So ermutigend die ersten Massnahmen des neuen US-Präsidenten Joe Biden auch sein mögen, so kann man sich in einer Frage aber des Eindrucks nicht erwehren, dass die Dinge sich womöglich doch in den Spuren weiterentwickeln, die Biden-Vorgänger Trump hinterlassen hat. Es handelt sich bei weitem nicht um eine unwichtige Frage, sondern um ein Problem mit hoher Tragweite für den Nahen und Mittleren Osten sowie möglichen Auswirkungen weltweit: Es geht um die Rettung des 2015 geschlossenen Atomabkommens mit Iran oder seine endgültige Entsorgung in den Abfalleimern politischer Kurzsichtigkeit und Sturheit.
Bald werden drei Jahre vergangen sein, seit Donald Trump die USA aus dem Abkommen zurückzog und erneut massiven Sanktionsdruck gegen Iran entfachte. Es gelang ihm zwar nicht, die anderen Unterzeichner des Abkommens auch zum Rückzug zu bewegen, aber er zwang doch besonders die Europäer unter ihnen, sich schon allein aus wirtschaftlichem Eigeninteresse den Sanktionen anzuschliessen, obwohl man verbal am Atomabkommen festhielt.
Erfolglose Bemühungen
Die Sanktionen trieben Iran in eine wirtschaftliche Notlage ohnegleichen – zumal anderthalb Jahre nach dem Austritt der USA aus dem Abkommen die Corona-Pandemie sich zu verbreiten begann und Iran sehr rasch zu einem der am härtesten betroffenen Opferstaaten wurde.
Die Trump-Verwaltung kümmerte dies nicht. Sie bestand darauf, dass Iran ein neues und erweitertes Abkommen aushandeln und akzeptieren müsse, das Fragen wie die iranische Raketen-Entwicklung ebenso umfasse wie die regionale Verstrickung Irans in bewaffnete Konflikte vom Jemen über den Irak bis an die syrisch-türkische Grenze. Teheran lehnte dies als Erpressung ab und forderte die verbliebenen Partner des Abkommens auf, die Vereinbarungen von 2015 wiederzubeleben. Ohne Erfolg. Bestenfalls waren verständnisvolle Worte aus Paris, London, Berlin und Brüssel zu hören, Taten folgten dem aber keine.
Die folgten allerdings in Teheran: Weil alle diplomatischen Reanimations-Bemühungen scheiterten, gab Iran bekannt, dass man nun seinerseits schrittweise beginnen werde, Auflagen aus dem Abkommen zu ignorieren. So werde man die bestehenden Atomanlagen erweitern und – vor allem – man werde Uran statt auf knapp unter 4% auf 20% anreichern. Wenn die USA zum Abkommen von 2015 zurückkehrten, dann werde auch Iran dies tun.
Trump nutzte dies für seine politischen Ambitionen im Nahen Osten aus, unterstützt vor allem durch die Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Dieser präsentierte sich bei drei Wahlen innerhalb von anderthalb Jahren als enger Verbündeter Trumps im Kampf gegen Iran und er war es auch, der immer wieder wirkliche oder vermeintliche Beweise dafür lieferte, dass Iran intensiv an der Entwicklung und dem Bau von Atomwaffen arbeite.
Fragwürdige Dementis
Genau dies aber hatte Teheran immer dementiert. Den ersten Zugang zur Atomforschung hatte Iran noch zur Schahzeit, als die USA ihm den Bau eines Testreaktors – vor allem für medizinische Zwecke – ermöglichten. Nach dem Sturz des Schahs und nach der „Islamischen Revolution“ tat sich zunächst nichts auf diesem Bereich und selbst die Arbeiten an einem Reaktor blieben jahrelang liegen, die die Firma Siemens noch zu Schahzeiten in Bushehr (am Persischen Golf) begonnen hatte. Das neue Regime in Teheran zeigte lange kein Interesse an der Entwicklung von Nuklear-Anlagen, später allerdings wurde mit Hilfe Moskaus in Bushehr weitergebaut. Als der Reaktor aber 2010 in Betrieb genommen wurde, kam vor allem aus Israel Protest, dies sei inakzeptabel, weil Iran sich nicht an internationales Recht halte und nun offenbar vorhabe, Atomwaffen zu entwickeln.
Teheran und Moskau wiesen diese Vorwürfe zurück und betonten, dass das Atom-Kraftwerk von Bushehr mit Wissen der IAEA gebaut worden sei, der in Wien ansässigen UN-Atomenergie-Behörde, die den Reaktor auch weiter kontrollieren werde. Im Gegensatz dazu war damals schon bekannt, dass Israel bereits längst über Atomwaffen verfügte, das grosse Nuklearzentrum bei Dimona aber nicht von der IAEA oder anderen Instanzen kontrolliert wird. Auch hat Israel nie das Nichtverbreitungsabkommen NPT unterzeichnet, während Iran dies als einer der ersten Staaten getan hat. – Allerdings bisher ohne Ratifizierung durch das Parlament und neuerdings mit der Warnung, Teheran könne seine Zustimmung zurücknehmen, wenn es weiter von den USA derart unter Druck gesetzt werde.
Die IAEA hatte lange keine massgeblichen Beschwerden über die iranische Atompolitik, Israel hielt aber am Vorwurf fest, dass Teheran Atomwaffen bauen wolle. Angesichts der antiisraelischen Haltung des Teheraner Regimes war es nicht schwierig, andere Staaten hiervon zu überzeugen. Allerdings haben während der Verhandlungen zum Atomabkommen von 2015 die Vertreter aller US-Geheimdienste in einem Washingtoner Hearing erklärt, der Iran habe erste Bemühungen um Atombewaffnung bereits im Jahr 2003 eingestellt. Und seitdem habe sich auf diesem Bereich nichts mehr getan.
Bidens Absichten
Die IAEA stimmte weitgehend zu. Während der Präsidentschaft des Hardliners Mahmud Ahmedinejad aber kommt es zu Spannungen, weil dieser die Aktivitäten in iranischen Atomlagen intensiviert und modernisiert und schliesslich auch die Anreicherung von Uran bis auf 20% erhöht. Resolutionen des UN-Sicherheitsrates, schliesslich auch Sanktionen bleiben während der Amtszeit Ahmedinejads ohne Erfolg, unter seinem Nachfolger Rohani (erster Amtsantritt 2013) aber kommt es zu den Atomverhandlungen zwischen Iran, den USA, Grossbritannien, Frankreich, Deutschland, China und Russland. 2015 wird das Abkommen geschlossen. Mit dem erklärten Hauptziel, den Iran an der Entwicklung und/oder dem Erwerb von Atomwaffen zu hindern. Das bereits auf 20% angereicherte Uran wird von Russland übernommen und dort zu Brennstäben für zivile Zwecke verarbeitet, die IAEA kontrolliert wieder die Atomanlagen und bestätigt wiederholt, dass der Iran sich an die Vereinbarungen halte.
Israels Premier Netanjahu ist hiermit in keiner Weise zufrieden, denn an der Israel-feindlichen Haltung Irans hat sich kaum etwas geändert. Sein Verhältnis zum damaligen US-Präsidenten Barack Obama ist aber – auch wegen des Atomabkommens – angeschlagen und erst mit der Wahl Trumps sieht sich Netanjahu seinem Ziel nähergekommen: das Atomabkommen zu bremsen, wenn nicht gar zu annullieren.
Die Begründung ist dieselbe wie zuvor: Iran wolle Atomwaffen und dies komme einer ernsthaften Gefährdung nicht nur Israels, sondern auch anderer Staaten der Region gleich. In Teheran beteuert man, an Atomrüstung nicht interessiert zu sein, Trump aber übernimmt die Argumente Netanjahus und zieht die USA 2018 aus dem Abkommen zurück. Auch unterstützt er andere Gegner Irans, allen voran Saudi-Arabien, mit massiven Waffenverkäufen. Er lässt es am Persischen Golf fast zum offenen Krieg mit dem Iran kommen, ist verantwortlich für die Ermordung des iranischen Generals Qasem Soleimani in Bagdad und duldet die Eskalation israelischer Angriffe gegen iranische Ziele in Syrien, im Irak und – wahrscheinlich – auch im Iran selbst, wo es zu Anschlägen auf Atomeinrichtungen und den iranische Atomforscher Mohsen Fahrizadeh kommt.
Verspäteter Sieg Trumps?
Während der US-Präsidentschaftswahlen schliesslich versichert Trumps Gegenkandidat Joe Biden wiederholt, dass er den Austritt der USA aus dem Atomabkommen revidieren wolle, und es kommt Hoffnung auf, dass ein Neuanfang gemacht werden könne, indem man da anknüpft, wo Trump den Stecker gezogen hatte. Nach der Amtseinführung Bidens aber stellt sich heraus, dass diese Hoffnung vielleicht etwas voreilig war. Nicht wegen der immer wiederkehrenden Fehlinterpretation durch die verschiedensten Medien und auch Politiker, nämlich, dass Iran sich stur stelle und hartnäckig Bedingungen stelle, die Biden ja wohl kaum erfüllen könne. Diese „Bedingungen“ lauten schlicht und einfach: Wenn die USA die Sanktionen aufheben, dann korrigiere Iran seine Verletzungen des Abkommens. Denn diese seien ja eine um ein Jahr verspätete Reaktion auf den Rückzieher der USA gewesen. Der iranische Aussenminister Zarif machte sogar in einem CNN-Interview klar, dass es wohl am besten wäre, wenn mit Hilfe eines Vermittlers ein korrekter Ablauf dieses quid pro quo sichergestellt werde. Er schlug den Aussenbeauftragten der EU, Josep Borrell, vor; nach dessen Misserfolg in Moskau müsste man vielleicht einen anderen Vermittler suchen, aber noch scheint festzustehen, dass die Situation ohne allzu grossen Aufwand gerettet werden kann.
Wenn nicht auf der Umgebung von Biden inzwischen zu hören wäre, dass man eine Erweiterung und Veränderung des Atomabkommens wolle, indem man auch noch die Raketenfrage und andere Punkte aufnehmen wolle. Das allerdings wird von Teheran abgelehnt: Man habe dem Atomabkommen zugestimmt und es auch eingehalten. Jetzt aber eine erweiterte Neufassung zur Bedingung für ein Ende der Sanktionen zu machen, wäre nichts anderes als Erpressung und ein verspäteter Sieg Donald Trumps.
Joe Biden dürfte Teherans Argument verstehen. Öffentlich bleibt er erstaunlich zurückhaltend bisher, weil er wissen dürfte, was hier auf dem Spiel steht: Im Juni sind Wahlen im Iran und der nächste Präsident könnte ein Hardliner sein. Er wird es mit Sicherheit sein, wenn der greifbare Erfolg des von Zarif vorgeschlagenen Lösungsversuchs jetzt in den Wind geschlagen wird.