Geld von jemandem geliehen zu bekommen, der es nicht selbst braucht, damit schon heute eine Wertschöpfung für morgen finanziert wird, die der Wertschöpfende aus eigenen Kräften nicht anstossen könnte, ist eine der besten Ideen, die dem wirtschaftenden Menschen eingefallen sind. Hier kommt reine Geldgier – ich will an zukünftigen Profiten partizipieren – mit edlen Werten wie Vertrauen – ich vertraue darauf, dass ich normalerweise mindestens mein Geld wieder zurückkriege – zusammen.
Konkursverschleppung
Im normalen Geschäftsleben bekommt eine Firma ein echtes Problem, wenn ihr Schuldenstand den eigenen Wert deutlich übersteigt oder in krassem Missverhältnis zum Jahresumsatz steht. Handelt es sich um eine Bank, reicht schon das erste Kriterium, damit sie die Bücher deponieren muss. Sie darf kein sogenanntes negatives Eigenkapital haben.
Bei allen anderen Unternehmen regelt normalerweise die Risikoprämie Zins die Zukunft. Schwindendes Vertrauen in die Überlebensfähigkeit führt zu steigenden Schuldzinsen. Findet die Firma nicht mal mehr neue Gläubiger, die bereit sind, Geld zu geben, damit wenigstens die Schuldzinsen bezahlt werden können, dann ist aus die Maus. Haben die Inhaber einer Aktiengesellschaft Kenntnis von einer solchen Überschuldung oder gar Zahlungsunfähigkeit, machen aber trotzdem weiter, spricht man von strafbarer Insolvenzverschleppung.
Alles anders bei Staaten
Bei Staaten ist das alles ein wenig anders. Sie müssen keine Bilanzen vorlegen, also Aktiva und Passiva ausweisen. Damit fehlt schon die Grundlage dafür, beurteilen zu können, ob sie die Bücher deponieren, also Staatsbankrott erklären müssten. Und dann verfügen sie noch über etwas, das kein anderer Wirtschaftsteilnehmer hat: eine eigene Gelddruckmaschine namens Notenbank.
Gedeih und Verderb einer nationalen Volkswirtschaft hängen in einer globalisierten Welt nicht zuletzt von der Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Markt ab. Die kann unter anderem mit dem Wert der eigenen Währung gesteuert werden. Eine Abwertung macht Exportprodukte billiger, Importe allerdings teurer. Diese Möglichkeit fällt weg, wenn sich Staaten zu einer Währungsunion zusammenschliessen. Sie ist von Anfang an eine Fehlgeburt, wenn sie nicht mit einer Koordination der Fiskal-, Steuer- und Sozialpolitik einhergeht. Genau, wir sprechen vom Euro.
Alles gleich im Euroraum
Alleine das Euro-Land Deutschland hat Staatsschulden von 2,14 Billionen Euro, dicht gefolgt von Italien (2,12) und Frankreich (1,99). Beeindruckende absolute Zahlen, die man mangels Staatsbilanzen nur mit dem BIP, also dem jährlichen Bruttoinlandprodukt, korrelieren kann. Da näheren sich die 18 Eurostaaten insgesamt einer Verschuldungsquote von 95 Prozent, gefolgt von den 28 EU-Staaten mit rund 90 Prozent. Insgesamt schieben die Euroländer einen Schuldenberg von über 11 Billionen Euro vor sich her. Erschwerend kommt noch dazu, dass wir hier nur von den sogenannten expliziten Schulden sprechen. Während in jeder normalen Bilanz im Geschäftsleben auch versprochene zukünftige Zahlungen ausgewiesen werden müssen – sonst ist’s Bilanzbetrug –, weisen Staaten ihre Rentenversprechen, zukünftigen Sozial- und Gesundheitskosten nicht aus.
So hatte Irland, als Extrembeispiel, im Jahre 2010 «offizielle» Staatsschulden in der Höhe von 92 Prozent des BIP. Dazu kamen aber versteckte Schulden von, kein Tippfehler, weiteren 1'405 Prozent. Auch Deutschland hat zusätzlich zu den ausgewiesen Schulden weitere 109 Prozent des BIP auf der Verpflichtungsseite.
Trio infernal der Schuldenwirtschaft
Da es auch dazu keine brauchbare Finanztheorie, kein Modell gibt, kann man nur mit empirischen historischen Vergleichen arbeiten, wenn man herausfinden will, ab wann Staatsschulden unbezahlbar werden. Es ist zumindest erwiesen, dass sie ab 80, nach anderen Rechnungen 90 Prozent des BIP schädliche Auswirkungen haben, um es sanft zu formulieren.
Nun haben wir seit Jahren Nullzinsen, also Gratis-Geld für Staaten, und das in beliebigen Mengen, wobei die Notenbank zum Hauptgläubiger wird. Neben allen anderen schon beschriebenen schädlichen Auswirkungen führt das dazu, dass nicht nur die Risikoprämie Zins ausgehebelt ist, sondern auch der mindestens so wichtige Faktor «Vertrauen in Rückzahlung». Denn die Notenbank ist kein normaler Darlehensgeber. Sie hat weder Gewinninteressen, noch spricht sie Kredite auf Vertrauensbasis.
Daraus entsteht ein Trio infernal: Notenbank stellt Geld her und verleiht es umsonst, Staaten begeben Schuldpapiere ohne Deckung, Banken kaufen die und hinterlegen sie als Sicherheit bei der Notenbank. Als Nebeneffekt koppeln sich die Börsen völlig von der Realität ab, und es entstehen Blasen aller Orten, zum Beispiel im Immobilienbereich. Wahnsinn und Irrsinn gleichzeitig.
Banken als schwächstes Glied
In diesem absurden Geschäftsmodell, Geld von der linken Tasche in die rechte und zurück, gibt es wie überall ein schwächstes Glied. Das ist nicht die Notenbank und meistens auch nicht der Staat. Aber die Banken. Während in den USA nach der Finanzkrise eins immerhin kräftig aufgeräumt wurde, Banken hops gingen oder zwangsfusioniert und rekapitalisiert wurden, wanken in Europa bis heute eine Grosszahl von sogenannten Zombiebanken herum.
Das sind Geldhäuser, die eigentlich schon längst hätten abgewickelt werden müssen, wie vor kurzem die portugiesische Bank «Espiritu Santo» mal wieder unter Beweis stellte. Zu den neusten Streichen des Präsidenten der EZB, Mario Draghi, wurde hier schon das Nötige gesagt. Schön auch, dass der hier für die EZB geprägte Begriff Bad Bank von einigen Medien aufgenommen wurde.
Was aber noch hinzuzufügen ist: Wieso hat Draghi ausgerechnet diesen Zeitpunkt gewählt, um den Leitzins von lächerlichen 0,15 Prozent auf lachhafte 0,05 Prozent zu senken und Aufkaufprogramme im Volumen von bis zu 1000 Milliarden Euro anzukündigen? Weil bislang alles nichts genützt hat, um Europa aus der Wirtschaftskrise in einen Konjunkturaufschwung zu führen? Das auch, aber selbst Draghi weiss, dass die Fortsetzung einer erfolglosen Geldpolitik nicht viel Hoffnung bietet, diesmal würde sie nun aber funktionieren.
Vorherhsehbarer Stresstest
Im Oktober werden die Ergebnisse des nächsten europäischen Bankenstresstests bekanntgegeben. Die 124 wichtigsten Banken werden von der European Banking Authority und, na so was, der EZB durchleuchtet und überprüft, wie anfällig sie auf eine weitere Wirtschaftskrise reagieren würden. Nachdem sich der erste Stresstest 2011 als veritabler Flop erwies, weil die meisten Annahmen so gewählt wurden, dass möglichst viele Geldhäuser den Test bestehen, ist es diesmal zumindest ansatzweise anders.
Neben einigem anderen ist bei diesem neuen Test die Höhe des Eigenkapitals der Banken entscheidend. Lassen wir die Voodoo-Arithmetik beiseite, nach der er berechnet wird. Seit der Vorstellung des neuen Tests im Mai dieses Jahres ist klar, dass diverse Banken einen dringenden Rekapitalisierungsbedarf haben. Sie müssen ihr Eigenkapital aufstocken, Geld aufnehmen. Nicht auf Kredit, sondern als Investition in den Wert, den sie darstellen. Die Ergebnisse dieses Stresstests sind der EZB natürlich intern schon bekannt ...
Das Problem
Selbst der finanztechnische Laie muss nicht lange überlegen, wenn er die Frage beantworten sollte: Würdest du gerne Bankaktien kaufen, vor allem von Instituten, die gelinde gesagt wackelig dastehen? Was dem Laien klar ist, ist institutionellen Anlegern und grossen Hedge Fonds nicht unklar. Die Antwort ist Nein. Eben aus gleich zwei Gründen. Erstens für faktisch Risikoprämie Null in Form von Zinsen nicht. Zweitens aus mangelndem Vertrauen, das Geld wieder zurückzukriegen, erst recht nicht.
Woher sollen die Banken dann das Geld bekommen? Ein Banküberfall kommt eher nicht in Frage, der freie Kapitalmarkt gibt’s auch nicht her. Woher also nehmen und nicht stehlen? – Na, so ein Zufall aber auch: Hat die EZB nicht angekündigt, Hilfe zu spenden? Wenn schon nicht mit direkten Kapitalspritzen, dann durch Bilanzverkürzung, indem Banken ihre Schrottpapiere aus dem Derivatezoo bei der EZB abladen können und deshalb mit viel weniger Eigenkapital unterlegen müssen. Simsalabim, auch so wird aus zu wenig genug, ein weiterer Zaubertrick.
Die Lösung
All dieses Gehampel, Zaubertricks, Voodoo-Geldpolitik oder wie immer man es nennen will, löst aber das grundsätzliche Problem nicht. Die weiterhin real existierenden Staatsschulden sind zwar damit refinanzierbar, aber unbezahlbar und hängen, bei einer Staatsquote von durchschnittlich 50 Prozent am gesamten BIP, der Volkswirtschaft wie ein Mühlstein am Hals. Da nützt der gute Ratschlag: Jetzt fang endlich an zu kraulen und mach Konjunktur, du schwimmst doch in Geld, überhaupt nichts.
Sind Altschulden unbezahlbar geworden, liegt die Risikoprämie bei Null und fehlt das Vertrauen des Investors, dass er sein Geld wieder zurückkriegt, dann machen neue Schulden keinen Sinn. Sie würden erst wirken, nachdem ein Schuldenschnitt, notfalls ein Staatsbankrott, stattfand. Dann aber, bei anständigem Zinsniveau und Rückführung der Aufgaben der Notenbank auf ihren eigentlichen Zweck, wären sie wunderbar. Ach ja, der Euro müsste natürlich auch abgeschafft werden, wenn man schon dabei ist, aufzuräumen.
Daran führen kein Weg und auch kein Umweg vorbei. Umwege haben zudem die fatale Nebenwirkung, dass Verzögerung das Problem weder löst noch wenigstens gleich hält, sondern verschlimmert. Ohne Schuldenschnitt kann man Volkswirtschaften noch so mit Gratisgeld und perversen Aufkaufprogrammen der Notenbank überschütten, es nützt nichts. Eine Fortsetzung führt alternativlos ins Desaster. Nur weiss niemand, wie viel Zeit vergehen wird, bis der letzte Umweg abgeschritten ist. Es versteht allerdings langsam auch keiner mehr, wieso das so schwer zu verstehen sein soll.