Kauft bei Blocher. Die beste Komödie hat noch stets die Wirklichkeit selbst geliefert. Verlässlicher Pointenlieferant, wenn es um historische Missgriffe geht, ist Nationalrat Christoph Blocher. Diesmal vergleicht er in einem Interview die Situation seiner Familie und letztlich auch jene der SVP mit der Situation der Juden in den 30er Jahren im faschistischen Deutschland und setzt wissentlich, fahrlässig oder mangels Reflexion das heutige Umfeld der Schweiz jenem des totalitären NS-Regimes gleich. «Kauft nicht bei Juden» sei, so Blocher, einst jener Boykottaufruf gewesen, der heute gegen ihn eingesetzt werde.
Nun. Wer auf verlorenem Posten kämpft, hat vielleicht nichts mehr zu verlieren, erfindet Boykotte, die es nicht gibt, und zieht Vergleiche, die derart dumm, obszön, pervers und arrogant sind, dass jedes Eintreten darauf der Sache eine Wichtigkeit gibt, die sie gar nicht hat. Dennoch soll sie nicht ignoriert werden, denn Blochers Verteidiger reden sie in diesen Tagen notorisch schön. Doch der Magnat selbst droht das blochersche Lebenswerk in den letzten Tagen des Kampfes in den Abgrund zu reissen. Da gilt es wenigstens noch die Integrität der Geschichte vor dem totalen Ruin zu retten.
Also. Damit Blocher nicht endgültig zum Juden wird - sogar noch zu einem im Kontext des Zweiten Weltkrieges, wie er ihm, Blocher, noch vor wenigen Jahren nicht allzu willkommen war, als es um legitime Forderungen nach Restitution ging -, also damit Blocher nicht zum Zweitklassjuden verkommt, gibt es nur eine Losung: «Kauft bei Blocher!». Kauft Printprodukte aus dem Hause Blocher, Süssigkeiten aus dem Hause Blocher, Chemie- oder polymere Werkstoffe aus dem Hause Blocher. Kauft beim selbsternannten Juden Blocher!
Sprecht mit Blocher. Nun gehört es im Europa der letzten Jahre bereits zur einschlägigen Tradition unter Volkstribunen und Milliardären, die mit Macht, Geld und Populismus über Politik und Medien herrschen wollen, dass Erklärungsnot mit verbaler Brachialgewalt kompensiert wird. Italiens Premier Berlusconi hat etwa mit SS-Vergleichen an die Adresse deutscher Abgeordneter ebenso die Geschichte relativiert wie Blocher seit Jahren den real existierenden Rechtsextremismus und Rassismus schönredet, dafür jenen der Vergangenheit für die eigene Sache manipulierend instrumentalisiert. In Blochers Selbstwahrnehmung ist wohl die Ausgrenzung seiner Familie, engster Vertrauter und Kombattanten derart gross, dass er selbst den Bezug zur Wirklichkeit längst verloren hat. Also: «Sprecht mit Blocher!»
Erklärt Blocher den Unterschied zwischen vom NS-Regime verfolgten Juden und einer politischen oder öffentlichen Debatte, die er mit seinem Investment in die Basler Zeitung oder seinen Parolen selbst lanciert hat. Erklärt Blocher, was 1933 geschah, erklärt ihm den Völkermord an den Armeniern, erklärt ihm, weshalb er eigentlich aufgrund seiner heute an den Tag gelegten Sensibilitäten die faschistoiden Kampagnen der letzten Jahre als Vertreter einer ausgegrenzten Minderheit hätte anprangern können. Sprecht mit Blocher und brecht seine Einsamkeit in seiner projizierten Schweiz auf, in der er lebt, die es aber so nie gab und geben wird. Gebt ihm die Liebe, die er anderen immer verweigerte und jetzt so bitter einfordert. Sprecht mit Blocher und erklärt ihm die wirkliche Schweiz, auf dass sein Kampf gegen die Windmühlen nicht in Dürrenmatts Anstalten und Gefängnissen endet, in die Physiker und heute wohl auch Politiker in die Freiheit flüchten müssen. Sprecht mit Blocher, auf dass er niemals Asylant wird in dem von ihm so verschmähten Europa.
Kauft bei Blocher. Das Jahr 2011 steht für den Fall von Tribunen in Demokratien und Despoten in Diktaturen. Gemein war allen ein narzisstischer Hang zur Opferrolle in jenem Moment, da ihnen die Macht zu entgleiten drohte und sie in Vorbereitung der letzten Schlachten noch alles und vor allem immer das von ihnen jahrelang angerufene, vereinnahmte und beschworene Volk zu riskieren bereit waren. Spannend in den letzten Tagen des Niedergangs war jeweils, wer das sinkende Schiff verliess, welche Sprecher, Ideologen oder Populisten Verfehlungen mitgetragen haben – bis zur letzten Sekunde.
Kauft also bei Blocher und läutet den Schweizer Frühling mit dem ultimativen Massenverzehr von Basler Läckerli ein. Denn die Legende besagt, das das gut gehütete Geheimrezept der Basler Spezialität in Blocher-Hand auf orientalische Gewürze und Mischungen zurückgeht. Die einen werden sich daran die Zähne ausbeissen, wie Blocher sich dies an der Schweizer Mehrheit tut, die auf einmal nicht mehr zu seinem souveränen Volksbegriff gehören will. Die anderen werden erkennen, dass Blochers Affinität für die Juden schon lange in einer Rezeptur niedergeschrieben ist, die er der Öffentlichkeit erst in diesen Tagen des Endkampfes bekanntgeben wollte. Viele Juden hätten sich allerdings in den Jahren 1933, 1938, 1998 oder 2008 gewünscht, dass sich Blocher & Co. mit ihnen solidarisiert hätten. Nun ja. Auf jeden Fall gibt es viele gute jüdische Zahnärzte in der Schweiz, die den Läckerlifrühling dann wieder ins Lot bringen können.