Heute folgt der Blick in die Zukunft der KI-Welt – es sind keine Visionen oder Utopien – die Rede ist von bereits operierenden Menschinen. Anders gesagt: Start-ups, die KI-Apps erfinden (sprichwörtlich: die Tüftler in der Garage), die von Grosskonzernen aufgekauft und im Alltagsgeschäft eingesetzt werden, weltweit. Es sind Vorboten einer neuen (Orwell’schen) Welt. Kein Stein bleibt auf dem andern.
Der Januskopf als Symbol der KI-Zukunft
Jedenfalls erscheinen uns die Vorzeichen einer KI-Welt der Zukunft zweigesichtig. Wer wird profitieren, wer verlieren? Ist – was gut für die Wirtschaft – auch gut für uns Menschen? Und ist – was gut für die Einen – auch gut für die Andern? Janus, der römische Gott, auf Münzen gleichzeitig vorwärts und rückwärts blickend: Verkörpert dieses Bild heute gleichsam Schöpfung und (kreative?) Zerstörung, Zukunft und Vergangenheit? Werden nicht nur Vorgänge in der Politik und Wirtschaft transparenter, sondern wird auch der Mensch durchsichtig? Wir wissen es nicht, doch die Chancen stehen gut, dass – je intensiver sich auch die Gesellschaft und Politik mit dem KI-Schock beschäftigen – die positiven Konsequenzen dereinst überwiegen werden. Der Economist, dem wir diese Situationsanalyse (31. März 2018) entnommen haben, hat in seinem Special Report „AI in Business“ eine grossartige Zwischenbilanz präsentiert und gefragt: Sind die grossen Erwartungen berechtigt? Auch hier bleibt die Antwort aus. Doch das Vordringen der KI (AI – Artificial intelligence) über den technischen Sektor hinaus wird riesige Konsequenzen haben für Unternehmen, Arbeitnehmer und Konsumenten.
Eine Wundertüte mit Nie-Dagewesenem
Ping An, eine chinesische Versicherungsfirma, lässt potentielle Kunden via Video Fragen beantworten, um in der Folge den Wahrheitsgehalt ihrer Antworten mittels KI-App aufgrund 50 minimer Gesichtsausdrücken zu überprüfen. Amazon liess ein Armband patentieren, welches die Fibration der Handbewegungen der Angestellten misst, um deren Arbeitseffizienz zu verbessern. Workday, eine Softwarefirma, misst 60 Faktoren, um vorauszuerkennen, welche Angestellten mit der Kündigung liebäugeln. Der Start-up Humanyze verkauft smarte ID-badges die im Nachhinein offenlegen, wie gut Angestellte untereinander zusammenarbeiten. Slack, ein Arbeitsplatz-App, verhilft Managern zu erkennen, wie schnell Arbeitnehmer ihre Aufgaben erfüllen. Cognito, ebenfalls ein Startup, hat eine KI-Software entwickelt, die Telefongespräche mit Kunden und die Kompetenz der Antworten analysiert. Texito benutzt KI, um Stellenbeschriebe zu optimieren, und hat dabei entdeckt, dass Frauen besser geeignet sind, ein Team zu entwickeln, als es zu managen. Die Softwarefirma Variato analysiert die Computertätigkeit ihrer Angestellten, um herauszufinden, wie engagiert sie arbeiten.
Wo führt dies alles hin? Die Aufzählung lässt erahnen, dass sich die Überwachung der Arbeitenden durch ihre Arbeitgeber Richtung Orwells „1984“ bewegt. Doch gibt es z. B. auch schon KI-Arbeitsplatz-Apps, die überwachen, ob Arbeiter alle Sicherheitsgeräte auf sich tragen, um Unfälle zu vermeiden, was durchaus zu mehr Sicherheit führen kann.
Viele Fallstricke
Die Entwicklung verheisst riesiges Potential. Doch die Frage stellt sich, wie Manager und Regierungen damit umgehen werden. Es stellen sich gewichtige Fragen wie: Welche Effekte wird das auf die Jobs haben? Zweifellos werden Manager ihr Hauptaugenmerk auf Kostensenkungen richten. McKinsey Global Institute hat errechnet, dass bei weltweit 14 Prozent der Arbeitskräfte die Berufe wegautomatisiert werden könnten. Also müssten sich verantwortungsvolle Manager damit befassen, wie die Betroffenen intern umgeschult werden könnten. Anzeichen dafür gibt es, doch die Frage sei erlaubt, ob eine Mehrzahl wachstums- und profitsüchtiger Chefs sich überhaupt der Verantwortung bewusst ist. Eine weitere wichtige Frage ist die des Persönlichkeitsschutzes – hier dürfte die Politik gefordert sein. Und auch die Fragen der wirtschaftlichen Konzentration und Konkurrenzausschaltung durch Fusionen und Marktführerschafts-Ambitionen sollten besser heute als morgen durch die Politik erkannt werden.
Noch mehr aus der Wundertüte
Johnson & Johnson benutzt in Zusammenarbeit mit Accenture ein App, um bei Bewerbungen vorab schon mal die theoretisch besten Kandidaten herauszupicken. Ceasars, die Casino-Gruppe, verwendet KI, um mit personalisierter Werbung die grossen Spender anzulocken. Bloomberg und KI-App können die Gewinnpublikationen der Grosskonzerne scannen und daraus automatische Medienberichte erstellen. Vodafone kann voraussehend Probleme im Netz oder beim Kundenempfang erkennen, bevor diese überhaupt eintreten. Und natürlich versuchen viele Firmen, mittels KI rechtzeitig Cyber-Attacken im Netz aufzuspüren und zu vernichten.
Leroy Merlin, das französische Einrichtungshaus, benutzt Algorithmen und KI des Startups Vekia, um via Verkaufsdaten der Vergangenheit und Wetterprognosen das kommende Wochenendgeschäft zu optimieren. Die oben erwähnte Workday verkauft auch ein AI-App, um Firmen zu informieren, welche ihrer Kunden ihre Rechnungen zu spät bezahlen werden. Landing AI überwacht fertige Produkte auf dem Fliessbandweg zur Verpackung, um fehlerhafte herauszupicken. Indem andere Firmen ihre Vergangenheits-Performance auswerten, kann KI voraussagen, wann die nächste Störung im Produktionsbereich eintreten wird und ermöglicht damit, grosse Kosten zu sparen. Amazon benutzt Algorithmen, um die Nachfrage nach Produkten vorauszusagen. Das Timing des weltweiten Transports von Gütern wird effizienter und präziser durch Sensoren, die die genaue Ankunftszeit am Zielort vorausberechnen. Und Metro, der Grosshandels-Riese, testet Computer Vision, die eingekauften Artikel werden durch Kameras erfasst und dem Kunden automatisch belastet. Ping An in China, ein Versicherungskonzern, benutzt KI bei Autounfällen. Anstelle der mühsamen Formularausfüllerei fotografiert der Kunde die Schäden und übermittelt das ganze via App an den Versicherungs-Hauptsitz.
Die Liste der wie Pilze aus dem Boden schiessenden KI Apps ist hier enorm verkürzt aufgeführt. Stellvertretend für alle nicht erwähnten stehe das KI-App Job Buddy, das den Arbeitnehmer darüber ins Bild setzt, wie gefährdet durch die Automation sein jetziger Job ist und welche Weiterbildung er deshalb rechtzeitig in Angriff nehmen sollte.
„Brave new world“ („Schöne neue Welt“), Aldous Huxleys Vorschau auf das Jahr 2540 – hat er sich wohl in der Jahreszahl geirrt?