Der Tenor ist klar: Ein schwacher Mann steht da an der Tür zum Élysée. Er wird es nicht können, heisst es. Er wurde gewählt, weil man die andern nicht wollte. Er hat keine Visionen, keine Erfahrung – er, der Elitesprössling aus reichem Haus, der Investmentbanker bei Rothschild, der die Ängste und Probleme der Franzosen nicht kennt.
Es stimmt, Macron geht mit vielen Handicaps an den Start. Seine Gegnerschaft ist riesig, eine starke Partei im Rücken hat er nicht. Und gewaltige Probleme, die Hollande nicht lösen konnte, warten auf ihn.
Und doch ist es seltsam: Da kritisiert die halbe Welt die verkrustete Politkaste. Und da kommt endlich ein Junger – und was tut man? Man wirft ihm vor, jung zu sein und keine Erfahrung zu haben. Und: Auch wenn er eine Elite-Universität besucht hat und Investment-Banker war: Muss das zwangsläufig heissen, dass er nur für die Elite politisiert, wie ihm viele schon vorwerfen?
Stöbert man in Macrons Biografie, findet man Überraschendes. Ein jetzt am französischen Fernsehen gezeigter Dokumentarfilm *) zeigt einen ziemlich resoluten Mann, der weiss, was er will, der äusserst selbstkritisch ist und der zuhören kann. Hollande konnte das nicht, Sarkozy schon gar nicht. Der französische Journalist Stéphane Bern erzählt: „Wenn ich Hollande, Sarkozy, Juppé, Valls oder Le Pen die Hand schüttle, schauen sie mich nicht an, der Blick ist schon weitergewandert. Wenn mir Macron die Hand gibt, blickt er mir in die Augen.“
Wichtig wird nun sein, wen er als Premierminister ernennt und wen er von den untergehenden Bürgerlichen und Sozialisten ins Boot ziehen kann. Entscheidend ist aber auch: Geht er auf die Sorgen und die Nöte der nicht privilegierten Massen ein, nimmt er diese Leute konkret ernst?
Schon oft sind Präsidenten angetreten, denen man nichts zutraute. Ronald Reagan wurde als läppischer Schauspieler bezeichnet – und wurde ein wichtiger Präsident. Und umgekehrt: François Hollande erhielt viele Vorschusslorbeeren – und versagte.
Die Gefahr, dass Macron scheitert, ist gross. Aber sollte man ihm nicht zuerst einmal eine Chance geben, bevor man ihn zerlegt?
*) „Emmanuel Macron, les coulisses d’une victoire“ von Yann L’Hénoret