26 Jahre lang hatte der Waffenstillstand zwischen Armenien und Aserbaidschan im Konflikt um Berg-Karabach (Nagorni Karabach) weitgehend gehalten, seit Ende September ist davon aber kaum noch etwas übriggeblieben. Und auch die in Moskau verkündete neue Waffenruhe gibt wenig zu hoffen: Sie wurde bereits diverse Male gebrochen und eine erfolgversprechende Lösung des Konflikts ist weiterhin nicht in Sicht.
Heute vielleicht noch weniger als in den letzten Jahren. Denn mehr denn je sind heute eine Vielzahl von Interessen und interessierten Parteien im Spiel. Nicht etwa feinsäuberlich in zwei Lager getrennt, sondern in verwirrender Weise untereinander vermischt und vermengt. Und wie die Entwicklungen der letzten Jahre fast überall auf der Welt nur allzu deutlich gezeigt haben: Die Gefahr einer Eskalation über die Grenzen der direkt Beteiligten ist bedrohlich angewachsen.
Teheran bleibt skeptisch
So mussten sich Armenien wie Aserbaidschan bereits beim benachbarten Iran dafür entschuldigen, dass man „versehentlich“ auch iranisches Territorium beschossen habe. Beide Kontrahenten versprachen, dies künftig zu verhindern. In Teheran bleibt man aber skeptisch: Offiziell ist zu hören, dass solches nicht hingenommen werden könne, und man hat offenbar bereits die Sicherheitsvorkehrungen entlang der iranischen Nordgrenze verstärkt.
Obwohl davon ausgegangen werden darf, dass der Iran angesichts seiner zahlreichen Probleme – internationale Sanktionen, militärisches Engagement in Syrien, Spannungen mit Saudi-Arabien und natürlich auch die verheerenden Auswirkungen der Corona-Pandemie – nicht das geringste Interesse an einer Verwicklung in die neuen alten Auseinandersetzungen um Nagorno-Karabach haben dürfte.
Gute Bezeihungen des Iran zu Armenien und Aserbaidschan
Die „Islamische Republik“ unterhält normale Beziehungen zum christlichen Armenien wie auch zum (überwiegend schiitisch-) muslimischen Aserbaidschan, wobei die zu Armenien qualitativ besser sein dürften. Die Gründe hierfür liegen wenigstens teilweise in der Geschichte der Region, denn lange war (das damalige) Persien – gefolgt von Russland und der Sowjetunion – die grosse Regionalmacht, in der die verschiedensten Völker meist besser zusammenlebten, als sie es seit ihrer Unabhängigkeit tun. Mit ein Grund für den „Ratschlag“, der nach dem neuen Ausbruch des Konflikts in den sozialen Medien kursierte: Aseris (Einwohner von Aserbaidschan) und Armenier sollten wieder Teil des Iran werden, dann sei ihr Problem doch gelöst.
Natürlich nicht ernstgemeint, aber immerhin: Im Iran leben heute rund 70’000 Armenier (in Armenien sind es knapp 3 Millionen) und während Aserbaidschan rund 9,5 Mio Einwohner hat, leben im Iran rund 30 Millionen Aseris. Selbst der „Oberste Führer“ des Iran, Ayatollah Khamenei, ist aserbaidschanischer Abstammung und der von Aseris bewohnte Nordwesten des Iran das eigentliche Kernland ihres Volkes.
Die Türkei und Israel unterstützen Aserbaidschan
Trotz gewisser separatistischer Strömungen dürften diese kein ernst zu nehmendes Problem für Teheran darstellen. Schon eher die merkwürdigen Allianzen Aserbaidschans, die jetzt angesichts der neuen Auseinandersetzungen um Berg-Karabach offen zutage traten: Zum Beispiel die Türkei und Israel – wegen Erdogans Israel-kritischer Haltung längst nicht mehr die Freunde und Verbündeten von einst – treten als wichtige Akteure auf: Die Türkei unterstützt Aserbaidschan lautstark und konkret angeblich auch mit der Entsendung von „Freiwilligen“ aus Syrien; Israel hingegen beliefert das Regime von Ilham Alijew mit Waffen in Milliardenhöhe. Letzteres konnten dieser Tage selbst israelische Tageszeitungen berichten, ohne von der in solchen Fragen sonst eher restriktiven Zensur daran gehindert zu werden. Ebenso erhielten bisherige Vermutungen indirekte Bestätigung, dass Israel von Aserbaidschan aus den Iran ausspioniere und dass manche Luftangriffe im Irak von der israelischen Luftwaffe aus Aserbaidschan durchgeführt wurden.
Ein wichtiges Thema verbindet Israel mit der Türkei und Aserbaidschan: Öl. Israel importiert Öl, das aus Aserbaidschan über eine Pipeline in die Türkei gelangt und von dort – trotz der Spannungen mit Jerusalem – nach Israel weitertransportiert wird. Inzwischen hat Israel durch seine Verträge mit den Emiraten und Bahrain wohl eine Alternative, aber auch Erdogan ist daran interessiert, dass das Öl weiter fliesst. Und damit auch die Gebühren in seine Staatskasse. Der türkische Präsident wird sicher auch angetrieben von seinen osmanischen Grossmacht-Träumen und seiner rigorosen Ablehnung jeder Erinnerung an den türkischen Genozid an den Armeniern. In diesem Punkt hat selbst Israel ein Problem: Trotz Holocaust war es bisher nicht bereit, den Massenmord an den Armeniern anzuerkennen. Dies und die Waffenlieferungen nach Aserbaidschan führten dazu, dass Armenien seinen erst kürzlich nach Tel Aviv entsandten Botschafter wieder zurückrief.
Russland mischt auf beiden Seiten mit
Nach dem Waffenstillstand von 1994 sollte die „Minsk-Gruppe“ als Teil der OSZE weitere Modalitäten aushandeln. Zur Gruppe gehören als Vorsitzende Russland, USA und Frankreich. Die Gruppe existiert freilich bisher nur auf dem Papier, denn sie hat weder getagt noch Vorschläge ausgearbeitet. Und selbst jetzt war es nicht diese Gruppe, die die Kontrahenten an den Verhandlungstisch brachte, sondern diese Initiative ging auf Russland zurück. Die USA und auch Frankreich haben ihre eigenen Probleme, das Land aber, dessen Aussenminister sich nun mit den Konfliktparteien traf, ist dasselbe Russland, das mit Armenien ein Militärbündnis und in Armenien einen Stützpunkt unterhält, gleichzeitig aber auch Aserbaidschan mit Waffen beliefert.
So dürfte eine Lösung kaum zustande kommen.