (https://circular-economy-switzerland.ch/) informiert auf seiner Homepage darüber, wie es mit verschiedenen Projekten und Anlässen eine neue, schweizweite Bewegung für Kreislaufwirtschaft bewirkt. Circular Economy Switzerland versteht sich dabei als Koordinations- und Austauschplattform und ist offen für weitere Initiativen im Bereich der Kreislaufwirtschaft. Die Kreislaufwirtschaft (Circular Economy) bietet im Vergleich zum linearen Wirtschaftsmodell und dem damit einhergehenden Ressourcenverbrauch eine nachhaltigere Zukunftsperspektive.
«Die Kreislaufwirtschaft ist ein Modell, das eine ressourcenbasierte und systemische Sichtweise einnimmt (…) und der Gesellschaft dazu dient, das Wohlergehen innerhalb der planetaren Grenzen zu erreichen.» Ziel der Kreislaufwirtschaft ist die Gestaltung eines Systems, in dem möglichst wenig Ressourcen auf effiziente Art und Weise mit höchstmöglichem Wert in so geschlossenen Kreisläufen wie möglich wiederkehrend genutzt werden. «Güter und Dienstleistungen werden mit erneuerbarer Energie produziert und sind aus Materialien hergestellt, die entweder durch biologische Prozesse erneuerbar sind oder sicher in Kreisläufen gehalten werden können, was eine minimale Rohstoffextraktion erfordert und eine sichere Entsorgung der unvermeidlichen Abfälle und Verteilung in der Umwelt gewährleistet.»
Wer mehr über diese Pionieridee erfahren will, findet auf der Homepage eine Liste der laufenden Projekte. Interessierte können auf der Website die Charta von Circular Economy Switzerland unterzeichnen.
Die «Ellen MacArthur Foundation»
Seit zehn Jahren geht die Ellen-MacArthur-Stiftung (ellenmacarthurfoundation.org/) das Problem der heutigen Abfall- und Wegwerfgesellschaft auf internationaler Ebene an. Wir lesen auf ihrer Homepage: «The circular economy is a systems solution framework that tackles global challenges like climate change, biodiversity loss, waste, and pollution» (Die Kreislaufwirtschaft ist eine Systemlösung, welche die globalen Herausforderungen wie Klimaerwärmung, Verlust der Biodiversität, Abfall und Umweltverschmutzung bekämpft). Interessierte Unternehmen können der Community beitreten – viele laufende Projekte sind auf der Homepage gelistet.
(By the way: Ellen MacArthur schrieb 2005 Segelgeschichte, als sie als erste und schnellste Frau die Erde umsegelte. Sie ist noch heute die erfolgreichste Seglerin Englands.)
Schweizer Start-ups
DePoly SA: Dieser Schweizer Start-up (depoly.ch) nimmt sich des Problems der Wiederverwertung gebrauchten Plastiks (PET) an, indem dieser in seine ursprünglichen Bestandteile zurück zur Wiederverwertung zerlegt wird.
Auch die Firma Enespa AG in Appenzell macht mit einem neuen Verfahren einen kleinen Schritt in Richtung weltweiter Lösung der Plastikabfallflut. In Zusammenarbeit mit Biofabrik Technologies GmbH in Dresden plant sie ein Verfahren, in dem Kunststoffabfälle in einer ersten Phase auf ca. 400 Grad erhitzt und anschliessend im Destillationsprozess zu hochwertigem Paraffinöl als Ersatz zum herkömmlichen Rohöl verarbeitet werden. Interessierte können sich über Obligationen und/oder Aktien am Unternehmen beteiligen.
Hitachi Zosen Inova, Zürich
Einer Publikation von Smart Media entnehmen wir am Beispiel der Firma Hitachi Zosen Inova, Zürich (hz-inova.com), interessante Beispiele aus der Tätigkeit dieses Schweizer Cleantech-Unternehmens. Seine «Energy-from-Waste» (EfW)-Technik fokussiert auf die Rückgewinnung der in den Abfällen enthaltenen Wertstoffe wie Metalle und Salze, die hygienische, sichere Entsorgung nicht recycelbarer Abfälle sowie die konstante Erzeugung regenerativer Energie. Dadurch können Abfalldeponien abgebaut/vermieden werden, was zu einer Reduktion der Treibhausgase führt. Diese Technologie sichert die umweltfreundliche Umwandlung von Abfall in Energie, die ins Netz eingespeist wird und viele Haushalte mit Strom oder Erdwärme versorgt.
Zusätzlich ergänzen Biogas-Anlagen, in denen aus biogenen Abfällen zum Beispiel Biogas gewonnen wird, die Angebotspalette: Dieses Biogas wird nach Aufbereitung zu Biomethan ins Netz eingespeist, um als Kraftstoff zur Betankung von erdgasbetriebenen Fahrzeugen zu dienen. Das breite Technologieportfolio, konstante Forschung und Weiterentwicklung in den Bereichen EfW, Biogas und «Power-to-Gas» zeichnet das Unternehmen mit rund 1000 Mitarbeitenden (davon 600 in der Schweiz) aus. Ein wichtiger Beitrag zur Kreislaufwirtschaft.
Was unternimmt das Parlament?
Die Vorschläge zur geplanten Revision der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die Kreislaufwirtschaft gehen der Bewegung «Circular Economy Switzerland» zu wenig weit. Sie ist der Meinung, mit dieser Revision müssten die Weichen für den Wandel von einer Recycling- zu einer Kreislaufwirtschaft gestellt werden, so wie es in vielen Nachbarländern der Fall sei. Dies sei umso wichtiger, als es im Interesse des Wirtschafts- und Produktionsstandortes Schweiz sei, der sich durch seine hohe Qualitätsorientierung auszeichne.
Patagonia trifft den Nerv der Zeit
Laut dem WWF kauft jede Person in der Schweiz pro Jahr zwanzig Kilo neue Kleidung. Die globale Modeindustrie stellt eine der grössten Umweltbelastungen für unseren Planeten dar: pro Jahr 2,1 Milliarden Tonnen Abfall und gleichzeitig 1,7 Milliarden Tonnen CO2 («Zukunftsbeweger», Globalance).
Patagonia, Inc. ist ein in Ventura (California) ansässiger Hersteller von Outdoor-Bekleidung, gegründet 1973. Das Unternehmen erwirtschaftete im Jahr 2020 ca. eine Milliarde Dollar Umsatz. Dabei beschäftigt es Stand 2019 ca. 1500 Mitarbeiter. Seit jeher hat sich die Firma zum Ziel gesetzt, die Umwelt zu schützen. Am medienwirksamsten dürfte das neue Recycling-Programm sein, bei dem die Firma ihre Kund*innen ermutigt, nicht neue Produkte zu kaufen, sondern ihre getragenen gegen andere gebrauchte Kleider einzutauschen. Auf ihrer Website «Worn Wear» können Kleidungsstücke zurückgegeben werden, dafür gibt’s einen Gutschein für ein anderes gebrauchtes oder neues Produkt.
Laut einer Umfrage des Wirtschaftsmagazins «Forbes» bevorzugen besonders junge Generationen nachhaltige Unternehmen und sind gewillt, etwas mehr für diese Produkte auszugeben (Patagonia Partner Store in Zürich).
Sustainable Switzerland
Ende 2021 lancierte die NZZ eine themenspezifische Dialogplattform mit dem Ziel, die nachhaltige Entwicklung der Schweizer Wirtschaft sichtbar zu machen und einen Mehrwert für die Gesellschaft als Ganzes zu schaffen (sustainableswitzerland.ch). Sustainable Switzerland unterstützt und fördert die Agenda 2030 und das Pariser Klimaabkommen 2050. Damit wird gemeinsam mit einer engagierten Schweiz ein Beitrag an eine lebenswerte Zukunft geleistet.
Mit der Plattform sollen möglichst viele Menschen in der Schweiz erreicht werden. Sie sollen wahrnehmen, was zum Thema Nachhaltigkeit alles unternommen wird, was die Wirtschaft macht und bewegt. Die Idee umfasst Nachhaltigkeitsziele in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft, Umwelt. Gute Sache, wir können gespannt sein.
*Hans-Rudolf Zulliger: «Gaias Vermächtnis», rüffer & rub, 2018, 204 Seiten