Es ist überraschend, wie die meisten Medien auf eine Kampagne aufgesprungen sind. So wusste die französische Zeitung „Le Figaro“ schon zwei Tage vor dem Erscheinen des IAEA-Berichts: „Die IAEA veröffentlicht ihre Beweise gegen Teheran“. Der „Tages-Anzeiger“ titelte noch am Mittwoch: „IAEA hat Beweise für Atomwaffentests“.
Alarmrufe schon vor Erscheinen des Berichts
Rund um die Erde schrieben Journalisten voneinander ab, ohne den Bericht der IAEA je gesehen zu haben. Sie entwarfen Szenarien, ob Israel einen Präventivkrieg gegen den Iran allein führen müsse oder auf zumindest logistische Hilfe der USA und Grossbritanniens zählen könne.
Kriegshetze ist verfehlt, so mühsam der Umgang mit den Machthabern in Teheran auch sein mag. Kaum jemand zweifelt mehr daran, dass der Iran nach der Atombombe strebt oder zumindest die Fähigkeiten für ihren Bau erlangen will. Die Indizien passen wie ein Puzzle zueinander. Mehrmals hat der Iran Nuklearanlagen vor der IAEA verborgen. Allein damit hat er den Atomwaffensperrvertrag gebrochen, dem das Land als eines der ersten noch unter dem Schah beigetreten ist.
Das Mullah-Regime will die Atomwaffenfähigkeit
Wenn der Iran, wie seine politischen und geistlichen Führer behaupten, die Atomenergie ausschliesslich für friedliche Zwecke verwenden will, so könnte er das billiger haben. Wie Dutzende andere Länder könnte der Iran Atomkraftwerke bauen und die Brennstäbe legal erwerben. Das Argument der iranischen Regierung aber lautet, dass sie dem Ausland nicht vertrauen könne und daher die völlige Kontrolle des Kernbrennstoffkreislaufs erreichen müsse.
Dass kein gutes Zureden und keine Sanktionen die Mullahs in Teheran zu einem Kompromiss bewegen können, lässt vermuten, dass sie für die Atomwaffenfähigkeit jeden Preis zu zahlen bereit sind. Niemand ausser einer kleinen Gruppe von Männern an der Spitze des Staates weiss jedoch, ob die politische Entscheidung für den Bau der Bombe bereits gefallen ist.
Keine grundsätzlich neuen Informationen
Der jüngste IAEA-Bericht liefert auch nicht mehr eindeutige Beweise für ein iranisches Atomwaffenprogramm als die früheren Berichte. Generaldirektor Yukiya Amano drückt darin „ernste Besorgnis über die möglichen militärischen Dimensionen des iranischen Nuklearprogramms“ aus, doch er vermag keine dramatischen neuen Entwicklungen aufzuzeigen.
Die einzige belegte Neuigkeit ist die, dass der Leiter eines vermutlich nuklearen Militärprojekts, Mohsen Fakrizadeh, Anfang des Jahres in ein anderen Gebäude umgezogen ist. Die meisten im IAEA-Bericht wiedergegebenen Informationen gehen auf die Zeit vor 2003 zurück und sind bereits in den früheren Berichten enthalten.
Klare Verstösse gegen Atomwaffen-Sperrvertrag
Unbestreitbar ist, dass die Regierung in Teheran in mehreren Bereichen gegen den Atomwaffen-Sperrvertrag und Resolutionen des Weltsicherheitsrats verstösst. So hat der Iran weder den Bau eines Schwerwasserreaktors in Arak eingestellt noch eine benachbarte Fabrik zur Herstellung schweren Wassers geschlossen, wie es der Sicherheitsrat verlangt. Diese Anlagen wurden auf die Schwarze Liste gesetzt, weil darin Plutonium für Waffenzwecke erzeugt werden kann.
Auch bei der Anreicherung von Uran scheren sich die Iraner nicht um die Resolutionen des Sicherheitsrats der UNO. In den vergangenen zwölf Monaten hat der Iran 1787 Kilo Uran auf fünf Prozent des Isotops U-235 angereichert. Damit sind seine Vorräte an leicht angereichertem Uran auf 4922 Kilo gestiegen. Ausserdem sind seit Februar 2010 74 Kilo Uran auf 20 Prozent angereichert worden.
IAEA stützt sich auf Geheimdienst-Berichte
Theoretisch ist damit ein Forschungsreaktor in Teheran von ausländischem Brennmaterial unabhängig geworden. Nach den Berechnungen von Experten könnten mit der Menge des bisher gehorteten Spaltmaterials vier Atombomben gebaut werden – vorausgesetzt, dass es auf mindestens 90 Prozent angereichert wird, wozu die Iraner noch nicht fähig sind. Ausserdem stehen die Anreicherungsanlagen unter der Kontrolle der IAEA.
Bei fast allen anderen „möglichen militärischen Dimensionen“ ist die IAEA auf Berichte von Geheimdiensten, Überläufern oder heimlichen Dissidenten angewiesen. Geheimdienstberichte können richtig oder falsch sein. Überprüfen kann sie niemand. Sie stehen daher ohne Ursprungsangabe im Anhang des Iran-Berichts. „Nach Einschätzung der IAEA sind diese Informationen insgesamt glaubhaft“, urteilt Generaldirektor Amano.
Teheran beantwortet IAEA-Fragen nicht
Die meisten der von Geheimdiensten oder den oppositionellen „Volksmudschaheddin“ gelieferten Informationen sind nicht neu und standen bereits in früheren IAEA-Berichten. Darunter fallen Versuche mit Supersprengstoffen, die als Zünder einer Kernspaltung dienen könnten, und Computersimulationen von Atomexplosionen. Ein Dokument in Farsi (Persisch) enthält Sicherheitsanordnungen für einen Atomwaffentest.
„Besondere Besorgnis“ äussert der IAEA-Chef hinsichtlich übereinstimmender Geheimdienstberichte von zwei Staaten, wonach iranische Wissenschaftler Modelle von Atomsprengköpfen entworfen hätten, die genau auf die Mittelstreckenraketen Schahab-3 passen sollen. Bitten der IAEA um eine Stellungnahme beantworten die iranischen Behörden meistens überhaupt nicht oder sie bezeichnen die Anschuldigungen als plumpe Fälschungen. Jetzt geht das Dossier wieder zurück an den Weltsicherheitsrat.