Eine Hackergruppe, die sich „Global Leaks“ nennt, hat E-Mails veröffentlicht, aus denen hervorgeht, dass der saudische Kronprinz, Mohammed Bin Salman, den Jemen-Krieg, den er Ende März 2015 ausgelöst hatte, beenden möchte. Der digitale Nachrichtendienst „Middle East Eye“ veröffentlicht die Indiskretion und macht ihre Bedeutung klar.
Es handelt sich bei den geleakten E-Mails um einen Meinungsaustausch zwischen dem Botschafter der Vereinigten Arabischen Emirate VAE in Washington, Yussef Oteiba, und einem ehemaligen Berater im amerikanischen Nationalen Sicherheitsrat und späteren Botschafter in Israel, Martin Indyk. Indyk ist bekannt als ein glühender Sympathisant und Verteidiger Israels. In dem Meinungsaustausch ist die Rede vom „Pragmatismus“ des saudischen Kronprinzen. Indyk schreibt, ihm selbst und Steven Hadley sei in Gesprächen mit Mohammed Ben Salman sehr deutlich geworden, dass der Kornprinz „aus Yemen heraus wolle“.
Emirate suchen Führungsrolle
Hadley ist ebenfalls ein ehemaliges Mitglied des amerikanischen Nationalen Sicherheitsrates. Indyk fügt hinzu, der Kronprinz wäre auch einverstanden, „wenn wir gegen Iran vorgingen“. Dies unter der Bedingung, dass er vorher davon unterrichtet werde und dass ein klares Ziel für das Ende dieser Aktion festgelegt sei. Mit „wir“ sind die USA gemeint. Oteiba antwortet: „Ich denke, wir werden nie einen pragmatischeren Führer für dieses Land finden (als den Kronprinzen). Deshalb ist es so wichtig, mit ihm in Verbindung zu bleiben, was die besten Resultate hervorbringen wird, die wir aus Saudi-Arabien herausholen können.“ Dieses zweite „wir“ im Mund des VAE-Botschafters muss sich auf sein Land beziehen, es sei denn, man nimmt an, er identifiziere sich selbst so stark mit den USA, dass er vom amerikanischen Standpunkt aus spricht.
Diese Antwort und andere durchgesickerte E-Mails des VAE-Gesandten in Washington, Oteiba, zeigen, dass die VAE – wie schon frühere Indizien und Indiskretionen aufgezeigt hatten – den Anspruch erheben, als „Vorbild“ und Leitstern für Saudi-Arabien im allgemeinen und für den Kronprinzen im Besonderen zu wirken. In einem Austausch mit Elliot Abrams, einem früheren hochgestellten amerikanischen Beamten mit neo-konservativen und pro-israelischen Neigungen, sagt der VAE-Botschafter Oteiba: „Ich denke, auf lange Sicht werden wir einen guten Einfluss auf das KSA (Königreich Saudi-Arabien) ausüben, wenigstens inbezug auf gewisse Leute ... Unsere Beziehungen beruhen auf strategischer Tiefe, gemeinsamen Interessen und, in allererster Linie, auf der Hoffnung, dass wir sie beeinflussen können. Nicht umgekehrt!“
Katastrophale Kriegsfolgen
Der durchgesickerte Meinungsaustausch stammt bereits vom 20. April dieses Jahres. Seither hat sich die Lage in Jemen enorm verschlechtert. Die Cholera ist inzwischen auf 500’000 Fälle angestiegen. Die Kranken liegen, falls sie überhaupt Behandlung finden, auf dem blossen Boden in den wenigen hoffnungslos überfüllten Spitälern, welche die saudischen Bomben (amerikanischer und britischer Herkunft) übrig gelassen haben.
Von den rund 18 Millionen Jemeniten gelten zwei Drittel, 12 Millionen, als humanitärer Hilfe bedürftig und rund 7 Millionen als unterernährt. Mehr als die Hälfte aller Unterernährten sind Kinder und Minderjährige. Unterernährte Kinder können für den Rest ihres Lebens geschädigt bleiben. Der Krieg hat bis jetzt gegen 10’000 Tote und 40’000 Verwundete gekostet.
Bloss den Misserfolg nicht eingestehen!
Obwohl der saudische Kronprinz den in erster Linie von ihm selbst angezettelten Krieg offenbar schon vor guten drei Monaten hätte beendigen wollen, dauert er unvermindert weiter an. Dies ist zweifellos teilweise deshalb der Fall, weil das Prestige des Königreiches und besonders seines neuen Herrschers, König Salman, sowie von dessen Sohn und Kronprinz Mohammed, involviert sind. Sie suchen ein Ende, das sie als einen Erfolg darstellen können, und sind nicht bereit, eine Niederlage oder einen deutlich sichtbaren Rückschlag hinzunehmen. Die Huthis und ihr Verbündeter, Ex-Präsident Ali Saleh Abdullah mit jenen Teilen der jemenitischen Armee, die zu ihm halten, sind auch nicht bereit, nachzugeben, es sei denn sie können politische Zugeständnisse von der Gegenseite erringen.
Aus den durchgesickerten E-Mails geht hervor, dass die VAE Saudi-Arabien rät, einen Keil zwischen die beiden verbündeten jemenitischen Gegner zu treiben. Für die VAE sind die Huthis (Schiiten, wenngleich nicht solche der gleichen Richtung wie jene Irans) eine „strategische Bedrohung“; der Ex-Präsident jedoch gilt nur als „Unruhestifter“. Sein Sohn, General Ahmed Ali Saleh, befindet sich in den Emiraten, wo er vor Kriegsausbruch als Botschafter Jemens wirkte, und steht dort offenbar unter Ausreiseverbot.
Geschäfte der Kriegsgewinnler
Der englische Jemen-Fachmann Peter Salisbury, gibt eine glaubwürdige Begründung dafür, weshalb dieser vernichtende Krieg immer weiter andauert. Sie lautet mit einem Wort: Kriegswirtschaft. Salisbury schreibt in einem Aufsatz für „Chatham House“, wer Geld habe, könne nach wie vor in Sanaa Glacé der Marke Baskin-Robbins kaufen, „die in gekühlten Transportwagen importiert wird“, vermutlich aus den VAE.
Geschäftsleute versicherten ihm, so Salisbury, dass sie jederzeit Güter aus der Internationalen Freihandelszone „Jebel Ali“ in den Emiraten bestellen könnten. Sie kämen binnen 48 Stunden in Sanaa an. Wenn auf den Durchgangswegen Kriegshandlungen stattfänden, daure es 72 Stunden. Diese Geschäftsleute versichern auch, der Transport und die „Gebühren“, die bei den militärischen Strassensperren zu entrichten seien, verteuerten die Ware um 10 bis 15 Prozent. Die Strassen seien sicherer denn je, wenn man nur den Bewaffneten ihre „Gebühren“ bezahle. Natürlich, so versichern seine Gewährsleute, würden sie sich nie mit Waffenschmuggel befassen. Es sei jedoch denkbar, dass andere dies manchmal nebenbei täten.
Geschäfte unter Vertrauten
Der Bankenverkehr funktioniert nicht mehr. Doch haben die Händler einen Ausweg gefunden, indem sie das altbewährte traditionelle „Hawaleh“-System wieder benützen. Dies sind Wechsel unter Geschäftsleuten, die einander trauen. Ein anderer Weg der Versorgung führe von Dubai (VAE) nach Oman zur See und von dort aus über Land bis nach Sanaa. Man müsse nur die richtigen Hände schmieren, um überall durchzukommen, auch über die Frontlinien hinweg, berichten die Zeugen des Forschers.
Der Krieg und seine zahlreichen Fronten sind weitgehend statisch, und verschiedene Milizen und bewaffnete Gruppen sehen sich im Besitz von grösseren oder kleineren Gebieten. Sie profitieren davon, indem sie Durchgangszölle erheben. Oftmals sorgen die Offiziere dafür, dass ihre Soldaten keine Inspektionen durchführen, sondern die Güter nach den richtigen Zahlungen unbesehen durchlassen. Diese Wegzölle genügen, um die Milizen zu finanzieren und so ihren Fortbestand zu sichern. Die Zahl der verschiedenen bewaffneten Gruppen, die in dem Krieg ihre eigenen Kleinterritorien beherrschen und ihre eigenen Interessen verfolgen, nimmt ständig zu. Der Handel alimentiert eine Elite, die weiterhin über Geld verfügt und sogar reich wird. Er genügt aber nicht, um die Bevölkerung zu ernähren.
Waffen dank Geld, Geld dank Waffen
Doch solange die Bewaffneten über ein Einkommen verfügen, sehen sie und ihre Anführer keinen Anlass, den Krieg zu beenden. Dies umso weniger, als viele der bewaffneten Irregulären und ihre Kriegschefs keinerlei Möglichkeit haben, bei Friedensverhandlungen effektiv mitzuwirken und auf Grund solcher Verhandlungen ihre Nachkriegszukunft zu sichern.
Von Sanaa sagen die Einwohner, es sei heute die „grünste Stadt der Erde“ geworden. Weil die öffentliche Elektrizitätsversorgung nicht mehr funktioniert, haben die wohlhabenden Rest-Eliten sich Solar-Panels angeschafft, um damit ihre private Beleuchtung und Kühlung in Betrieb zu halten. Natürlich gibt es auch für Benzin einen Schwarzmarkt, der gewisse Leute reich werden lässt. Die grosse Zahl der Armen sitzt im Dunkeln und muss ohne Kühlschränke auskommen. Die Transportschwierigkeiten bewirken, dass auch die Hilfsgüter aus dem Ausland längst nicht alle Bedürftigen erreichen.
Jemeniten verhungern, Huthis überleben
Die Saudis mit „ihrem“ jemenitischen Präsidenten al-Hadi versuchen, des wichtigsten Importhafens, Hodeida, Herr zu werden. Doch selbst wenn ihnen dies gelingen sollte, werden sie zwar die Hungersnot in Jemen verschärfen, jedoch die Huthi-Milizen und die Armeeinheiten des Ex-Präsidenten nicht zwingen können, den Krieg aufzugeben. Dies glaubt Salisbury, und er schliesst seine Analyse mit den Worten:
„Die Schwierigkeit ist, dass die Huthi-Saleh-Allianz wahrscheinlich überleben kann auf Grund der Güter, die über Land mit Lastwagen kommen. Sollte Hodeida abgeschnitten werden, werden die Verkehrsströme auf den Strassen bedeutend zunehmen und damit auch die Einkommen durch Gebühren. ‚Die Huthis werden überleben, und die Jemeniten werden verhungern!‘ sagte ein niedergeschlagener jemenitischer Bobachter.“