Dies war die selbstkritische Frage, die sich Medienschaffende im Rahmen einer Veranstaltung des Vereins Qualität im Journalismus in Zürich stellten. Unter der Leitung von Philipp Cueni (Q-Club) diskutierten André Marty (ehem. Nahostkorrespondent SF), Hansi Voigt (Chefredaktor 20minuten online) und Beat Wieser (Auslandredaktor NZZ).
Medienwandel wird sichtbar
Kaum endende Krisen, über die aber bereits nach kurzer Zeit keine neuen und gesicherten Informationen mehr zu haben sind, machen es Redaktionsstuben und Online-Zentralen nicht leicht: Einerseits nehmen die Einschaltquoten und Leserzahlen bei dramatischen Ereignissen sprunghaft zu, und gleichzeitig erwartet das Publikum Sonderleistungen und stündliche Aufdatierungen.
Anderseits fehlen den Medienredaktionen für solche Fälle personelle Ressourcen und erfahrene Korrespondenten bzw. Informationsquellen vor Ort. Die Krisen im arabischen Raum und die Tsunami-Katastrophe in Japan zeigen es deutlich: Die klassischen Medien kommen immer stärker unter Druck und passen sich den oft nicht sehr anspruchsvollen Bedürfnissen an, die „neuen Medien“ bieten dagegen mehr und mehr Hintergrund, Dokumentation und damit Einordnung. Sie konkurrenzieren damit die Printmedien empfindlich.
In der Schweizer Medienszene ist ein enormer Wandel im Gang. Zurzeit behilft man sich noch mit kurzfristig aufgebotenen Mitteln, abkommandierten „Sonderkorrespondenten“ und eingeflogenen TV-Equipen. Bei 20minuten online suchte man mangels anderer Quellen via Facebook mehr oder weniger „Betroffene“, bei der NZZ kam man unter Druck des hauseigenen Online-Dienstes, „was sich auf die Qualität negativ auswirken kann“, konstatiert NZZ-Redaktor Wieser. So hat die sonst selbstsichere NZZ – und das dürfte ziemlich erstmalig sein – den Ereignissen in Japan eine ganze Doppelseite gewidmet: „Wir haben vermehrt angefangen zu schauen, was andere machen“. Immerhin konnte SF bewährte und örtlich erfahrene Korrespondenten in die jeweiligen Krisenregionen schicken und so zu Japan u.a. 22 Sondersendungen alimentieren. Dafür wurde man vom Heimstudio Leutschenbach mit einer Expertitis-Welle eingedeckt, die uns immer wieder dieselben Fachleute, die auch nicht mehr als Bekanntes und Spekulatives von sich geben konnten, zugemutet.
Online first
Die letzten Wochen und Monate haben deutlicher denn je gezeigt, welche zunehmende Bedeutung den Online-Angeboten zukommt. „In den USA kommt heute online first“, weiss André Marty, „und dies erst noch mit ganz anderen Ressourcen als wir“. Tatsächlich steigt das Prestige von Online-Schaffenden weiter an: Mehrere Medienhäuser verlagern ihre besten Journalisten immer mehr in die elektronischen Redaktionen, um dort stark zu sein, wo man Wachstumsmärkte wittert.
Sensation statt Information
Dass die „seriös-sachliche“ NZZ nun auch noch das Kreuzworträtsel eingeführt hat, ist für 20minuten-Chefredaktor Hansi Voigt ein klares Indiz dafür, dass ein Grossteil vor allem der jüngeren Medienkonsumentinnen und -konsumenten vermehrt Unterhaltung und Zeitvertrieb, und immer weniger Vertiefung verlangt. Vielleicht seien die Medien da selber schuld: Sie hätten die Leserinnen und Leser ja regelrecht zu diesem Trend des Soften und Belanglosen erzogen. Verbunden mit den „neuen“ Medien sei dies halt jetzt die Quittung Ob es richtig sei, dass die klassischen Medien diesem Trend folgen, ist sich die Diskussionsrunde nicht einig. Beat Wieser plädiert klar für eine Rückkehr zum guten professionellen Journalismus: “Den muss man nicht neu erfinden, man muss ihn bloss wieder anwenden. Es geht einfach gesagt um Aktualität, Eigenleistung und Relevanz“. Welche Relevanz für welches Publikum gilt, ist allerdings schwerer auszumachen. Während die einen mehr an bestehende Werte glauben, widmen sich die „Elektronischen“ mehr dem Infotainment und bieten eher Sensation statt Information. Dabeisein., Dortsein, live oder pseudo-live sind oftmals wichtiger als gute Inhalte, Nähe vorgeben - selbst wenn der Korrespondent meilenweit vom Ereignis entfernt sei. Die MedienkonsumentInnen seien viel mündiger geworden, ist Voigt demgegenüber überzeugt: “Pseudo-live und Vorgegaukeltes erkennen heute die meisten rasch und es fliegt auf. Wenn wir so was machen, hagelt es von Protest-Mails“.
Sparmassnahmen rächen sich speziell in Krisenzeiten
Müssten JournalistInnen nicht öfters transparent machen, dass sie ebenfalls nicht viel mehr wissen oder die Lage ebenso wenig beurteilen können? Müssten die Kontroll- oder Überprüfmittel verstärkt werden? wirft Diskussionsleiter Cueni in die Runde. Die Verunsicherung in den Redaktionen zeige sich einerseits darin, dass die Definitionen, was man mit seinem Produkt genau wolle, zu wenig genau definiert seien. Und zudem zeige sich immer mehr ein Generationenkonflikt zwischen älteren und jüngeren Medienschaffenden: Viele Junge wählen heute diesen Beruf, weil er in Mode ist und weil offenbar „Medien geil sind“.
Diese Verunsicherungen, gepaart mit drastischen Sparmassnahmen in den letzten Jahren, führen dazu, dass die Eigenleistungen qualitativ immer dünner werden und man dies mit einer Flut von Experten auszugleichen versucht. Die Japan-Katastrophe habe das deutlich gezeigt: Je anspruchsvoller Journalismus werde, desto mehr schiebe man das fehlende Grundwissen in den Redaktionen auf „Experten“ ab. Oder wie es die drei Gesprächsteilnehmer auf den Punkt bringen: Verzicht auf Kompetenz wird bestraft werden.