Nichts tun autoritäre, in Bedrängnis geratene Herrscher lieber als auszurufen: Ausländische Kräfte haben das Chaos angezettelt! Kasachstans äusserlich so feinsinnig auftretender Präsident griff fast im gleichen Atemzug zu dieser Anschuldigung, als er seinen Truppen befahl, ohne Vorwarnung auf Demonstrierende zu schiessen.
Dass es in Wirklichkeit die gravierenden sozialen Benachteiligungen breiter Schichten und die Frustration über Korruption und Machtmissbrauch sind, die jeweils zum Ausbruch der Gewalt führen (vergleiche Beitrag vom 06.01., «Händedruck mit dem Präsidenten»), ist wahrscheinlich allen im riesigen zentralasiatischen Land bewusst. Oder gibt es vielleicht doch eine Art von Kollusion interner Frustrierter mit Kräften jenseits der Landesgrenze?
Mysteriöse «Befreiungsbewegung von Kasachstan»
Zunächst können wir alle nur spekulieren und gleichzeitig so viele Detail-Fakten wie möglich zusammentragen.
Am 8. Januar meldete sich eine Gruppe namens «Befreiungsbewegung von Kasachstan» zu Wort. Sie erklärte den ins Land gerufenen russischen Truppen den «Krieg» (gemäss Darlegung des Kreml handelt es sich nur um 2500 Mann – gleichzeitig aber erklärte die russische Regierung, ihre Truppentransporter seien «rund um die Uhr» unterwegs, um Soldaten zu befördern). Schon vorher hatte Russland den USA vorgeworfen, diese «Befreiungsbewegung» geschaffen zu haben. Kasachische Oppositionelle widersprachen – diese «Bewegung» bestehe aus russischen Soldaten, die behaupteten, sie seien bewaffnete Milizen.
So weit, so unklar. Aber wer sind die erwähnten kasachischen Oppositionellen? Der prominenteste von ihnen ist der frühere Energieminister und Banker Muchtar Abljasow. Er lebt im Exil in Frankreich, verfügt über ein im Detail nicht bekanntes Vermögen – und gründete eine Partei, «Demokratische Wahl für Kasachstan». Kontakte zu Abljasow soll das in der Schweiz lebende Ehepaar Chrapunow pflegen, das nach einem fast zehnjährigen Verfahren bei uns als politische Flüchtlinge anerkannt wurde. Das kasachische Regime hatte noch 2018 versucht, die Chrapunows in Abwesenheit zu 14 respektive 17 Jahren Gefängnis zu verurteilen.
Kasachische Gelder in der Schweiz
Die Schweiz ist, aber da landen wir fast schon im Boulevard-Journalismus, indessen auch interessant für Leute aus dem kasachischen Polit-Establishment. Im Jahr 2004 wurden etwa 100 Millionen Franken aus Kasachstan auf Konten in der Schweiz blockiert – weil US-Ermittler diese Summe als Schmiergeldzahlung von kasachischen Erdölfirmen bezeichnet hatten. 2010 erwarb eine Tochter des damaligen kasachischen Präsidenten Nasarbajew in einem Genfer Vorort eine Villa für angeblich mehr als 74 Millionen Franken.
Und vor jetzt erst einem Jahr gab es einen Medienwirbel um eine andere Tochter des Präsidenten, um Aliya Nasarbajewa. Sie wollte angeblich 350 Millionen Dollar in eine Luxus-Klinik in der Region Zürichsee investieren, und dann – ja dann folgte das tragische Ende eines Melodrams: der Schweizer Arzt, der dieses Projekt hätte realisieren sollen, steckte seine Villa in Zürich-Hottingen in Brand und nahm sich das Leben. Weil er, angeblich, Schulden gegenüber der Präsidenten-Tochter nicht bezahlen konnte.
Syrien und Irak als «Einmischungsbeispiele»
Schluss jetzt mit «Boulevard» – wie kann oder muss man die Schuldzuweisungen des kasachischen Regimes im grösseren Kontext beurteilen?
Syriens Diktator, Bashar al-Assad, beschuldigt seit 2011 den US-Geheimdienst CIA, die Demonstrationen gegen sein Regime angezettelt zu haben. Faktencheck: Die USA hatten lange Jahre zuvor schon Pläne ausgearbeitet, um Assad zu stürzen. Sie standen 2011, als der «arabische Frühling» schon andere Länder in Nahost erfasst hatte, mit Waffen und Logistik zugunsten einer damals noch nicht konturierten Opposition gegen Assad in geografischer Nähe in Bereitschaft. Der Funke des Widerstands gegen das Assad-Regime aber kam von innen, zunächst von einer kleinen Gruppe in der südsyrischen Stadt Deraa. Diesen Widerstand unterdrückte das Regime mit Gewalt – und diesen Moment nutzten die externen «Helfer», um den Widerstand zu unterstützen.
Zweites, etwas anders gelagertes Beispiel: Iran macht bei jeder Demonstrationswelle die USA und von den USA unterstützte Oppositionelle verantwortlich. Da aber kann klar festgestellt werden: Wer in einer iranischen Stadt aus diesem oder jenem Grund gegen das Regime protestiert, will auf keinen Fall erleben, dass jemals (so hört man das im Land) «die Amerikaner mit ihren Tanks» dem Iran den Wandel bringen. Dass anderseits die erbitterten Gegner des iranischen Regimes, die so genannten Volksmujaheddin (Mujahedin-e chalk, zurzeit dank US-Hilfe in Albanien «beheimatet») sich gerne in die Proteste einmischen würden, ist unverkennbar. Nur besteht da zwischen Wollen und Können eine gewaltige Kluft.
Chinesische Interessen?
Wie geht es in Kasachstan weiter? Das hängt wohl wirklich auch vom Ausland ab, allerdings nicht von irgendwelchen Oppositionsgruppen. Das Land ist für verschiedene andere Staaten wichtig: China, beispielsweise, bezieht 20 Prozent seines importierten Flüssiggases aus Kasachstan. Und ist auf das Funktionieren der Pipelines angewiesen. Eine Bahnlinie zwischen China und Europa, die immer mehr an Bedeutung gewinnt, verläuft durch Kasachstan. Österreich bezieht rund 40 Prozent seines Flüssiggases aus Kasachstan oder via kasachische Leitungen. Und die Schweiz? Sie hat seit 2005 mehr als 24 Milliarden Dollar in Kasachstan investiert.
Weder Österreich noch die Schweiz würden im «Alptraum» daran denken, sich in Kasachstan militärisch zu engagieren. Aber China? Das liegt, so darf man wohl anhand der Expansion chinesischer Interessen global mutmassen, im Bereich des Möglichen.