Sie nennen ihn „The World’s Greatest Lover“, „Sex Symbol“, „Eternal Don Juan“. Sein Freund Michael Romano schreibt: „Er war wie ein Meteor, der die Welt erleuchtete und dann im Weltall verschwand.“
Seine Beerdigung endet in einer Massenhysterie. Hunderttausend kommen, vor allem Frauen. Die polnische Schauspielerin Pola Neri wirft sich auf seinen Sarg und bricht zusammen.
Angebetet, verehrt
Vor 125 Jahren, am 6. Mai 1895, wird Rudolph Valentino in Apulien geboren. Mit 31 Jahren stirbt er in Manhattan. Er war einer der begehrtesten Stummfilm-Stars seiner Zeit. Und er war eine Beute der Boulevard-Presse.
Die Frauen beteten ihn an, aber mit Frauen hatte er wenig Glück. Doch beginnen wir von vorn.
„Ohne einen Penny“
Geboren wird er im apulischen Castellaneta. Mit richtigem Namen heisst er Rodolfo Alfonso Raffaello Pierre Filiberto Guglielmi di Valentina d’Antonguella. Mit einem solchen Namen macht man in den USA keine Karriere. „Guglielmi“ können die Amerikaner nicht aussprechen. So nennt er sich Rudolph Valentino. Für seine Freunde und seine Frauen ist er „Rudy“.
In Italien besucht er eine Landwirtschaftsschule in Genua, doch er will hinaus, zunächst nach Paris, dann in die USA.
„Ich wollte Ruhm“
1913 trifft er in New York ein. „Ich war arm, ohne Freunde, ohne einen Penny ... Ich wusste nicht, was aus mir wird“, schreibt er in sein Tagebuch.*) „Die Amerikaner sagten wohl, oh, da kommt ein anderer armer Italiener nach Amerika.“
Doch er will mehr als nur reich werden. „Ich wollte Ruhm. Ich wollte Liebe. Ich wollte, dass mein Name um die ganze Welt geht.“
Seine erste Stelle als Gärtner in Long Island endet mit einem Rauswurf. So schläft er auf Parkbänken, beginnt zu betteln und wird zum Tramp.
„Taxi Dancer“
Seiner Mutter in Apulien schreibt er von den stets Kaugummi-kauenden Amerikanern. „Sie kauen, kauen und kauen ... Amerikaner müssen zur Wiederkäuer-Familie gehören.“
Schliesslich engagiert ihn der italienische Restaurant-Besitzer Joe Pani als Tänzer in seinem Lokal. Für 50 Dollar die Woche tanzte er mit Joan Sawyer, einer Tänzerin und Geschäftsfrau. Später wird er im Maxim’s als „Taxi Dancer“ angestellt. Einsame Frauen dürfen für 10 Cents einige Minuten mit ihm tanzen.
Die reiche Chilenin
Schon früh kriegt er wegen einer Frau Probleme. Er unterhält eine Beziehung – welcher Art auch immer – mit der reichen chilenischen Erbin Blanca de Saulles. Sie ist mit dem Geschäftsmann John de Saulles unglücklich verheiratet. Während der Scheidung sagt Valentino gegen de Saulles aus. Dieser lässt seine Beziehungen spielen und bringt Valentino für kurze Zeit ins Gefängnis. Später erschiesst Blanca ihren früheren Ehemann. Valentino flüchtet an die Westküste.
In San Francisco überzeugt ihn der Schauspieler Norman Kerry, eine Filmkarriere zu beginnen. Er erhält kleinere Rollen in kleineren Filmen.
Ausgesperrt in der Hochzeitsnacht
1919 heiratet er, und zwar die lesbische Schauspielerin Jean Acker. Sie wirft ihn in der Hochzeitsnacht aus dem Hotelzimmer und sperrt die Tür zu. Die Ehe wird drei Jahre später geschieden.
Beruflich hat er mehr Glück. Der später berühmte französische Kameramann Paul Ivano und die Drehbuchautorin June Mathis fördern ihn. 1921 spielte er die Hauptrolle in „The four horsemen of the Apocalypse“, ein Riesenerfolg. Zum ersten Mal spielt ein Film mehr als eine Million Dollar ein.
Während der Dreharbeiten zum B-Film „Uncharted Seas“ trifft er die Kostümdesignerin und Schauspielerin Natacha Rambova. Sie wird sein Leben verändern. Doch noch ist es nicht so weit.
Jetzt kommt der Durchbruch. Valentino spielt die Hauptrolle in dem Film „The Sheik“. Er handelt von einer jungen englischen Touristin (Agnes Ayres), die die arabische Wüste kennenlernen will. In einer Oase trifft sie einen einflussreichen, jungen Scheich. Der ist fasziniert von ihrem frechen Gebaren – und vergewaltigt sie. Das wird im Film nur angedeutet. Schliesslich verliebt sie sich in ihn, und er rettet sie aus den Händen einer Bande, die durch die Wüste zieht.
Der 86 Minuten lange Stummfilm katapultiert Valentino in die Schlagzeilen. Jetzt hat er den Ruhm, den er so anstrebt. Jetzt ist er „The silent film icon“.
Der Film hat einen peinlichen Schluss. Da küssen und liebkosen sich der Scheich und die Engländerin. Doch im rassistischen Amerika der Zwanzigerjahre ist es verboten, dass eine Weisse einen Araber küsst. So heisst es plötzlich am Schluss des Filmes, der arabische Scheich sei in Wirklichkeit kein Araber – sondern ein Engländer mit spanischer Mutter. Alles ist gut.
Nicht-gesprochene Sprache
Der 99 Jahre alte Stummfilm besticht durch seine ästhetische Filmsprache. Wir sind uns heute an schnell geschnittene Szenen gewöhnt. Im „Sheik“ sehen wir lange, gepflegte, gut ausgeleuchtete Einstellungen.
In Stummfilmen stehen die Schauspieler vor einer besonderen Herausforderung. Ihre Sprache ist die Mimik und Gestik. Das führt dazu, dass die Darsteller oft leicht theatralisch wirken. Valentino beherrscht diese „nicht-gesprochene Sprache“ perfekt. Er rollt mit den Augen, wirft den Kopf zurück, verzieht den Mund. Der Film spielt über anderthalb Millionen Dollar ein.
Nun heiratet Valentino die schöne Natacha, die eigentlich Winifred Shaughnessy heisst. Doch wieder ein Rückschlag. Valentino wird wegen Bigamie verurteilt und kurzzeitig festgenommen. Er hat nach der Scheidung von Jean Acker nicht ein Jahr gewartet, wie es das Gesetz vorschreibt. Ein Jahr später heiraten die beiden zum zweiten Mal, diesmal legal.
Jetzt ist er weltbekannt. Die beiden unternehmen eine Europareise, während der er Tagebuch führt. Als sie London besuchen, warten tausend junge Frauen und Männer bei strömendem Regen die ganze Nacht auf ihre Ankunft.
Überall werden sie frenetisch empfangen. In London logieren sie im Hotel Carlton, und zwar im Zimmer, in dem die belgische Königsfamilie, aber auch Clemenceau, Briand und andere Grössen wohnten. Valentino gibt Zeitungen täglich 30, 40, 50 Interviews. Die High Society lädt ihn ein. Natacha kauft drei Pekinesen, die sie dann nach Amerika bringen will.
Fett und halbnackt
Auch in Paris werden sie von der Crème de la Crème empfangen. Sie hausen im teuersten Hotel der Stadt: im Palace Athénée.
Immer wieder schreibt er in seinem Tagebuch über Frauen. Die amerikanischen Mädchen seien schöner als jene in England oder Frankreich. Und: „Die schönen Pariser Frauen, die man in den Hochglanzmagazinen sieht, existieren nicht“, schreibt er. Die „Folies Bergère“ sind ein Reinfall. „Es lohnt sich nicht, die Girls anzuschauen ... sie sind fett und halbnackt ... Nacktheit ist das schönste auf der Welt, nicht aber wenn du Fettpolster siehst.“ Und wieder: „Die bestaussehenden Frauen sind die Amerikanerinnen, niemand kann sie schlagen.“
Die Zöllner kennen ihn nicht
Nach Paris folgt Nizza, wo Natachas Eltern ein Schloss besitzen, das sie von einem russischen Prinzen gekauft haben. Und dann: Italien. Rudy will seiner Frau sein Heimatland zeigen. Valentino ist erstaunt, dass ihn die italienischen Zöllner an der Grenze nicht erkennen. Seine Filme wurden hier offenbar noch nicht gezeigt.
Wieder Empfänge und noble Einladungen in Mailand, Bologna und Florenz. Einige der Adligen, die ihn hofieren, sind Freunde von Mussolini. Doch den Duce hat er nicht gesehen. „Meine Zeit hier ist so kurz, dass mir dieses Vergnügen verwehrt blieb“, schreibt er.
Madonnenhafte Frauen
In Rom mag Natacha nicht mehr; sie kehrt zurück nach Nizza. Sie ist erschöpft und hasst Rudys schnelle Autofahrerei. Er leidet unter der Trennung. „Wenn eine Ehe harmonisch ist, dann stört eine Trennung mehr als sie nützt“, schreibt er.
Und wieder: Tagebucheinträge über Frauen, diesmal über italienische. „Ich liebe die Madonna in den Frauen. Die schönsten Frauen in Italien sind madonnenhaft.“ Doch dann: „Die jungen italienischen Frauen sind ausserordentlich schön, dann heiraten sie, werden fett und lassen sich gehen.“ Auch von der italienischen Mode hält er wenig: „Die Italienerinnen wissen nicht, wie man sich kleidet. Sie wirken antiquiert und unmodern.“
Nach der Abreise von Natacha fährt er nach Apulien: nach Castellenata, wo er aufgewachsen ist. Trotz emotionaler Begegnungen mit früheren Freunden und Bekannten: Italien ist ihm fremd geworden.
Herrschsüchtige Natacha?
Er kehrt zurück nach Nizza, wo er Natacha trifft und mit ihr in die USA zurückreist.
Seine Freunde mögen Natacha nicht. Sie bezeichnen sie als herrschsüchtig. Ihr wird nun verboten, bei den Dreharbeiten seiner Filme dabei zu sein. Er wehrt sich nicht dagegen, was sie erzürnt. Das ist der Anfang vom Ende.
Pomadisierte Haare
Die Frauen verehren Valentino, die Männer weniger. Sein sanftes Gesicht, seine pomadisierten Haare, seine Dandy-hafte Kleidung entsprechen nicht dem Ideal des amerikanischen Draufgängers. Ein Journalist der Chicago Tribune bezeichnet ihn als „feminisiert“ und homosexuell. Seine vielen Frauenabenteuer deuten nicht gerade auf Homosexualität hin.
Nun droht sein Stern zu sinken. Zwei Filme sind Flops. Dazu kommen emotionale Probleme. Es ist das Jahr, in dem sich Valentino und Natacha scheiden lassen. Jetzt hofft er mit einer Fortsetzung des „Sheiks“ an seinen früheren Ruhm anknüpfen zu können. Das gelingt. In „Der Sohn des Scheichs“ übertrifft er sich. Er war noch nie so gut. Der Stummfilm wird als „kulturell, historisch und ästhetisch bedeutend“ ins Nationale Filmregister der Library of Congress aufgenommen.
Doch Rudy kann den Ruhm nicht mehr geniessen. Im Hotel Ambassador in Manhattan bricht er zusammen. Er stirbt am 23. August 1926 an den Folgen eines perforierten Magengeschwürs. Zwei Wochen später findet die Uraufführung von „Der Sohn des Scheichs“ statt.
Die Beerdigung wird zum Spektakel. Hundert berittene Polizisten versuchen, die hysterische Menge in Schach zu halten. Pola Neri (Bild), die polnische Schauspielerin, die sich auf seinen Sarg wirft, behauptet, sie hätte sich mit Valentino verlobt. Davon weiss niemand etwas.
Mussolini soll eine vierköpfige Garde zu Ehren des Toten nach New York geschickt haben. Jetzt erweisen ihm alle die letzte Ehre, auch die Männer. Showgrössen, Politiker, Wirtschaftsleute, die Schönen und die Reichen – sie alle kommen in die Saint Malachy’s Roman Catholic Church in Manhattan.
Er kam nicht
Dann wird der Sarg per Zug nach Kalifornien gefahren, wo in Beverly Hills eine zweite Abdankung stattfindet. June Mathis, die ihn gefördert hatte, stellt dem Toten die Krypta zur Verfügung, die sie für ihren inzwischen verschiedenen Mann gekauft hatte. Jetzt liegt Valentino auf dem „Hollywood Forever Cemetery“ in Hollywood.
Schnell kommen Verschwörungsgeschichten auf. Die aufgebahrte Leiche sei ein Double, heisst es. Viele Frauen, die ihm Liebesbriefe geschickt hatten, glauben, er sei nicht tot; er wolle nur dem Rummel entfliehen, um dann zu ihnen zu kommen. Sie warteten lange. Er kam nicht.
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*) Rudolph Valentino: My Private Diary (mit Michael Romano) Kindle
Baltasar Fernández Cué: The True Rudolph Valentino, Parnassus House LLC
The Sheik, Stummfilm, 1921, 86 Minuten
The Son of the Sheik, Stummfilm, 1926, 68 Minuten