Diesen Gastbeitrag habe ich auf der Basis meiner Studie «Risk and Return von Kernkraftwerken» aus dem Jahre 2008 und meiner finanzanalytischen Beurteilung von Investitionen in die Kernenergie anlässlich der SAEE (Swiss Association for Energy Economics) Jahrestagung im November 2010 (1) verfasst. Beide Arbeiten liegen also vor der Katastrophe in Japan.
The Exceptions Can Kill You
Wenn wir über Sicherheit debattieren, erleben wir immer wieder ein ähnliches Muster. Die Risiken werden als Ausnahmen, die kaum je eintreffen werden, klein gerechnet und geredet. Dieser gefährlichen Grundhaltung stellte sich Al Gore an einer Umwelt- und Governancekonferenz im Jahre 2009 in Sydney mit dem unmissverständlichen Votum «the exceptions can kill you», entgegen.
Sein Thema war der Klimawandel und darauf bezog er sein Urteil. Seine Aussage trifft aber grundsätzlich ins Schwarze. Tragisches Beispiel die Finanzkrise: Hier sind die theoretisch weg gerechneten Risiken, die in der Theorie - auch wegen falscher Modellannahmen - als minim und daher vernachlässigbar eingeschätzt wurden, doch Realität geworden. Es ist heute eingetroffen, was theoretisch nur alle Paar hunderttausend Jahre hätte eintreffen können.
Die Finanzmarkttheoretiker kennen bei ihren Berechnungen den Ausdruck «Fehlerterm», sie nennen ihn «epsilon». Und weil dieser mathematisch so gering resp. theoretisch gegen Null tendiert, wird der real existierende Fehlerterm ignoriert, dass heisst das Restrisiko fliegt aus der Formel.
Wenn eintrifft, was nicht eintreffen kann
Man hält es deshalb auch nicht für notwendig, Risiken mit genügend qualitativ hochstehendem Eigenkapital abzufedern. Darüber habe ich mich ausführlich in meinem Gastbeitrag vom 4. Februar 2011 «Banken und Eigenkapital - quo vadis; neue Definitionen verschleiern Risiken» auseinander gesetzt.
Was für das Klima und die Finanzbranche gilt, gilt ganz besonders auch für die Kernenergie. Wenn hier eintrifft was mathematisch kaum eintreffen kann, dann kann dies im wahrsten Sinne des Wortes tödliche Folgen haben. Und auch hier besteht, wie bei den systemrelevanten Banken, kein tragfähiges finanzielles Fundament, das solche Risiken auffangen könnte.
Wir leben immer und überall mit einem Restrisiko. Ohne Risiko können wir nicht leben und auch nicht wirtschaften. Viele unserer Tätigkeiten und somit Arbeitsplätze wurzeln in einer Risikominderungsstrategie. Ein Restrisiko auf Grund eines jederzeit möglichen Fehlers, also ein «epsilon», begleitet uns dabei immer. Entscheidend ist deshalb, dass wir das Restrisiko erstens nicht ignorieren und zweitens durch unsere Aktivitäten nicht verstärken sondern dämpfen.
Risse in der finanziellen Schutzhülle
Das finanzielle und wirtschaftliche Fundament der Kernkraftwerke (KKW) in der Schweiz ist ungenügend. Die finanziellen Risiken der Schweizer KKW sind immens und bei weitem nicht mit genügend Risikokapital unterlegt. Aufgrund des finanziellen Setups werden die Risiken der Produktion von Atomstrom ganz entscheidend erhöht.
Dass dem so ist zeigt allein schon die Haftungsdebatte. Die finanziellen und wirtschaftlichen Risiken werden, bis auf die gesetzlich vorgeschriebenen 2 Mrd. Franken pro KKW, auf die Allgemeinheit abgewälzt. Und das nota bene in einem liberalisierten Markt und obwohl in der Parlamentsdebatte im Jahre 2008 unbestritten war, dass ein Atomunfall horrende Schäden mit sich bringen kann. Wenn eine Industrie darauf aufmerksam macht, dass sie nicht in der Lage ist, diejenigen Risiken zu versichern, die sie produziert, dann signalisiert sie dem Kapitalmarkt, dass eine marktgerechte, risikoadjustierte Verzinsung des Kapitals nicht möglich ist. Deshalb lassen sich auch nur sehr mühsam Investoren finden. Kaum jemand wird in Zukunft in eine Technologie investieren die nicht einmal ihre eigenen finanziellen Risiken tragen kann.
Banken werden unter diesen Prämissen kaum Kredite gewähren, da diese aufgrund der Risikolage und der Systematik der «risikogewichteten Assets» eine für die Banken unerwünscht hohe Unterlegung mit Eigenmitteln erfordern würden.
Keine Risikoprämie für Investoren
Und neue Aktionäre werden sich ebenfalls kaum finden lassen, da ihnen klar sein wird, dass die KKW selbst dann ihre Kapitalkosten nicht decken können, wenn ein Werk über die gesamte geplante Laufzeit Erträge produzieren kann. Ganz zu schweigen davon, dass ein Werk möglicherweise vor dem geplanten Termin vom Netz gehen muss oder sich die Wettbewerbsfähigkeit des Atomstroms weiter verschlechtert. Dann brechen noch grössere Teile der geplanten Cash-Inflows weg, während die Kosten für Stilllegung und Entsorgung weiter laufen. Es wird für Aktionäre nicht möglich sein, eine dem hohen Risiko gerechte Zusatzrendite zu verdienen.
Diese Aussage basiert nicht auf den Ereignissen in Japan. Die schlechte Kostenstruktur und die Finanzierungsschwachstellen bestehen seit langem.
Das tragische Ereignis in Japan verdeutlicht den potentiellen Investoren lediglich wie stark und wie schnell Ereignisse zu einer Veränderung der Kosten- und Ertragsstruktur in Form einer Kostenexplosion und dem Versiegen der geplanten Inflows führen können. Für dieses Risiko haben die Investoren bisher keine Risikoprämie erhalten und sie dürften diese auch in Zukunft nicht erhalten.
Am Beispiel von Tepco (Tokio Electric Power), dem Betreiber der Unglücksreaktoren, wird deutlich, was es heisst, wenn weder genügender Versicherungsschutz noch genügend eigenes Kapital vorhanden sind. Tepco musste gemäss dem Handelsblatt (Deutschlands führende Wirtschafts- und Finanzzeitung) die Banken um einen ersten Notkredit von 17.4 Milliarden Euro bitten. Auch eine zumindest teilweise Verstaatlichung wird bereits diskutiert.
KKW brauchen eine «finanzielle Nachrüstung»
KKW brauchen dringend eine «finanzielle Nachrüstung». Das bedeutet eine massive Erhöhung des Eigenkapitals und eine transparente Kostenrechnung, die alle Kosten, auch die effektiven Kapitalkosten, die Kosten für Systemdienstleistungen zur Stabilisierung des Stromnetzes, die Kosten der Stilllegung und Entsorgung basierend auf einer realistischen Annahme der Entwicklung der Finanzmärkte und die Versicherungskosten umfasst.Dies kann aufgrund der Analyse der Geschäftsberichte der KKW Leibstadt (KKL) und Gösgen (KKG) festgestellt werden.
Ein Blick in die Bilanzen von KKL und KKG zeigt, dass weder die Kapitalkosten gedeckt werden noch genügend Eigenkapital auf Stufe KKW vorhanden ist.
Der Grund für diese Situation ist gemäss Energieversorger, bestehend aus den Aktionären (2), das angewandte Partnerkonzept, bei dem alle Aktionäre nur Minderheitsbeteiligungen haben und den KKW den Strom zu Gestehungskosten abnehmen. Zusätzlich zur garantierten Abnahme des Stroms zum fixierten Preis kommunizieren die Aktionäre unmissverständlich, dass sie haften, das wirtschaftliche Risiko tragen und wenn erforderlich Kapital einschiessen.(3) Somit haftet das gesamte Kapital dieser Konzerne für die KKW-Risiken. In dieser Aussage ist ein Widerspruch zu der im Rahmen der Versicherungsdebatte geführten Argumentation enthalten, in welcher klar zum Ausdruck kam, dass im Falle der Übernahme einer höheren Haftung Atomstrom nicht mehr wirtschaftlich produziert werden kann.
«constructive obligation»
Im Vergleich zur von mir noch im Jahre 2008 wahrgenommenen Haltung der Stromkonzerne hat sich meiner Meinung nach heute etwas wesentlich verändert. Hatte die rechtliche Form einer Aktiengesellschaft bei den Partnerwerken damals auch eine Haftungsschutzfunktion für die Aktionäre, so wird heute klar kommuniziert, dass die Energieversorger über die rechtlichen Strukturen hinaus haften. Sie sind aufgrund ihrer Äusserungen zur Begründung und für die Entwarnung bezüglich der Eigenkapitalschwäche der KKL und KKG eine «constructive obligation» eingegangen. (4) Hier stellt sich natürlich sofort die Frage ob die Aktionäre der Energieversorger (vor allem die Kantone) mit dem Eingehen dieser Verpflichtungen einverstanden sind.
Es wäre aufgrund dieser Haftungslage meiner Auffassung nach klüger, wenn die Aktionäre das bereits heute fehlende Eigenkapital in Höhe von 1 bis 2 Milliarden Franken in die Bilanzen der KKW (ihre Partnerunternehmen) einschiessen würden anstatt mit der einem strukturierten Produkt ähnlichen Konstruktion das gesamte Kapital der Schweizer Energieversorger als Pfand für die finanziellen und anderen Risiken der KKW einzusetzen.
Zu tief ausgewiesene Kosten
Weil das Eigenkapital nicht in den Bilanzen der KKW ist, sondern bei den Aktionären, und weil die Kapitalkosten auf Stufe KKW nicht marktgerecht abgegolten werden, sind die in den Geschäftsberichten ausgewiesenen Kosten für die Erzeugung einer kWh Atomstrom zu tief. Politisch wird aber immer mit diesen zu tiefen Kosten argumentiert.
Minderheitsbeteiligungen werden mit der Equity-Konsolidierungsmethode in den Bilanzen der Aktionäre erfasst. Das heisst, es erscheint in den Bilanzen der Energieversorger nur der Eigenkapital- und Gewinnanteil, nicht aber der Umsatzanteil und vor allem nicht das Fremdkapital, das die Rückstellungen für Stilllegung, Nachbetrieb und Entsorgung enthält.
Es ist korrekt, dass die Beteiligungen an KKW von mindestens 20 Prozent bis unter 50 Prozent mit der Equity-Methode in den Konzernbilanzen erfasst werden. Wichtig ist dabei aber, dass sich die Verwaltungsrätinnen und Verwaltungsräte (oft Kantonsvertreter) über das Wesen und die Wirkung der Equity-Konsolidierung Klarheit verschaffen. Das mangelnde Verständnis der Equity-Konsolidierung ist bei wirtschaftlichen Fehlleistungen schon oft Pate gestanden.
Wo ist die Neubaureserve?
Somit ist es für den Verwaltungsrat sehr schwierig, die wirklichen Risiken, die mit den Minderheitsbeteiligungen an den KKW Leibstadt und Gösgen verbunden sind, zu beurteilen. Sie müssen deshalb auch die Bilanzen und Erfolgsrechnungen der Kernkraftwerke detailliert analysieren. Und hier gilt es dann weitere wichtige Frage zu beantworten.
Abgesehen davon, dass die Energieversorger ihr gesamtes Kapital, das auch für andere Energiequellen zur Verfügung stehen muss, als Pfand für die Risiken der KKW einsetzen, stellt sich die grundsätzliche Frage, ob das in den KKW-Bilanzen fehlende Eigenkapital wirklich in den Konzernbilanzen in genügendem Umfang vorhanden ist. Es ist erstaunlich, dass sich in den Bilanzen der KKW kein Posten «Neubaureserve» findet, was eigentlich zu erwarten wäre, da die Betreiber in ihrer Planung immer von einem Neubau nach Ablauf der Laufzeit ausgingen.
Und die zweite Frage ist, wieviel Eigenkapital für die Stützung der schwachen Bilanzen der KKW in den Konzernbilanzen gebunden ist und ob dies allenfalls zu Lasten anderer wichtiger Projekte der Energieversorger geht, die ebenfalls dieses Kapital beanspruchen.
Und drittens: Warum tolerieren Aktionäre und Verwaltungsrat eine nicht marktgerechte Verzinsung des eingesetzten Kapitals (Fremd- und Eigenkapital) was bedeutet, dass die KKW seit ihrer Gründung Jahr für Jahr finanzielle Werte zerstören?
Aktivierte Kosten und Qualität des Eigenkapitals
Am dringendsten muss aber die Frage der Zweckmässigkeit der aktivierten Kosten in den KKW-Bilanzen und somit die Frage der Qualität des Eigenkapitals der KKW diskutiert und gelöst werden. Worum geht es?
Der grösste Teil des ausgewiesenen Eigenkapitals ist bei den KKW durch die Position «zu amortisierende Kosten für Nachbetrieb, Stilllegung und Entsorgung» abgesichert, also durch die Aktivierung von zukünftigen Kosten. Beim KKL sind es 72.3%, beim KKG 62.8%. Diese Position ist erstmals in den adjustierten Bilanzen 2005 und 2006 der KKW Leibstadt und Gösgen aufgetaucht.
Diese Aktivierung wirft Fragen auf. Ich tendiere zur Position, dass diese Aktivierung nicht der betriebswirtschaftlichen Optik entspricht, welche Ziel des Financial Accountings, also der im Geschäftsbericht angewandten Rechnungslegung, ist.
Ebenso bin ich nicht der Ansicht, dass diese Position gemäss OR aktivierungsfähig ist. Vielmehr handelt es sich zumindest zum grössten Teil um «fiktive Aktiven», also um eine «Bilanzierungshilfe». (5)
Diese Frage ist deshalb so wichtig, weil deren Beantwortung entscheidende Auswirkungen hat. Dies wird in den beiden Grafiken weiter unten dargestellt. Ohne die Position «zu amortisierende Kosten für Nachbetrieb, Stilllegung und Entsorgung» sinkt einerseits die Eigenkapitalquote für das KKL auf 4% und für das KKG auf 5%. Entscheidender aber ist, dass dann auch mehr als die Hälfte des Aktienkapitals nicht mehr gedeckt ist, womit automatisch 725 Abs. 1 OR (6), respektive die Frage nach einer Bilanzsanierung relevant wird.
In andern Worten: KKW brauchen dringend eine finanzielle Nachrüstung, denn die Kombination von zu tiefem Eigenkapital und falsch festgelegten Kapitalkosten ist äusserst gefährlich. Diese Erfahrung haben schon viele Unternehmen gemacht, u.a. auch die UBS. Die UBS haben dazu in ihrem Bericht «Shareholder Report on UBS’ Write-Downs» (7) deutlich ausgeführt, dass eine wichtige Ursache für die hohen Abschreiber das «Funding Framework» war, welches eine interne Finanzierung zu nicht marktgerechten (risikoadjustierten) Kosten erlaubte.
Im Interesse der finanziellen Stabilität sollten langfristig gebundene Vermögensgegenstände möglichst mit Eigenkapital finanziert werden. Kernkraftwerke zeichnen sich durch hohe, sehr langfristig gebundene Vermögensteile aus. Deshalb sollte die Eigenkapitalquote mindestens 50 Prozent betragen.
Moody’s: New nuclear plants increase negative credit rating pressure
Die Bedeutung einer soliden Finanzierungsbasis für KKW ist nicht nur Konstrukt einer theoretischen Analyse, sondern sie wird auch von Ratingagenturen in aller Deutlichkeit hervorgehoben, wie die Textpassagen aus Moody’s Bericht vom 9. Juli 2009 zeigen.
«Once operating, nuclear plants are viewed favorably due to their economics and no-carbon emission footprint, but history gives us reason to be concerned about possible balance-sheet challenges, the lack of tangible current efforts to defend the existing ratings, and substantial execution risk involved in building new nuclear power facilities.»
« ... few of the issuers currently rated by Moody’y have taken any meaningful steps to strengthen their balance sheets.»
« ... we would also expect them to moderate their dividend policies to retain cash flows ... »
50% Eigenkapital, mindestens!
Die Kapitalbasis muss nicht nur für die bestehenden KKW verbessert werden. Gemäss Geschäftsberichten im Jahre 2009 beträgt die Eigenkapitalquote für das KKL 14.3% und für KKG 13.6%. Auch bei der Planung von Neubauten, sofern diese weiter getrieben wird, muss als zwingende finanzwirtschaftliche Voraussetzung eine deutlich solidere Kapitalstruktur eingeplant werden. 50% müssten mindestens mit Eigenkapital finanziert werden.
Mit einer betriebswirtschaftlich korrekten Kapitalbasis und marktgerecht abgegoltenen Kapitalkosten werden sich die Gestehungskosten für die Produktion von Atomstrom der betriebswirtschaftlichen Realität annähern. Das bedeutet, dass sie deutlich ansteigen werden.
Ungenügendes Eigenkapital - Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Banken und KKW:
Sowohl bei systemrelevanten Banken wie bei den KKW ist die Ausstattung mit qualitativ hochstehendem Eigenkapital ungenügend. Sie steht in keinem Verhältnis zu den eingegangenen Risiken. Soweit die Gemeinsamkeiten.
Die Unterscheide liegen darin, wie diese Situation verschleiert wird. Während die systemrelevanten Banken eine Eigenmittelquote herbeirechnen, in dem sie ihre Aktiven klein rechnen (risikogewichtete Aktiven) machen die KKW genau das Gegenteil. Sie erhöhen ihr Eigenkapital, in dem sie neue «fiktive» Aktiven beimischen. (8)
«Zu amortisierende Kosten für Nachbetrieb, Stilllegung und Entsorgung»
725 Abs. 1 OR: Zeigt die letzte Jahresbilanz, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist, so beruft der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung ein und beantragt Sanierungsmassnahmen.
Weitere finanzielle Risiken
Die Kapitalstruktur begründet nicht das einzige finanzielle Risiko. Weitere beträchtliche finanzielle Risiken lauern in der Kosten- und Ertragstruktur. Diese sind ganz besonders ernst zu nehmen, weil es sich bei KKW um Projekte mit einer sehr langen Laufzeit handelt, die 50 und mehr Jahre lang auf einen regelmässigen, exakt der Planung entsprechenden Cash-Inflow und auf eine wettbewerbsfähige Kostenstruktur müssen zählen können. Und dabei wird systematisch immer an der oberen Grenze des im positivsten Fall für die KKW möglichen Szenarios geplant. Davon auszugehen, das sei schon hier vorweggenommen, ist nicht realistisch.
Die Antwort auf die Frage, ob Investoren für die Finanzierung von KKW zu finden sind, hängt aber zentral mit der Einschätzung der Höhe und der Zuverlässigkeit möglicher zukünftiger Cash-Inflows und Cash-Outflows zusammen. In der Differenz zwischen den Cash-In- und Outflows manifestiert sich der finanzielle Wert einer Investition für Investoren. Da die Einschätzungen an der oberen Grenze liegen sind die Investoren darauf angewiesen, dass die Einschätzungen auch eintreffen. Sonst werden sie einen Verlust erleiden.
Es gibt jedoch erhebliche Fragezeichen und Unsicherheiten sowohl bezüglich der Schätzung der zukünftigen Erträge wie auch der Kosten.
Kosten der Systemdienstleistungen werden deutlich steigen Es kann mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die KKW in einem liberalisierten Markt auch diejenigen Kosten übernehmen müssen, die sie heute nicht selber zu einem marktgerechten Preis bezahlen müssen. Dazu gehören einmal die Systemdienstleistungen wie die Vorhalteleistung für den Ausfall von Grosskraftwerken (Reservehaltung zur Sicherung der Netzstabilität).
Des Weiteren müssen KKW heute keine Gebühren bezahlen für das Benutzen des Übertragungsnetzes für die Stromübertragung zum Eigenbedarf, worunter das Pumpen von überschüssigem Strom in Pumpspeicherseen fällt. Auch dieser Vorteil (verdeckte Subvention) wird mit Sicherheit bald wegfallen.
Gefangene der Kostenstruktur, 50 Jahre lang
Wenn ein KKW ans Netz geht, kommt auf mindestens 50 Jahre eine technologiebedingte Kostenstruktur zum Tragen. Diese kann kaum geändert werden. Eine Airline kann z.B. bei einer Veränderung der Marktbedingungen die Zusammensetzung der Flotte und der Destinationen ändern, womit sowohl die Ertrags- wie auch die Kostenstruktur den veränderten Gegebenheiten angepasst werden können.
Ein KKW kann jedoch den Reaktortyp nicht austauschen, wenn innerhalb der geplanten Laufzeit eines KKW neue Technologien kostengünstiger Strom produzieren werden. Davon ist aber mit grosser Sicherheit auszugehen. Ein KKW wird in einer solchen Situation aufgrund seiner Kostenstruktur über die verbleibenden Laufzeitjahre finanzielle Verluste einfahren.
Wer nicht auf Innovationen und Änderungen im Marktumfeld reagieren kann, ist chancenlos, das lehrt uns auch der Sport. Wenn Simon Ammann mit einer 50 Jahre alten Ausrüstung (Sprungskier, Bindung und Anzug) springen müsste, würde er sich mit Sicherheit für keinen internationalen Sprungwettbewerb qualifizieren können. Er wäre schlicht ohne Chancen gegenüber seinen Konkurrenten, die Jahr für Jahr Dank technologischem Fortschritt mit immer raffinierteren Ausrüstungen zu immer neuen Weitenrekorden fliegen.
Genau so verhält es sich mit der Kernenergie. Mit ihr igelt sich eine Volkswirtschaft in einem für die Wettbewerbsfähigkeit wichtigen Bereich über fünfzig und mehr Jahre in eine Technologie und in Kostenstrukturen ein und verzichtet damit auf die Chancen und Vorteile des technologischen Fortschritts in anderen Technologien mit sinkenden Kosten.
Was bleibt, ist ein mögliches Nachrüsten. Das verursacht aber vor allem Zusatzkosten und kann den bestehenden, technologiebedingten Wettbewerbsnachteil nicht wett machen. Jahrzehnte alte Sprungskier und Sprunganzüge werden selbst mit Nachrüstung keine Sprünge in die Weltspitze erlauben, und sei der Athlet noch so talentiert und motiviert wie Simon Ammann.
Teil 2 folgt am Samstag, den 9. April 2011, im Journal21
Der Autor dankt den Herren Thomas Braun, Norbert Egli und Andreas Sturm für ihre äusserst wertvollen Anregungen.
1) Sowohl die Studie wie auch die Unterlagen zur SAEE können unter www.kaspar-mueller.ch unter Publikationen und/oder Vorträge eingesehenen werden.
2) Aktionäre des KKL sind: AEW Energie AG 5.4%, Alpiq AG 27.4%, Alpiq Suisse AG 5.0%, Axpo AG 22.8%, BKW FMB Beteiligungen AG 9.5%, CKW 13.6% und EGL AG 16.3%; Aktionäre des KKG sind: Alpiq AG 40%, CKW 12.5%, Energie Wasser Bern 7.5%, Axpo AG 25%, Stadt Zürich 15%
(3) Sonntagszeitung vom 27. März 2011; Seite 58: «KKL: Es sind die Aktionäre, die das wirtschaftliche Risiko tragen». «Alpiq: Falls notwendig, wäre Alpiq selbstverständlich bereit, zusätzliche Mittel bereitzustellen» «Bei Axpo heisst es, man hafte im Rahmen der Verpflichtungen als Aktionär».
(4) NZZ am Sonntag vom 3. April 2011; Seite 34:
«Alpiq: Das Finanzierungsmodell der beiden grossen inländischen Kraftwerke basiert darauf, dass die Aktionäre Kapital einschiessen» und «Axpo: Man haftet beim KKL im Rahmen der Verpflichtungen als Aktionärin».
(5) Vgl. Boemle, Lutz; Der Jahresabschluss; Verlag SKV 2008; S. 291 und S. 347 Aktivierter Aufwand.
(6) 725 Abs. 1 OR: Zeigt die letzte Jahresbilanz, dass die Hälfte des Aktienkapitals und der gesetzlichen Reserven nicht mehr gedeckt ist, so beruft der Verwaltungsrat unverzüglich eine Generalversammlung ein und beantrag Sanierungsmassnahmen.
(7) Shareholder Report on UBS’ Write-Downs: 18. April 2008 (Abschnitte 5.8 und 6.3.4.1)
(8) Vgl. Boemle, Lutz; Der Jahresabschluss; Verlag SKV 2008; S. 347: Aktivierter Aufwand wird in der Buchhaltungsliteratur hin und wieder kurzerhand als «fiktive Aktiven» bezeichnet.