Am Sonntagnachmittag hatte das lange Warten in Washington DC endlich ein Ende. Justizminister William Barr veröffentlichte eine vierseitige Zusammenfassung des Schlussberichts, den Sonderermittler Robert Mueller zuvor nach fast zweijährigen Recherchen abgeliefert hatte. «Keine Geheimabsprachen, kein ‘Freispruch’», titelten die Leitartikler der «New York Times» ihre Stellungnahme zum Mueller-Report und brachten auf den Punkt, was die amerikanische Hauptstadt und die Nation seit Wochen und Monaten beschäftigt hatte. Der Aufwand hinter dem Bericht: 2’800 Vorladungen, 500 Hausdurchsuchungen, 500 Zeugenbefragungen.
Der umfangreiche Report selbst steht weiterhin unter Verschluss. Um dessen Publikation dürfte sich ein heftiges Tauziehen zwischen dem Justizministerium und dem Abgeordnetenhaus entspinnen, das die Demokraten beherrschen. Donald Trump selbst meinte Mitte letzter Woche anlässlich eines Pressetermins im Weissen Haus, er würde es begrüssen, wenn die Öffentlichkeit den Bericht zu sehen bekäme: «Ich will den Report sehen, und wissen Sie, wer das auch gern täte? Die Dutzende Millionen von Menschen, die den Umstand begrüssen, dass wir die blühendste Wirtschaft haben, die wir je gehabt haben.» Ob der Präsident seine Meinung nicht noch ändert, bleibt abzuwarten.
Medienspektakel erster Güte
Insbesondere Amerikas Medien hatten keine Gelegenheit ausgelassen, sich wiederholt mit allen möglichen Aspekten und allen erdenklichen Folgen des Inhalts des Mueller-Reports auseinanderzusetzen. Ehrgeizige Journalistinnen und Journalisten der Hauptstadt befanden sich in höchster Alarmbereitschaft, vernachlässigten Familien und verschoben Ferien, um den Zeitpunkt der Veröffentlichung des Berichts auf keinen Fall zu verpassen. Auf Kabelkanälen war die Rede von einem bedeutenden Augenblick der amerikanischen Geschichte, ohne dass aber einer der Meinungsmacher, die sich sonst gern allwissend geben, hätte sagen können, was genau die Bedeutung des fraglichen Moments war. Der «New York Times», der «Washington Post», CNN.com und MSNBC.com zusammen war «Russiagate» jedenfalls 8’507 Artikel wert.
Nun also ist der Inhalt des Berichts bekannt und er ist weder sensationell noch unbedenklich. Zum einen hat Robert Mueller keine direkten Absprachen zwischen Donald Trumps Wahlkampfteam und Vladimir Putins Russland entdecken können. Zwar hat Moskau 2016 zweifellos versucht, durch das Hacken von Computern der Demokratischen Parteiführung (DNC) und durch Desinformation via soziale Medien den amerikanischen Wahlkampf zu beeinflussen. Auch gab es einzelne Kontakte zwischen Personen aus dem Umfeld des Präsidenten und Leuten aus russischen Regierungskreisen.
Sieg für Donald Trump
Beweise für eine «collusion», d. h. für eine Verschwörung zwischen Trumps Team und dem Kreml fand der Sonderermittler jedoch keine – ein Ergebnis, das Donald Trump umgehend als Freispruch in allen möglichen Anklagepunkten interpretierte und über Twitter umgehend verbreitete: «Keine Verschwörung. Keine Behinderung (der Justiz), Kompletter und Totaler FREISPRUCH. HÄLT AMERIKA GROSS!»
Genau in diesem Punkt aber ist Robert Muellers Bericht nicht so eindeutig, wie der Präsident und seine Anhänger das wohl gerne hätten. Ausser den Kontakten zu Russland untersuchte der Sonderermittler auch, ob Donald Trump die Ermittlungen der Justiz zu behindern versucht hatte. Auf jeden Fall hatte der Präsident die Russland-Untersuchung wiederholt als «Hexenjagd» und Ausfluss persönlicher Rankünen seitens politischer Gegner kritisiert. Robert Mueller folgert zwar nicht, dass sich Donald Trump des Verbrechens der Justizbehinderung schuldig gemacht hat, er spricht den Präsidenten aber auch nicht frei.
Widerspruch von Juristen
Allein Justizminister William Barr ist der Meinung, die im Verlauf der Untersuchung gesammelten Indizien würden nicht genügen, um auf ein kriminelles Verhalten Donald Trumps zu schliessen – eine Einschätzung, der etliche Juristen widersprechen. «Individuum Nummer 1 (Trump) ist nicht freigesprochen worden», sagt etwa der frühere Bundesstaatsanwalt Neil Katyal: «Barrs Brief verrät nichts über die New Yorker Ermittlungen in Sachen Wahlkampffinanzierung oder die vielen anderen Untersuchungen, die gegen die Trump-Organisation laufen. Barrs Brief räumt ausdrücklich ein, dass Muellers Bericht den Präsidenten nicht freispricht. Falls es irgendeinen Freispruch in der Frage gegeben hat, ob Trump die Justiz behinderte, dann erfolgte dieser durch Barr, aber nicht durch Mueller. Und Barrs Handlungen in dieser Hinsicht werden im Kongress ernsthafte Fragen aufwerfen.»
Kritiker William Barrs erinnern daran, dass der Justizminister noch im Juni 2018, d. h. vor seiner Amtseinsetzung im vergangenen Februar, einzelne Aspekte der Untersuchung des Sonderermittlers kritisiert hat. Barrs Memorandum, das er unaufgefordert an die Rechtsinstanz sandte, argumentierte, dass es für das Justizministerium und die Präsidentschaft verhängnisvolle Folgen haben könnte, sollte Robert Mueller zum Schluss kommen, dass Handlungen, die ein Präsident von Gesetzes wegen unternehmen darf, als Behinderung der Justiz gelten können, nur weil jemand folgert, es steckten korrupte Absichten dahinter. Der Justizminister verteidigte im Mail 2017 auch Donald Trumps Entscheid, FBI-Direktor James Comey zu entlassen.
Keine eindeutigen Schlüsse
In den USA sind sich etliche Juristen einig, dass sich ohne genaue Kenntnis des Untersuchungsberichts wohl kein endgültiges Urteil bilden lässt. «Wir müssen den ganzen Bericht sehen können, um festzustellen, wie die Beweislage aussieht», sagt Rechtsprofessor Richard Painter, der zwischen 2005 und 2007 im Weissen Haus für Fragen der Ethik zuständig war: «Die Zusammenfassung (des Berichts) hält auch fest, dass es zwischen Trumps Wahlkampfteam und den Russen keine kriminelle Verschwörung gegeben hat. Das heisst nicht, dass es keine Geheimabsprachen gab, die die Schwelle kriminellen Verhaltens nicht überschritten. Auch hier gilt es, den ganzen Report einzusehen, um zu wissen, was für Beweise für ‘collusion’ es ausser den bereits bekannten gegeben hat: das Treffen im Trump Tower, der ‘coffee boy’ (ein junger Mitarbeiter Trumps) und seine russischer Kontaktperson, Roger Stone, WikiLeaks etc.»
Alex Whiting, der an der Harvard University Recht lehrt, gibt gegenüber «Politico» zu bedenken, dass es erfahrungsgemäss äusserst schwierig ist, Fälle von Justizbehinderung zur Anklage zu bringen, insbesondere dann, wenn es keine Anklagepunkte gibt, die das Verhalten betreffen, welches Anlass für die Behinderung sein könnte: «Die Konversation wird sich von der kriminellen auf die politische Ebene verlagern: «Selbst wenn Trumps Handlungen nicht kriminell waren, sind sie weise gewesen? Haben sie die Anforderungen guter Regierungsführung erfüllt? Sind sie gut gewesen für das Land?» Nicht zu vergessen ist auch, dass Robert Mueller Donald Trump nicht direkt befragen konnte. Der Präsident beantwortete Fragen nur schriftlich.
Kaum ein Amtsenthebungsverfahren
Während Donald Trumps Parteigänger die Schlussfolgerungen des Berichts des Sonderermittlers wenig überraschend als Sieg des Präsidenten feiern, bleiben die politischen Gegner des Präsidenten skeptisch. Zwar dürften Forderungen nach einer Amtsenthebung Trumps zumindest vorläufig vom Tisch sein, doch werden die Demokraten kaum Ruhe geben und auf geplante Untersuchungen im Repräsentantenhaus verzichten – im Gegenteil.
Nancy Pelosi, Sprecherin des Hauses, und Chuck Schumer, Minderheitsführer im Senat, teilten in einem gemeinsamen Communiqué mit, William Barrs Zusammenfassung des Mueller-Reports sei von jemandem verfasst worden, der «kein neutraler Beobachter und nicht in der Lage ist, objektive Schlüsse zum Bericht zu ziehen.» Jerry Nadler, Vorsitzender des Justizausschusses im Abgeordnetenhaus, plant, sowohl William Barr als auch Robert Mueller vorzuladen, um sie unter Eid zur Sache zu befragen. Termine für Anhörungen stehen noch keine fest.
Anhaltender Parteienstreit
«Der lange erwartete Schlusspunkt der Untersuchung russischer Beeinflussung der Wahl 2016 wird mutmasslich den Unterstützungswall der Republikaner im Kongress für Präsident Trump festigen, die Forderungen der Demokraten untermauern, Trump zur Rechenschaft zu ziehen – und gemäss Historikern und Politikern, die sich mit nationalen Skandalen befasst haben, die öffentliche Meinung wohl nur wenig beeinflussen», schreibt in der «Washington Post» Marc Fisher: «Muellers Schlussfolgerungen werden Washington wahrscheinlich in eine Periode längerer und erbitterterer parteipolitischer Kämpfe katapultieren. Der Bericht, wie ihn Barr am Sonntag zusammengefasst hat, enthält genügend Zündstoff für beide Seiten, um an ihrer Version der Wahrheit festzuhalten, was die Kontakte von Trumps Wahlkampfteam zu Russland betrifft, und bei weitem nicht genügend Isolationsmaterial, um ihre Meinungen zu ändern.»
Robert Mueller dürfte in den kommenden Tagen sein Büro in Washington DC verlassen, nachdem er noch einige offene Fälle an lokale Justizbehörden weitergeleitet hat. Derweil spekulieren einzelne Stimmen, ob seine Tätigkeit allenfalls zu einem Zerwürfnis mit Justizminister William Barr führe, mit dem der 74-jährige Sonderermittler seit gut 30 Jahren befreundet ist. Barr hatte Mueller nicht kontaktiert, bevor er seine Schlussfolgerungen publik machte. Trotzdem sei ein Zwist zwischen den beiden wenig wahrscheinlich, sagen Kenner der Verhältnisse: Beider Gattinnen würden dieselbe Bibelgruppe besuchen. «God bless America!»